Lufthansa-Streik beginnt Mittwoch Triumph der Kleingewerkschaften
01.04.2014, 16:44 Uhr
Mini-Gewerkschaften wie die Piloten-Vereinigung Cockpit bei der Lufthansa sollen entmachtet werden.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Bahn hält Reservezüge bereit, Tausende Flüge fallen aus. Der Megastreik bei der Lufthansa belebt eine Diskussion neu: Dürfen Piloten, Lokführer und Fluglotsen mit ihren Mini-Gewerkschaften die Öffentlichkeit lahmlegen?
Der größte Arbeitskampf in der Geschichte der Lufthansa ist wohl nicht mehr abzuwenden: "Ich glaub' nicht, dass wir jetzt vor dem Streik noch eine Einigung finden werden", sagte eine Konzern-Sprecherin. Deutschlands größte Airline hat vorsorglich bereits 3800 Flüge gestrichen. Die Bahn hält vor dem Streik Reservezüge bereit. Je nach Wochentag sind ein bis zwei Dutzend IC- und ICE-Züge dafür frei. Passagiere von Lufthansa und Germanwings erhalten Gutscheine für die Züge. Bundesverbraucherminister Heiko Maas (SPD) hat die Lufthansa aufgerufen "Umbuchung oder Kostenerstattungen unbürokratisch und kulant zu ermöglichen".
Der Streik der Lufthansa-Piloten verursacht aber nicht nur einen enormen Wirtschafts- und Imageschaden. Er könnte auch Gesetzespläne für ein Zurückdrängen von Mini-Gewerkschaften forcieren. Denn eigentlich soll es solche Streiks von Arbeitnehmern in Schlüsselberufen nach dem Willen der Großen Koalition bald gar nicht mehr geben. Sie hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Tarifeinheit gesetzlich zu verankern, wonach in einem Betrieb nur eine Gewerkschaft vertreten sein darf.
"Situation wie vor Margaret Thatcher"
Bei der Industrie stoßen solche Pläne naturgemäß auf große Gegenliebe. Wegen der Spartengewerkschaften herrsche im deutschen Flugverkehr "eine Situation wie in Großbritannien vor Margaret Thatcher", polterte damalige der Konzernchef Christoph Franz im April 2013. Beinahe im Drei-Monats-Abstand werde die Branche durch Streiks der Klein-Gewerkschaften beeinträchtigt. Es müsse endlich ein Rahmen geschaffen werden, der die Streikgefahr auf ein verträgliches Maß reduziere, meint auch Michael Frenzel. Ein wichtiger Schritt wäre "die schnelle Rückkehr zur Tarifeinheit", glaubt der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft.
Bisher ist aber noch nicht viel passiert. Denn die Umsetzung des Vorhabens ist ein verfassungspolitischer Drahtseilakt. "Die Tarifeinheit wird und sollte nicht kommen", sagt Ökonomieprofessor Bert Rürup. Gegen eine Einführung sprächen hohe verfassungsrechtliche Hürden - vor allem Artikel 9 Grundgesetz, dem zufolge Arbeitnehmer sich frei zu Gewerkschaften zusammenschließen dürfen, die sogenannte Koalitionsfreiheit. Sein Fazit: "Die Tarifeinheit wird mit einem unendlichen politischen Tauziehen verbunden sein." Rürup kennt sich mit Tarifauseinandersetzungen aus: Im Herbst 2012 schlichtete er den Clinch zwischen der Flugbegleiter-Gewerkschaft und der Lufthansa.
Eine Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien brütet nun über einer rechtssicheren Lösung. Die Juristen der Fachabteilungen wollen es offenbar mit einem Kniff versuchen: Innerhalb eines Betriebs soll sich die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern durchsetzen, wenn es um Tarifverhandlungen- und Verträge geht. "Eine Lösung muss beiden Seiten - großen wie kleinen Arbeitnehmervertretungen, der Arbeitgeber- wie der Arbeitnehmerseite gerecht werden", sagt ein Sprecher des Arbeitsministeriums. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) arbeitet an einem ganzen "Tarifpaket", das noch vor der Sommerpause ins Kabinett gehen und dann in den Bundestag eingebracht werden soll.
Klein, aber oho
Spartengewerkschaften sind klein, aber häufig sehr schlagkräftig. Als die Piloten vor vier Jahren bei ihrem letzten Streik nur einen Tag nicht ins Cockpit stiegen, fielen bei der Lufthansa auf einen Schlag 1000 Flüge aus. "Die sind so mächtig, weil ihre Mitglieder gut ausgebildet und in Schlüsselpositionen vertreten sind", sagt Daniel Schultheis, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons. Zudem sorge der gemeinsame Beruf für Geschlossenheit, und zwar nicht nur bei den Piloten. Ein Arbeitskampf lasse sich so wesentlich einfacher organisieren als etwa bei großen Gewerkschaften wie Verdi.
In Anbetracht der Vorteile sei es verwunderlich, dass sich nicht mehr Berufskollegen zu eigenen Gewerkschaften zusammenschließen, meint Jura-Professor Ulrich Preis. Zumal das Bundesarbeitsgericht 2010 in einem Grundsatzurteil die Position der Kleinen zementierte. Damals sei befürchtet worden, dass die Tariflandschaft wegen neuer Gewerkschaften vollkommen zersplittere - grundlos, wie sich heute herausstelle. "Eigentlich leidet nur die Lufthansa, daneben sind noch die Bahn betroffen und die Ärzte", sagt Preis. Fluglotsen sind bei der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisiert, Flugbegleiter bei Ufo, Lokführer in der GdL, der Marburger Bund vertritt die Interessen der Ärzte und die Vereinigung Cockpit die der Piloten.
Gewerkschaften blasen zum Sturm
Zudem formiert sich aktiver Widerstand gegen die Pläne von Schwarz-Rot. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, wies die Pläne kategorisch zurück: "Das Streikrecht ist ein Grundrecht, deshalb lehnen wir jeden gesetzlichen Eingriff ab". Seine Gewerkschaft stehe dem geplanten Gesetzespaket "kritisch und ablehnend gegenüber". Auch wenn Verdi die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten stelle, wolle man die Pilotenvereinigung Cockpit bei Tarifverträgen nicht ausbooten. Bsirske nannte es absurd, wenn Verdi für die Piloten Tarifverträge machen sollte, obwohl diese in einer anderen Gewerkschaft engagiert seien.
Das Vorgehen von Schwarz-Rot ist nicht der erste Versuch, die Tarifeinheit einzuführen: 2010 startete der Arbeitgeberverband BDA in seltener Einheit mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und Verdi einen Vorstoß. Die Gewerkschafter fürchteten, dass ihnen die neuen Rivalen Mitglieder abspenstig machen. Verdi zog sich allerdings nach heftigem Einspruch der eigenen Basis bald wieder zurück und das Vorhaben floppte.
Luftfahrt, Bahn und Krankenhäuser genössen zudem eine extreme Aufmerksamkeit, die aber nicht unbedingt mit der ökonomischen Relevanz zusammenhängt, meint Ronald Bachmann, Gewerkschaftsexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. "Es gibt viele Leute, die sich ärgern, wenn der Zug wegen eines Streiks verspätet ist, aber es entsteht daraus kein großer volkswirtschaftlicher Schaden." Wegen der geringen Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft sei es daher schwer vorstellbar, warum zentrale Arbeitnehmerrechte wie das Streikrecht beschnitten werden sollten.
Quelle: ntv.de, hvg/rts/DJ