Streit um Zuwanderung "Punktesystem längst überfällig"
18.10.2010, 21:04 UhrSprachtests und Punktesystem, Greencards und Fachkräftemangel: Die Integrationsdebatte ist in vollem Gange. Manche halten sie für schlecht geführt, gar abschreckend. Die deutschen Tageszeitungen diskutieren jedenfalls fleißig mit.
Die Hannoversche Allgemeine Zeitung schreibt: "Ohne weitere Zuwanderung wird es nicht gehen, wie der Bundeswirtschaftsminister betont. Er steht vor einem Problem, das sich nicht per Gesetz und Verordnung lösen lässt: Was ist, wenn die qualifizierten Ausländer aus aller Welt gar nicht zu uns kommen wollen? Schon bei der Vergabe von Greencards vor zehn Jahren stellte sich heraus, dass Deutschland kein attraktives Ziel für Hochqualifizierte ist. Die aktuelle Zuwanderungsdebatte, so ist zu befürchten, wird ein Übriges leisten."

An einem Marktstand in Berlin-Neukölln.
(Foto: dpa)
Die Westdeutsche Zeitung aus Düsseldorf befürwortet ein Punktesystem: "Nur wer Anforderungen an Bildung, Berufsqualifikation und Sprachkenntnisse erfüllt, darf sich in Deutschland niederlassen. Ein Punktesystem ist fair und berechenbar, und es ist längst überfällig. Zudem hat es auch einen Nebeneffekt. Wer sich hochqualifizierte Einwanderer ins Land holt, die darüber hinaus auch noch ein Mindestmaß an Sprachkenntnissen mitbringen, braucht sich bei dieser Gruppe um Integration, besser: um mangelnden Integrationswillen, nicht groß zu kümmern. Wer unsere Sprache spricht, bei uns Geld verdienen will und kann und sich auch noch willkommen fühlt, wird sein Dasein kaum in kultureller Isolation verbringen wollen."
Der Mannheimer Morgen sieht das ähnlich: "Wer Fachkräfte anlocken will, muss ihnen attraktive Konditionen anbieten. Dazu gehört natürlich auch eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung inklusive später möglicher Einbürgerung plus Familiennachzug. So machen es die klassischen Einwanderungsländer wie die USA oder Kanada und gewinnen den Wettbewerb um die klugen Köpfe. Deutschland hat da wenig zu bieten. Hinzu kommen als Abschreckung die viel zu hohen Mindestverdienste von 66.000 Euro für ausländische Arbeitskräfte. 40.000 Euro wären ausreichend. Seehofer wird sich mit seinen populistischen Parolen wohl kaum durchsetzen. In der Koalition ist inzwischen auch die Einführung eines Punktesystems nicht mehr tabu. Ein solches hat schon die Zuwanderungskommission 2001 vorgeschlagen unter Vorsitz der CDU-Politikerin Rita Süssmuth."
Und auch die Rhein-Neckar-Zeitung meint: "Auch wenn Sarrazins Buch auf dem Index der Political Correctness steht - es bildet das Drehbuch für eine verspätete Diskussion. Würde die Ausländerdebatte jetzt vom Kopf auf die Füße gestellt, indem definiert wird, welche Art Zuwanderung wir wollen, wäre das Thema auch bald konsensfähig sieht man von den Xenophoben in der CSU oder den letzten Anhängern jener These ab, die meint, Deutschland habe die historische Pflicht, alle aufzunehmen. Wir brauchen Zuzug, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Dabei kann auch ein sinnvolles Punktesystem die Hürden definieren."
Die Rhein-Zeitung kommentiert: "Der Gesetzentwurf des Bundes zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zeigt, wie schnell und pragmatisch es gehen kann, wenn ökonomische Zwänge die Feder führen. Und man muss keine Sorge haben, dass die Bundesländer, die für einen anderen Teil der Berufe zuständig sind, nicht nachziehen werden. Selbst Horst Seehofer wird dies wollen. Er muss nur in die Wirtschaft seines Freistaates hineinhören. Es ist ein sehr einfaches, entschlossenes Gesetz. Und gerade in seiner Einfachheit macht es deutlich, wie ignorant diese Gesellschaft bisher mit dem Thema umgegangen ist vor allem mit den betroffenen Menschen. Eine Ärztin als Putzfrau, ein Ingenieur als Taxifahrer? Hätten ja nicht kommen müssen."
Die Süddeutsche Zeitung attestiert der Regierung ein schlechtes Themen-Management: "Im Ausland gibt es auf die Zuwanderungsdebatte in Deutschland zwei Reaktionen, die gegensätzlicher nicht sein könnten: schadenfrohe Genugtuung und kopfschüttelnde Enttäuschung. Was, fragen sich die kritischen Nachbarn, reitet die Deutschen diesmal? Schließlich steht keine aktuelle Wahl an, die Kanzlerin ist nicht akut von einem Putsch bedroht, und es gibt keine neue rechtsradikale Partei, die sich von der katastrophal geführten Integrationsdebatte nährt. Der Tenor ist einhellig: Die Union suche auf diesem Wege dem Umfragetief zu entkommen; die plumpe Rhetorik sei Berechnung, die Kanzlerin habe abgeliefert, was die Rechte von ihr verlange. So einfach, so billig. Damit liegen die europäischen Kritiker richtig und doch lenken viele von ihren eigenen Problemen ab. Sarkozy und Strache und Wilders lassen grüßen."
Quelle: ntv.de