Pressestimmen

Breivik-Prozess in der Presse "Horror-Show verhindern"

Die Schuld von Anders Behring Breivik steht außer Frage - er versuche nun, seine Taten in kruden rechtsextremen Weltbildern als Selbstverteidigung zu rechtfertigen, schreibt Solveig Bach bei n-tv.de. Doch wie wird dieses Verhalten in die Öffentlichkeit transportiert? Die Tageszeitungen versuchen die Auseinandersetzung mit einer schwierigen Frage.

Der Wiesbadener Kurier schreibt: "Der Tod der Schüler ist juristisch nicht wieder gut zu machen. Das Leid der Eltern und Angehörigen wird durch die Tiraden Breiviks vielleicht sogar noch einmal vergrößert. Aber das Urteil nach ordentlichem Prozess wird die beste Antwort sein, die eine gefestigte Demokratie auf die wirre Ideologie des Neonazis zu geben vermag. Ob das nicht nur geständige, sondern sich seiner Untaten brüstende Ungeheuer Breivik ein Verrückter ist, das wird die schwierigste Frage sein, die im Verfahren zu klären ist."

Die norwegischen Zeitungen haben sich für verschiedenen Ansätze entschieden. Manche zeigen fast alles, andere gar nichts.

Die norwegischen Zeitungen haben sich für verschiedenen Ansätze entschieden. Manche zeigen fast alles, andere gar nichts.

(Foto: REUTERS)

Die Berliner Morgenpost resümiert: "Bei allem Respekt vor den tapferen Norwegern, die sich von ihren demokratischen und liberalen Traditionen auch durch einen Breivik nicht abbringen lassen wollen, täten die Entscheider in Norwegen gut daran zu überlegen, ob die breite Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen wird aus dem Gerichtssaal. Live-Show ist nicht nötig. Es wäre der Liberalität zuviel, Breivik weiterhin auf den Leim zu gehen. Natürlich weiß eine selbstbewusste Gesellschaft, den Hohn und die Verachtung einzuordnen. Aber um den therapeutischen Effekt für uns alle geht es nicht länger. Wichtiger wäre es nun, dem Täter das zu entziehen, was ihm am meisten bedeutet: Millionen Zuschauer in aller Welt. Es gibt kein Grundrecht auf eine globale Horror-Show. Deswegen sollte man sie einfach verhindern."

Der Mannheimer Morgen appelliert an die Medien: "Was zu befürchten war, ist eingetreten: Der Massenmörder Anders Breivik kann den Gerichtssaal als Forum für seine abscheuliche, paranoide Weltsicht nutzen. Der Prozess als perverse Polit-Show und zynisches Propaganda-Theater. Aber muss denn nun alles, was dort zur Sprache kommt, bis ins kleinste Detail auch über die Medien vervielfältigt werden? Müssen sich nicht Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk einer Beschränkung unterziehen, um sich nicht als Plattform für Nazi-Müll instrumentalisieren zu lassen? Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich die Berichterstattung bewegt. Schon die Dokumentation der bestialischen Verbrechen löst Übelkeit aus. Doch diesen Fall zu ignorieren, wäre nichts anderes als eine Art Selbstzensur. Dass aber nichts in Vergessenheit gerät, sind die Medien den 77 Toten schuldig."

Die Westfälischen Nachrichten schränken zwar ein, gehen aber in eine ähnliche Richtung: "Dennoch bleibt die Frage, noch mehr das ungute Gefühl, ob Breivik diese große Bühne zugebilligt werden sollte. Genau an dieser Stelle beginnt der Spagat zwischen Opferschutz und Informationsauftrag der Journalisten. Es ist die Wanderung auf einem schmalen Grat. ... Das norwegische Fernsehen hat sich gestern vorübergehend aus dem Gerichtssaal verabschiedet, als der 33-jährige Attentäter sein extremistisches Weltbild zelebrierte. Ein richtiger Schritt. Doch nicht immer hilft der Knopf zum Ausschalten. Die Fakten müssen auf den Tisch - sachlich und nüchtern eingeordnet und bewertet. Dazu dienen auch Bilder - zumutbare Bilder."

Der Münchner Merkur hingegen sieht die Sache klar: "Zum ganz normalen Verfahren, Öffentlichkeit eingeschlossen, gibt es keine Alternative. Die Kraft des Rechtsstaats zeigt sich darin, dass er auch die monströsesten Verbrechen leidenschaftslos mit derselben Elle misst - und den Breiviks dieser Welt gerade das verweigert, wonach sie sich so verzweifelt sehnen: den Sonderstatus einer düsteren Übermenschlichkeit, der ihnen Eintritt in die Geschichtsbücher verschaffen soll. Breiviks Richter haben es in der Hand, die Lügengewänder des selbsternannten 'Tempelritters' zu zerreißen, bis ein banaler Killer in seiner ganzen widerlichen Nacktheit vor der Menschheit steht - alleingelassen mit seinem vielleicht doch noch erwachenden Gewissen."

Die Pforzheimer Zeitung meint: "Dürfen Justiz und Presse diesem Mann mit seinem unmenschlichen Verhalten und seiner asozialen Weltsicht eine derartige Bühne bieten? Sie müssen, auch wenn es weh tut. Täten sie es nicht, würde derlei fehlende Souveränität und Freiheit Breivik in die Hände spielen. Er könnte in der Weltöffentlichkeit erreichen, was er mit seinem Massenmord in Norwegen schon geschafft hat: Angst verbreiten. Es ist die Aufgabe der Medien in einem Rechtsstaat, sachlich und seriös die Realität zu zeigen, wie sie ist - auch in ihrer Grausamkeit. Zudem kann jeder die unzensierte Selbstentlarvung eines kranken Mannes verfolgen. Die Erklärung seiner Unzurechnungsfähigkeit wäre die logische Konsequenz - und für Breivik selbst wohl die größte und härteste aller Strafen."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt

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