Pilotenstreik bei der Lufthansa "Minderheit nimmt Mehrheit zur Geisel"
01.04.2014, 21:13 Uhr
Der Streik der Lufthansa-Piloten spaltet die deutsche Presselandschaft. Während einige den Piloten eine Ausnutzung ihrer Schlüsselposition zum Schaden der Passagiere vorwerfen, sehen andere in dem Streik ein logische und notwendige Abwehrreaktion auf grobe Einsparungsversuche der Fluggesellschaft. Und auch darüber, wie die Politik auf diesen mit empfindlichen Einbußen verbundenen Streik reagieren soll, herrscht keine Einigkeit.

Nichts geht mehr am Frankfurter Flughafen: Nutzt hier eine privilegierte Berufsgruppe ihre Position schamlos aus?
(Foto: picture alliance / dpa)
"Es geht darum, ob es Deutschlands größter Fluglinie gelingt, ihr Erbe als Staatsbetrieb abzuschütteln", urteilt die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle. Das Management setze bei den Besitzständen der Piloten an, welche ihrerseits bestens organisiert aufträten. "Ein Durchbruch bei den Piloten macht es künftig einfacher, auch in der übrigen Belegschaft Besitzstände zu kappen", schätzt die Zeitung das Kalkül der Lufthansa ein. Die Pilotengewerkschaft Cockpit müsse durch den Streik mit aller Gewalt dagegen halten, auch wenn ein baldiger Kompromiss unvermeidlich sei. "Einige Abstriche bei der Frührente sind die wahrscheinlichste Variante". Dies wäre jedoch kein entscheidender Durchbruch beim notwendigen Umbau des Konzerns, weshalb weitere Schritte folgen müssten.
Ob jede Minderheit die Mehrheit zur Geisel nehmen dürfe, fragt hingegen die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Dürfen die Vorfeldlotsen, das Kabinenpersonal, Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten, die Fluglotsen oder die Piloten immer dann fast den kompletten Flugverkehr lahmlegen, wenn sie mehr Geld, eine höhere Betriebsrente, längere Pausen oder luxuriöse Frührenten haben möchten?". Der Pilotenstreik bei der Lufthansa sei so unverhältnismäßig, dass sich die Frage stelle, ob die Tarifvertragsfreiheit noch zu Recht über allem steht und nicht irgendwann auch im Streikrecht die Grenze zum Missbrauch überschritten werde. "Natürlich tragen Piloten eine hohe Verantwortung", konzediert die FAZ, doch das täten andere auch. "Inzwischen steht die Lufthansa in einem Wettbewerb, der immer härter wird", erinnert das Blatt an die Perspektiven in der Luftfahrtbranche.
Es sei erstaunlich, "welche Macht kleine ständische Gewerkschaften im 21. Jahrhundert" noch hätten, schreibt die Hessische Niedersächsische Allgemeine aus Kassel. Dies habe man beim Lokführerstreik gesehen und eine halbe Million betroffene Passagiere erlebten es derzeit bei der Lufthansa. "Dabei geht es den Piloten, die zu Deutschlands angestellten Spitzenverdienern zählen, nicht etwa um die Warnung vor beeinträchtigter Flugsicherheit, weil sie zu lange Arbeitszeiten haben. Sie fordern zehn Prozent mehr Gehalt und komfortablere Übergangsregelungen bis zum Erhalt der gesetzlichen Rente", bewertet die Zeitung die Motivation der Streikenden. Doch gebe es inzwischen nichts mehr zu verteilen: "Die Luftfahrtbranche steht auch wegen der zunehmenden Konkurrenz aus Nah-und Fernost unter großem Kostendruck. Doch so weit denkt die Spartengewerkschaft Vereinigung Cockpit nicht. Je länger der Kranich am Boden bleibt, desto höher werden Einnahmeausfälle und Imageverlust", kritisiert das Blatt den Stillstand bei Deutschlands größter Fluggesellschaft.
Etwas differenzierter bewertet die Rheinpfalz aus Ludwigshafen das Verhalten der dienstverweigernden Flugzeugkapitäne. Diese machten sich unter den gestrandeten Passagieren sicher keine Freunde: "Eine kleine Gruppe von nicht mehr als 5400 Beschäftigten erzielt mit ihrem Streik maximale Wirkung. Die Spezialisten, so scheint es, nutzen ihre Schlüsselstellung schamlos aus". Doch diese Lesart sei nur vordergründig. Das Unternehmen sei bei dem Versuch, Personalkosten einzusparen, recht rustikal vorgegangen. "So ein Versuch, eine Vorruhestandsregelung einfach zu halbieren, wäre auch von Beschäftigten anderer Branchen nicht ohne Reaktion hingenommen worden", so die Einschätzung der Rheinpfalz.
So setzte neben den Piloten zuletzt auch das im Öffentlichen Dienst beschäftigte Bodenpersonal der Flughäfen seine Arbeitskraft als Instrument im Tarifgerangel ein, wirft die Lüneburger Landeszeitung ein. Deren Begehren seien mittlerweile erhört worden, während der "Tarifstreit mit den für Passagiere sehr ärgerlichen und für die Fluggesellschaften sehr teuren Streiks" der Piloten andauere. Stimmen, die nun eine Änderung des Streikrechts fordern, seien daher als populistisch einzustufen. "Betroffen wären alle Gewerkschaften, das bewährte Gegengewicht zur Aussperrung abgeschwächt", befindet das Blatt. "Die Politik wäre gut beraten, die Finger von der Tarifhoheit zu lassen. Und sich daran zu erinnern, dass die Tarifparteien wesentlich zum Aufschwung in Deutschland beigetragen haben."
Quelle: ntv.de, bwe/dpa