Der Griechenland-Notfallplan der EU "Merkel verrät europäische Idee"
25.03.2010, 20:25 UhrDeutschland und Frankreich geben Europa die Linie zur Rettung Griechenlands vor. Mit bilaterlen Hilfen, notfalls dem IWF, soll dem verschuldeten Land im Zweifel beigesprungen werden. Während n-tv.de die harte Haltung der Kanzlerin gegenüber den klammen Griechen begrüßt, rügen die deutschen Zeitungen in großer Zahl den Kurs Merkels. Sie verrate die europäische Idee, " Merkel instrumentalisiert die traditionelle Achse Paris- Berlin für nationale Interessen - nicht etwa für Europa".
Die Financial Times Deutschland kommentiert: "Das dringlichste Ziel würde der jetzt gefundene Kompromiss erreichen: der griechischen Schuldenkrise Herr zu werden, ohne die Griechen komplett aus der Pflicht zu entlassen." Die Bedingungen für die Hilfe stünden nun endlich eindeutig fest, und sie seien streng. "Die schlechte Nachricht: Das bisherige Regelwerk für die Währungsunion, der Stabilitätspakt, ist von nun an obsolet. Die sogenannte "No-Bailout"-Klausel im Maastricht-Vertrags ist so konkret formuliert, ihre Intention so eindeutig, dass ein Verstoß im Wort wie im Geist vorliegt, sobald einem Euro-Mitglied finanziell ausgeholfen wird. Man kann sich für einen solchen Bruch bewusst entscheiden, wenn die Lage es erfordert. Im Fall Griechenlands tut sie es. Dann aber muss man sich zugleich auf die Suche nach neuen Mechanismen verpflichten, um die Stabilität des Euro zu sichern. Und zwar nicht nur in einer Arbeitsgruppe."
Die Frankfurter Rundschau blickt kritisch auf das Vorgehen von Bundeskanzlerin Merkel: "Wenn die deutsche Bundeskanzlerin nun den Internationalen Währungsfonds ruft, um Griechenland zu retten, dann verrät sie die europäische Idee, das europäische Projekt. Welch jämmerliches Bild! Und welch Schmach für die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank. Als ob die addiert größte Wirtschaftsmacht ein Problem von der Größe Hessens nicht allein lösen könnte. Ist der IWF die Lösung, ist das europäische Projekt beendet. Dann ist der Weg in kleine nationale Währungen vorgezeichnet, die zwischen dem Dollar und dem chinesischen Yuan zerrieben werden, genauso wie das Ideal eines sozialen und friedlichen Europa."
Auch die Westfälischen Nachrichten kritisieren das Verhalten Merkels. "Die Zweifel an Merkels europäischem Geist lassen sich auch nicht dadurch zerstreuen, dass sie kurz vor Beginn des Spitzentreffens in Brüssel den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy auf ihre Seite gezogen hat. Merkel instrumentalisiert die traditionelle Achse Paris-Berlin für nationale Interessen - nicht etwa für Europa. Und ganz nebenbei: Der Franzose ahnt, wer als Siegerin aus diesem Gipfel hervorgehen wird. Nach der jüngsten derben Wahlschlappe will Sarkozy wieder etwas Glanz aus Brüssel mit auf dem Heimweg nehmen."
"Mit nationaler Borniertheit werden die Finanzprobleme schwächelnder EU-Staaten nicht zu bewältigen sein", schreibt das Neue Deutschland schreibt zur Rolle von Bundeskanzlerin Merkel. "Es ist schon reichlich grotesk, dass eine Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen den Blick der Bundeskanzlerin Angela Merkel derart trübt, dass die gelernte Naturwissenschaftlerin öffentlich zu einer nüchternen Problemanalyse nicht mehr im Stande ist. So richtig es ist, dass in Griechenland über Jahre statistische Mauscheleien, Korruption und Steuerhinterziehung weit über dem EU-Durchschnitt lagen und damit ein Teil der Haushaltskrise hausgemacht ist, so falsch ist es, die griechische Krise Athen ausschließlich anzulasten."
Ins gleiche Horn stößt auch die Rhein-Neckar-Zeitung. "Jetzt macht Merkel auf schwäbische Hausfrau: Die Pleite der Griechen verhindern sollen andere. Zum Beispiel der IWF - und nur im äußersten Notfall starke Länder der Gemeinschaft. Das Signal heißt: Völlig fallen lassen werden wir euch nicht. Aber Strafe und Spießrutenlaufen muss sein. Es ist ein pädagogisch nachvollziehbares Spiel einer um die Währungsstabilität besorgten Kanzlerin. Aber Merkels kühler Fingerzeig zum IWF leugnet die zentrale Mitschuld der Gemeinschaft am Desaster. Und zudem fehlte dem Euro von Anfang an das Wichtigste: eine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik."
Die Ostsee-Zeitung sieht deshalb auch eine noch viel größere Herausforderung auf Europa zukommen. "Mittelfristig braucht der Euro, will er denn überleben, eine völlig neue Vertragsbasis. Er braucht eine weitgehend abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Leistungsstarken wie Deutschland Zügel anlegt und Schwächeren wie Italien Druck macht. Ja, sie notfalls aus der Euro-Zone verweist. Solidarität - koste es was es wolle - gefährdet letztlich die gemeinsame Währung. Griechenland selbst kann erst einmal durchatmen. Gerettet ist es nicht. Athen muss aufpassen, dass der selbstauferlegte Spardruck nicht in eine volkswirtschaftliche Depression mündet, die die griechische Demokratie gefährdet. Dann wird man den Schritt bedauern, den man heute nicht gehen will: nämlich die Rückkehr zur Drachme. Der alten Währung, die man - befreit von den Euro-Fesseln - abwerten und somit den Haushalt sanieren könnte."
Zusammengestellt von Till Schwarze
Quelle: ntv.de