Pressestimmen

Neue Neonazi-Datei startet "Nur ein Beruhigungsplacebo?"

Bei den Ermittlungen rund um die NSU-Morde reihte sich eine Panne an die nächste. Ermittler tauschten ihre Erkenntnisse nicht untereinander aus und tappten zu lange im Dunkeln. Damit sich das nicht wiederholt, nimmt nun die neue Neonazi-Datei den Betrieb auf. Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner sollen dort zentral gesammelt werden. Die Presse diskutiert die neue Datei – und ist sich über deren Tauglichkeit nicht einig.

Bundesinnenminister Friedrich nimmt die neue Neonazi-Datei in Berlin in Betrieb.

Bundesinnenminister Friedrich nimmt die neue Neonazi-Datei in Berlin in Betrieb.

(Foto: dpa)

"Die Einrichtung einer zentralen Datei über rechtsextreme Gewalttäter und deren Hintermänner nach dem Vorbild der islamistischen Antiterrordatei ist überfällig", meint der Mannheimer Morgen. "Terror ist eine Bedrohung, die es konsequent und entschlossen zu bekämpfen gilt, egal, von wem diese Gefahr ausgeht."

Straubinger Tageblatt und Landshuter Zeitung beurteilen die Datei hingegen kritisch: "Mit der neuen Verbunddatei ist es nicht getan, weil die Zusammenführung der Daten nichts, aber auch überhaupt nichts an den verkrusteten Strukturen und dem Nebeneinander der 36 rivalisierenden Sicherheitsbehörden in diesem Land ändert, die eifersüchtig ihr Revier verteidigen und sich von niemandem in die Karten blicken lassen wollen. Ein erster Versuch von Innenminister Hans-Peter Friedrich, die Verfassungsschutzämter neu zu strukturieren, ist am Widerstand seiner Kollegen in den Ländern bereits gescheitert. Dieser Egoismus macht Deutschland nicht sicherer."

Auch die Rhein-Necker-Zeitung bezweifelt den Nutzen des Projekts: "Ein kleiner Klick für den Innenminister, ein großer Schritt im Kampf gegen den Rechtsextremismus? Schön wär's. Denn bei genauer Betrachtung ist die neue Neonazi-Verbunddatei nicht mehr als der verzweifelte Versuch, die grundlegenden Probleme der deutschen Sicherheitsbehörden zu überdecken. Doch die zwischenbehördlichen Eifersüchteleien (...) lassen sich nicht einfach mit einer neuen Software übertünchen. Hier sind - das kann man nur immer wieder wiederholen - tiefgreifendere Reformen nötig."

Ob die Neonazi-Datei wirklich sinnvoll sei, könnten nur die Intention zeigen, die dahinter steckten, schreibt die Lüneburger Landeszeitung: "Wollten Politiker früher Tatendrang vortäuschen, um ein Problem tatsächlich ins langsame Vergessen rutschen zu lassen, gründeten sie einen Arbeitskreis. Im Zeitalter neuer Medien heißt dieses Potemkinsche Allheilmittel 'Datei'. Das Zwickauer Neonazi-Trio konnte nur deswegen unbehelligt eine Blutspur durch die Republik ziehen, weil die ermittelnden Behörden eine unfassbare Kette von Versagensfällen aneinanderreihten. Dieses Versagen muss aufgearbeitet werden. Soll die Neonazi-Datei dazu der erste Schritt sein, ist sie zu begrüßen. Soll sie nur als Beruhigungsplacebo dienen, spielt die Politik den Feinden der Demokratie in die Karten."

Quelle: ntv.de

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