Pressestimmen

Pressestimmen "Kein Gesülze und keine Predigt"

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Bundespräsident Gauck hält nach seiner Vereidigung eine erste, vielbeachtete Rede. Darin spannt er einen weiten Bogen und zeichnet sein Bild von Deutschland. Und er beackert viel mehr als sein Lebensthema Freiheit. Solveig Bach von n-tv.de kommentiert: "Nach 23 Minuten im Bundestag ist klar: Gauck erreicht die Menschen." Die Tageszeitungen sind ebenfalls überwiegend erfreut.

Der Tagesspiegel schreibt: "Zwei Dinge sollte man sich aus dem Gauck'schen Kanon merken. Das inbrünstige Eintreten für Demokratie und Menschenwürde, verbunden mit dem deutlichen Stoppzeichen für den Rechtsextremismus, lässt einen Bundespräsidenten vorstellbar werden, der sich an die Spitze einer Demonstration gegen Neonazis stellt. Der Satz 'Euer Hass ist unser Ansporn' wird bleiben. Das Plädoyer, in Zeiten der Krisen mehr Europa zu wagen, knüpft nicht zufällig an Brandts 'Mehr Demokratie wagen' an. Jetzt sollten wir diesen Präsidenten mal machen lassen. Bequem wird er nicht sein. Everybody's Darling, wie an diesem schönen Freitag, war mit Sicherheit eine Ausnahme."

Der Kölner Stadtanzeiger ist begeistert: "Was für ein Präsident. Joachim Gauck hat in seiner Antrittsrede fast alles richtig gemacht. Auf jeden Fall aber hat er gezeigt, dass er etwas noch viel wichtigeres kann als reden: Gauck kann zuhören. Er hat die öffentliche Debatte über seine Person genau verfolgt und sich besonders drei Einwände zu Herzen genommen: Der kann nur Freiheit. Der kann nur Vergangenheit. Der hat mit dem Sozialen nichts im Sinn. Gauck hat seine Kritiker widerlegt."

Gauck hält seine mit Spannung erwartete Rede.

Gauck hält seine mit Spannung erwartete Rede.

(Foto: dpa)

Die Frankfurter Rundschau meint jedoch: "Joachim Gauck ist aus der DDR gekommen, um den Bundesrepublikanern zu sagen, wie schön sie es haben. Sie hören das gern. Sie fühlen sich geschmeichelt, vielleicht sogar geliebt. Aber verstanden fühlen sie sich nicht. Sie wissen zu gut, dass der Blick zurück sie leicht einlullt. Die Vorstellung zum Beispiel, sie lebten in einer Gesellschaft, die neu hinzukommende Fremde integrieren müsste, war vielleicht in den Siebziger Jahren noch vertretbar, sie geht aber an der Realität der heutigen Bundesrepublik vorbei."

Die Leipziger Volkszeitung lobt hingegen: "Joachim Gauck hat die Bürger nicht enttäuscht. Mit seiner Rede verlieh der brillante Rhetoriker dem Amt des Bundespräsidenten neue Würde und Autorität. Gleichzeitig hat er den Politikern damit ins Stammbuch geschrieben, dass er nicht daran denkt, nur den pflegeleichten Grüßonkel im Schloss Bellevue zu spielen, sondern sich auch wortgewaltig einmischen wird. Damit praktiziert er genau das, was er eindringlich von den Bürgern fordert: Die Demokratie in einer aktiven Bürgergesellschaft zu leben und zu verteidigen. Das ist sein Credo, mit dem er sich als Mutmacher der Gesellschaft präsentiert. Und für das er als Ostdeutscher mit seiner Biografie glaubhaft steht. Kanzlerin Angela Merkel hat mit dem ehemaligen Pfarrer aus Rostock einen Verbündeten, aber auch Konkurrenten bekommen auf der politischen Bühne."

Auch die Abendzeitung aus München ist zufrieden: "Man muss vorsichtig sein, sehr vorsichtig sogar, wenn alle zufrieden sind mit einem. Insofern hätte Joachim Gauck Grund zur Sorge - wenn sogar die Linke positive Elemente in seiner ersten Rede als Bundespräsident sieht. Es gibt aber Momente, wo chronische Kritiker in die Ecke der Mäkelei geraten. Und Joachim Gauck hat mit seiner Antrittsrede einen solchen Moment hergestellt. Fest im Ton, klar in der Sprache, deutlich in der Argumentation hat der 72-Jährige alle angesprochen, und doch niemandem nach dem Mund geredet. Es war kein Gesülze und keine Predigt. Man muss nicht von einer großen Rede sprechen, eine gute war es allemal. Wir haben einen Bundespräsidenten, dem man gerne zuhören wird, der unsere Aufmerksamkeit verdient. Das ist schon mal was, ein guter Anfang jedenfalls."

Die Märkische Allgemeine kommentiert ähnlich: "Es war für jeden etwas dabei: Die Linken bekamen das Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit, die Grünen und die Migranten eines zum multikulturellen Deutschland und zu mehr Europa, garniert mit einem Lob für die 68er, und am Ende - die christlichen Konservativen werden es gern gehört haben - stand der Dank an Gott. Gauck als großer Integrierer, es ist die Rolle, die man dem ostdeutschen Pfarrer zutrauen durfte. Die größte Kraft und Authentizität entfaltete dieser wortmächtige Präsident aber in seinem leidenschaftlichen Appell, das deutsche 'Demokratiewunder' gegen seine Feinde zu verteidigen: gegen Extremisten aller Art, aber auch gegen Teilnahmslosigkeit."

"Mehr davon" lautet das Motto der Ostsee-Zeitung: "In seiner ersten wichtigen Rede als Präsident hat der frühere Rostocker Pastor auf seine ganz eigene Weise gezeigt, dass er sich zuerst als ein Mutmacher und Vertrauensstifter sieht. Er versteht sein Amt nicht als oberster Levitenleser und Zeigefinger der Nation, sondern als mitmachender, verstehender und lernender Sinnstifter. Diese erste größere Rede Gaucks im neuen Amt macht Lust auf mehr. So wie der große Willy Brandt einst das Wort 'mehr Demokratie wagen' prägte, könnte der 72-Jährige Gauck mit dem Motto 'mehr Vertrauen wagen' das höchste Staatsamt prägen."

Und der Mannheimer Morgen meint: "Dieser neue Präsident macht keinen Hehl aus seinem Patriotismus und ist dennoch überzeugter Europäer; er hält die Fahne der Freiheit hoch, nimmt aber die Sorgen der Unterprivilegierten ernst; Gauck verleiht zwar den Worten stets einen Anflug von Pathos, sein unverkrampfter Klartext setzt sich gleichwohl erfrischend von den Worthülsen der Politikerkaste ab. Er hat eine kluge, tiefschürfende Antrittsrede gehalten. Wenn allein die Macht des Wortes die stärkste Waffe des Staatsoberhaupts ist, dann wird Gauck wohl ein ganz Mächtiger. Er tut Deutschland gut."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt

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