Pressestimmen

Gedenken zur Befreiung von Auschwitz "In die Trauer mischt sich Wut"

Es hätte keinen besseren Redner zum Gedenken an den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz geben können als Marcel Reich-Ranicki, der selbst im KZ saß. Umso erschreckender ist es, dass Rechtsterroristen in Deutschland jahrelang morden und 20 Prozent der Bevölkerung antisemitisch eingestellt sein sollen.

Die Neue Osnabrücker Zeitung erinnert: "Schlechte Nachrichten begleiten das Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. In die Trauer über die Opfer mischen sich Entsetzen und Wut: darüber, dass mutmaßliche Rechtsterroristen jahrelang mordend durchs Land ziehen konnten; darüber, dass im Kampf gegen Neonazis eklatant versagt worden ist; darüber, dass jeder fünfte Deutsche einer Untersuchung zufolge als latent antisemitisch einzuschätzen ist. Und darüber, dass Rechtsradikale und Demokratieverächter Parlamente als Forum nutzen dürfen - mit kräftiger Unterstützung des Steuerzahlers. Politiker, Sicherheitsbehörden, Schulen, Kirchen, Gewerkschaften, Verbände und letztlich jeder einzelne Bürger: Alle müssen dazu beitragen, dass Gewalt und Diskriminierung keine Basis finden."

Die Frankfurter Neue Presse schreibt: "Der Schlüssel gegen Rechts ist die Jugend. Wenn Jugendhäuser reihenweise schließen, für erfahrene Pädagogen kein Geld da ist, in der Schule das Dritte Reich gar kein Thema mehr ist und sich im Umfeld rechtsextremer Umtriebe demokratische Koalitionen gar nicht mehr trauen, den braunen Banden entgegenzutreten - dann läuft etwas schief in Deutschland. Gedenken ist wichtig, Gedenken allein aber nicht genug."

Der Schwarzwälder Bote betont: "Keine Spur von der theatralischen Aufdringlichkeit vieler TV-Geschichtsbelehrungen, sondern ein leises, ein eindringliches Erinnern: Marcel Reich-Ranicki hat dem deutschen Bundestag eine Stunde des Holocaust-Gedenkens ermöglicht, die über den Tag hinaus wirkt. Ein Mann, der gebrechlich ist auf dem Weg ans Rednerpult, der aber nicht zerbrochen ist an den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, an menschenverachtenden Verbrechen, wie er sie am eigenen Leib erlitten hat... im Reichstag liest nicht der scharfzüngige Literaturpapst den Deutschen die Leviten. Unter dem Bundesadler schildert ein Zeitzeuge Geschichte so, dass es unter die Haut geht."

Die Westdeutsche Zeitung meint: "Kein intelligenter Mensch, der gestern Reich-Ranicki zuhörte, kann verstehen, was in den Hirnen junger und gleichzeitig ewig-gestriger Neonazis vorgeht. Doch wie reagiert die Gesellschaft darauf? Verbote sind nur bedingt geeignet. Besser ist, die Vorteile einer toleranten Welt überzeugend klar zu machen. Doch wenn wirklich, wie behauptet, 20 Prozent der Bevölkerung latent antisemitisch eingestellt ist, wird das ein schwerer Weg."

Der Kölner Stadtanzeiger schlägt vor: "Ein Gedenktag der Bürger ist der 27. Januar bis heute nicht. Gerade weil die letzten Zeitzeugen bald gestorben sein werden, wäre es an der Zeit, über Ansprachen hinaus eine Form des Gedenkens zu finden, die das Land wirklich betrifft. In Israel ruht am Holocaust-Gedenktag für einige Minuten das öffentliche Leben. Sirenen heulen, Busse bleiben stehen. Warum machen wir sowas eigentlich nicht? Vielleicht, weil es vielen ganz recht ist, das Erinnern und das damit unweigerlich verbundene Schamgefühl nicht zu nah an sich heran zu lassen."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt

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