Integrationsdebatte nach Wulff-Rede "Inhaltsleeres Gesäusel"
07.10.2010, 20:24 Uhr
Wulff hatte in seiner Rede Einwanderer zur Integration aufgefordert, die Deutschen aber zugleich zu Offenheit und Toleranz ermahnt.
(Foto: REUTERS)
Vier Tage nach der Integrations-Rede von Bundespräsident Christian Wulff reißt die Debatte über die Stellung des Islam in Deutschland nicht ab. Der 51-jährige CDU-Politiker hatte am Tag der Einheit an die christlich-jüdischen Wurzeln Deutschlands erinnert und gesagt: "Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Während die Union über die Rolle des Islam streitet, sprechen sich SPD und Grüne für eine Gleichstellung aus. Die Debatte, die mittlerweile den Bundestag erreicht hat, schlägt hohe Wellen und führt auch in der Presse zu kontroversen Diskussionen.
Einen Fürsprecher findet Bundespräsident Wulff in der Heilbronner Stimme: "Die Debatte um Islam und Integration war stets von Ängsten und auch von Panikmache geprägt. Jetzt ist sogar der Bundespräsident Opfer. Christentum und Judentum haben das Abendland geprägt, betonen die Kritiker. Recht haben sie. Nichts anderes aber hat der Präsident erklärt. Über den Islam hat er nur gesagt, dass der heute dazu gehört. Das ist kein blauäugiger Multikulti-Wunsch, sondern ein unleugbares Faktum, das zu gestalten ist. Das Grundgesetz und nicht die Scharia gilt, bekennen die Politiker bis hin zur Kanzlerin. Recht haben sie. Fragt sich nur, wie sie zur Unterstellung kommen, das Staatsoberhaupt meine etwas anderes. Wulff hat von Werten gesprochen, auch wenn er sie nicht Leitkultur nannte. Hier wird ein Popanz geschlagen, nicht der wirkliche Präsident. So wie Wulff ergeht es auch den meisten Muslimen in Deutschland. Sie müssen sich für etwas rechtfertigen, das sie weder gesagt noch getan haben".
"Vier Millionen in Deutschland lebende Muslime wollen auch als (potenzielle) Wähler umarmt sein", vergegenwärtigt der Münchner Merkur. Die noble Ihr-gehört-dazu-Geste des Bundespräsidenten den Migranten gegenüber habe deshalb bei Grünen und SPD vermutlich auch keineswegs nur Glücksgefühle ausgelöst: "Immerhin ist Wulff im Nebenberuf auch CDU-Politiker, und die Kanzlerin lässt nichts unversucht, ihre Partei auch für Zuwanderer wählbar zu machen. Mit ihrer Forderung nach staatlicher Anerkennung des Islam haben Grüne und SPD den Überbietungs-Wettkampf aufgenommen. Nur: Wer genau vertritt den Islam? Rot-Grün wird, bei aller Liebe zu den Migranten, kaum ernsthaft Gruppierungen unter den besonderen Schutz des deutschen Staates stellen wollen, die Frauen unterdrücken und Steinigungen befürworten".
"Eine Mischung aus Realitätsverweigerung und Missverständnis offenbart nun die Kritik, die dem Bundespräsidenten aus der Union entgegenschlägt", kommentiert die Ludwigsburger Kreiszeitung die Integrationsdebatte. "Der Islam ist ein Teil Deutschlands - weil er da ist und bleiben wird. Einer Gleichstellung des Islam mit der christlich-jüdischen Tradition Deutschlands hat Christian Wulff aber so wenig das Wort geredet wie einer Anerkennung der Scharia. Mit der Anmerkung, dass diese nicht gilt, hat Angela Merkel nur bestritten, was nie behauptet worden ist. Man kann es als Unterstützung lesen oder als Distanzierung. An der Debatte nahm die Kanzlerin jedenfalls nicht teil".
Für die Kieler Nachrichten ist das Gerede von der Willkommenskultur "inhaltsleeres Gesäusel". Das Blatt bezieht klar Stellung: "Man muss nicht jeden gleich umarmen, der einem fremd ist. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man sich gegenseitig versteht. Sind die Muslime bei uns bereit, die Trennung von Staat und Religion anzuerkennen, für die Gleichberechtigung der Frau einzutreten, sich nicht nur für Moscheen in Deutschland, sondern auch für christliche Kirchen in der Türkei einzusetzen, das Christentum als gleichrangige Religion neben dem Islam zu akzeptieren? Wenn ja, dann sind Muslime bei uns herzlich willkommen. Wenn nicht, dann gehören sie nicht zu Deutschland".
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Susanne Niedorf