Griechische Sparmaßnahmen "Menschen als Verfügungsmasse"
10.02.2012, 21:07 Uhr
Steine und Brandflaschen als Antwort auf Lohnkürzungen und Entlassungen: Griechenland taumelt angesichts eines mächtigen Sparpakets. Doch wohin? Ans sichere Ufer oder in den Untergang? "Die Kuh ist noch lange nicht vom Eis", meint n-tv.de. Und was sagen die anderen?
Die Westfälische Rundschau meint zu den Sparauflagen für Griechenland:"Griechenland steht am Abgrund. Es droht ins Chaos zu stürzen, weil das europäische Krisenmanagement versagt. Sparen allein genügt nicht, schon gar nicht, wenn es auf dem Rücken der Schwächsten geschieht. Seltsam, aber wiederum auch typisch, dass der Regierung Papademos nichts anderes einfällt als Kürzungen bei Rentnern, Arbeitnehmern, Kindern, bei jenen, die ohnehin nichts haben und die auch von den üppigen Zeiten nicht profitierten. Die Vermögenden werden geschont. Die in der Not noch einmal verschärfte Ungerechtigkeit macht die Lage explosiv, und Europa bietet seinem größten Sorgenkind keine Perspektive an."
Die Berliner Zeitung meint: "Die Fortschritte in Griechenland sind größer als vielfach unterstellt. Schon deswegen wäre es töricht, ausgerechnet jetzt den Geldhahn zuzudrehen und die unkontrollierte Pleite einzuleiten. Das nächste Hilfspaket für Griechenland senkt mit dem Verzicht der privaten und wohl auch öffentlichen Gläubiger die Schuldenlast auf ein Niveau, das schwer erträglich bleibt und dennoch eine spürbare Entlastung bringt. Zugleich hat die Europäische Zentralbank mit ihren massiven Hilfen für die Banken und die klammen Euro-Staaten die Ansteckungsgefahr für Italien und Spanien ein wenig gemildert. Gerade in Deutschland kann niemand Interesse daran haben, die gesamte Währungsunion in neue, noch dramatischere Turbulenzen zu stürzen."
Die Mitteldeutsche Zeitung schreibt: "Damit ist die Krise nicht gebannt. Das Sparen haben die Deutschen durchgesetzt. Aber sie bieten keine Antwort auf die Frage, wie die Wirtschaft in den Krisenländern wieder Fahrt aufnehmen soll. Noch immer herrscht Ungewissheit, ob die Umschuldung Griechenlands wirklich ein Einzelfall ist, wie es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verspricht. Bis heute müssen auch die Kreditgeber Italiens, Spaniens und Portugals Verluste fürchten, was schnell wieder zu Attacken auf diese Länder führen kann. Doch die Lage im Euro-Raum hat sich insgesamt etwas beruhigt. Da kann gerade in Deutschland niemand Interesse daran haben, die gesamte Währungsunion in neue Turbulenzen zu stürzen. Das Geld für das nächste Griechenland-Programm ist gut angelegt."
Die Nürnberger Nachrichten finden: "In Griechenland geht es längst nicht mehr nur um das brutale Sparpaket, das die verhassten Troika-Kontrolleure erzwungen haben. Für viele Griechen steht ihre Existenz auf dem Spiel. Und es geht um ihre Würde. Es ist diese Dimension, die in diesem so unerbittlichen Ringen um Milliardenbeträge vollends unterzugehen droht. Das Krisenmanagement, das wir seit Monaten beobachten, ist fast vollständig darauf ausgerichtet, was "die Märkte" dazu sagen. Das Schicksal der Menschen in Griechenland droht zur bloßen Verfügungsmasse zu verkommen. Das aber darf einfach nicht sein."
Der Münchner Merkur warnt: "In der griechischen Öffentlichkeit brennt es lichterloh. Die kleinen Leute, die keinerlei Schuld am staatlichen Schuldensumpf tragen, fühlen sich einem unerbittlichen Schraubstock ausgeliefert, ohne das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Sie reagieren mit Verzweiflung und zielloser Wut, die sich immer hässlichere Vehikel sucht. Auf der anderen Seite die Deutschen, die aus der komfortablen Perspektive eines schier endlosen Wirtschaftsaufschwungs über den Ertrinkenden schimpfen, der nach der Hand mit dem Rettungsring schlägt. Das ergibt ein explosives Gemenge aus Unkenntnis, Missverständnissen und Ressentiments, das entschärft werden muss, bevor es unkalkulierbare Folgen zeitigt."
Das Delmenhorster Kreisblatt meint: "Schließlich - und auch dies fehlt leider in den solidarisch anmutenden Rettungsprogrammen - braucht Griechenland keinen europäischen Sparkommissar, sondern einen Investitionskommissar, der gemeinsam mit den Griechen Zukunftspotenziale erschließt. Dies ist in den zurückliegenden zwei Jahren versäumt worden. Europa trägt deshalb eine Mitverantwortung für das, was derzeit auf den Straßen Athens passiert."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt