Zweites Landesparlament für Piraten "Phänomen des Zeitgeistes"
26.03.2012, 20:58 UhrNach Berlin zieht die Piratenpartei im Saarland in das zweite Landesparlament ein. Nach der sonst eher unspektakulären Saarlandwahl bieten sie den Stoff für Vergleiche mit den Grünen, werden als Übergangsphänomen abgetan oder als willkommene Aufrührer gelobt. Einig sind sich die Kommentatoren, dass die junge Partei die etablierten Parteien in Zugzwang bringen könnte.

Kaum ein Unterschied zu Profis: Piraten-Bundesvorsitzender Sebastian Nerz nach der Saarlandwahl.
(Foto: REUTERS)
Für die Ludwigsburger Kreiszeitung ist die Sache klar: "Die Piraten haben den Status eines Phänomens jetzt hinter sich gelassen. Ihre Stärke liegt in der Schwäche der etablierten Parteien", schreibt das schwäbische Blatt.
Darin sieht der Kölner Stadt-Anzeiger eine Chance für das Parteiensystem: "Was die Piraten können, ist: produktive Unruhe und neue Spannung ins Parlament bringen, althergebrachte Abläufe hinterfragen - und vielleicht auch tatsächlich etwas von der versprochenen Transparenz in den Parlamentsbetrieb bringen." Zugleich betont das Blatt vom Rhein die damit einhergehende Pflicht der Wähler: "Gerade potenzielle Wähler von Rot-Grün, die zugleich mit den Piraten sympathisieren, werden sich aber entscheiden müssen: Wollen sie ihre Stimme inhaltlich und machtpolitisch nutzen - oder wollen sie lieber die Politik ein wenig aufmischen?"
Die Andersartigkeit der Piraten sieht auch der Westfälische Anzeiger positiv: "Schon dieses Anderssein (war) genug, das Feld der kleinen Parteien im Saarland gehörig aufzumischen." Das allein reicht nach Ansicht der Zeitung aus Hamm jedoch nicht, um schon Politik machen zu können. "Der Reiz des Neuen, von dem die Piraten profitieren, taugt bestimmt nicht für die Ewigkeit; zumal die Partei noch nie in der Pflicht war, tragfähige und wegweisende Konzepte liefern zu müssen."
Ähnliches wurde auch schon vor 30 Jahren über die Grünen geschrieben. Der Vergleich mit der einst aufrührerischen Ökopartei liegt für die Pforzheimer Zeitung nahe: "Die demokratischen Youngsters halten den Altehrwürdigen ein ungestümes Spiegelbild entgegen. Vieles, von dem, was dort zu sehen ist, mag weder sinnvoll noch umsetzbar sein. Ein Impuls, die eigenen Positionen kritisch zu betrachten, bleibt es dennoch. Das hat in jüngerer Zeit schon mal recht gut funktioniert. Es ging allerdings nicht um das Internet, sondern die Umwelt. Die Partei hieß 'Die Grünen'", schreibt die Pforzheimer Zeitung.
Auch die Heilbronner Stimme bemüht den Vergleich mit den Grünen: "Die Piraten sind die neuen Grünen, umweht vom Zeitgeist, und mit einem anderen Markenkern. Statt auf Ökologie und Anti-Atomkraft setzen die politischen Freibeuter auf Themen, die junge Wähler ansprechen: die Zukunft des Internet, ein "bedingungsloses Grundeinkommen" für alle und die (digitalisierte) Beteiligung an allen Entscheidungen." Skeptisch ist aber auch das Blatt aus dem Südwesten, was die Dauerhaftigkeit der Piraten als politische Kraft angeht: "Die neue Protestpartei schwimmt auf einer Sympathiewelle, weil sie alles anders macht: Online-Jubel per Twitter, keine Rechts-Links-Debatten, sondern eine offen zur Schau gestellte Orientierungssuche. Aber ob das auf Dauer reicht, um im politischen Alltag zu überleben?"
Einen ganz anderen Ansatz wählen die Nürnberger Nachrichten. Sie sehen die Piraten als Ablöse für die gescheiterte FDP. "Die Ideen der Piraten sind in manchen Punkten deckungsgleich mit dem ursprünglichen liberalen Gedankengut. Mit dem Unterschied, dass die FDP über Jahre hinweg (...) ihre eigenen Wurzeln (Bürgerrechte, Freiheit) verleugnete. Deswegen wundert es nicht, dass sich nun der Aufstieg der Piraten fast zeitgleich mit dem Verschwinden der FDP aus den Parlamenten vollzieht."
Nicht alle Pressestimmen gehen so wohlwollend mit den "Freibeutern" um. Die Eßlinger Zeitung kritisiert: "Einerseits setzen die Neulinge auf das klassische deutsche Modell der Mitgliederpartei - mit Strukturen bis auf die kommunale Ebene. (…) Doch ihre programmatische Einfalt deutet andererseits darauf hin, dass die Piraten eher ein Phänomen des Zeitgeistes sind." Ähnlich sieht das die Leipziger Volkszeitung, die bei den Piraten eine "platte Anti-Parteien-Rhetorik" ausmacht. Diese treffe zwar "einen Nerv, ist aber auch nicht viel besser als jene Machtrituale, gegen die sie agitieren", meint die Zeitung aus Sachsen.
Noch härter geht der Mannheimer Morgen mit den parlamentarischen Neulingen ins Gericht: "Die Kandidaten sind austauschbar, ihre inhaltlichen Aussagen nicht so wichtig. Sie werden auch, aber nicht nur aus Protest gegen etablierte Parteien gewählt." Die Zeitung aus Mannheim sieht im basisdemokratischen Ansatz der Piraten eher eine Mogelpackung: "Programme werden nicht von oben vorgegeben, sondern basisdemokratisch aufgestellt. Praktischer Nebeneffekt: Damit lassen sich Defizite prima als menschliche Schwächen verniedlichen."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Nora Schareika