Zivilschutz-Konzept der Koalition "Sind wir noch zu retten?"
22.08.2016, 20:38 Uhr
Das Zivilschutzkonzept der Bundesregierung sorgt für Kontroversen. Erstmals seit 1989 soll die Bevölkerung animiert werden, Vorräte an Lebensmitteln anzulegen. Hintergrund ist die Möglichkeit eines bewaffneten Angriffs auf Deutschland. Adäquate Vorsorge oder Panikmache? Auch die Kommentatoren der Tageszeitungen sind sich uneinig.
Die Leipziger Volkszeitung kritisiert die Kommunikationsstrategie der Bundesregierung und fragt: "Sind wir noch zu retten? Erst will der Bundesinnenminister den Volksfestbesuchern die Mitnahme eines Rucksacks verbieten und jetzt sollen die Bürger auch noch wie in Zeiten des heißen Kalten Krieges Wasserflaschen und Eintopfdosen bunkern, um vorübergehend gegen das Schlimmste gewappnet zu sein. Mindestens kommunikativ läuft da einiges ziemlich katastrophal. Jetzt gehört auch wieder Krieg zu den denkbaren Warnszenarien, nicht nur der mögliche punktuelle Terroranschlag. So schürt man Angst und Panik, da die Politik zugleich den Eindruck erweckt, sie habe manches im Staat nicht mehr im Griff."
Der Mannheimer Morgen ist anderer Meinung: "Das neue Zivilschutzkonzept von Innenminister Thomas de Maizière erinnert daran, dass nichts selbstverständlich und Vorsorge der beste Schutz vor unliebsamen Überraschungen ist. Es muss nicht immer ein Terroranschlag sein, es reicht auch ein Hackerangriff aufs Stromnetz, um das öffentliche Leben lahm zu legen. Mit Angst- oder gar Panikmache, wie die Oppositionsparteien kritisieren, hat dies nichts zu tun. Im Gegenteil, ein Staat, der ständig die Sicherheitsgesetze verschärft und die Freiheitsrechte der Bürger einschränkt, steht selber in der Pflicht, sich auf alle denkbaren Unglücks-, Katastrophen- oder Angriffsszenarien vorzubereiten, um seine Bürger zu schützen."
Auch die Badische Zeitung aus Freiburg kann dem Konzept etwas Positives abgewinnen und argumentiert: "Dass Bundestag und Regierung ein solches Konzept überhaupt erarbeiten lassen, ist nicht verwerflich, sondern im Gegenteil schlicht Daseinsvorsorge. Wer, wenn nicht die Politik hätte die Pflicht, regelmäßig die Sicherheitslage zu analysieren, alte Gefährdungslagen in Frage zu stellen, aber auch neue Gefahren ins Auge zu fassen - nebst möglicher Konsequenzen für Prävention und Ernstfall? .... Das Problem ist, dass inzwischen schon die Suche nach diesen Antworten skandalisiert wird - und die Debatte darüber prompt in den nächsten Zoff ums Symbolische mündet. Die Methode - siehe Burka-Verbot - ist bekannt. Weitergebracht hat sie bisher niemanden. Wann lernen wir wieder, miteinander hart, aber fair um Inhalte zu streiten? Weniger Aufgeregtheit, mehr Sachlichkeit - zu wünschen wäre das uns allen."
Die Landeszeitung aus Lüneburg fühlt sich in eine andere Zeit zurückversetzt, lobt die Initiative aber dennoch: "Es wirkt wie ein Ruf aus einer überwunden geglaubten Vergangenheit, wenn das Innenministerium die Deutschen anhält, Vorräte zu bunkern, um sich für Versorgungsengpässe infolge von Terror oder Naturkatastrophen zu wappnen. Die Linke erschauert gar so heftig, dass sie Thomas de Maizière Panikmache vorwirft. Tatsächlich ist nicht das Vorhaben des Ministers übertrieben, sondern die Reaktion darauf. Berlin bereitet nicht die Mobilmachung vor, sondern eine angemessene Vorbereitung auf kommende Herausforderungen. Trotz Augenmaß löst das neue Zivilschutzkonzept ein ungutes Kribbeln im Nacken aus. Nicht, weil es ein Ruf aus der Vergangenheit wäre, sondern einer aus der Zukunft. 1995 schien der islamistische Terror sehr weit weg zu sein. Damals warnten Forscher noch vor dem Klimawandel, heute leben wir ihn ihm. Etwas Vorratshaltung erscheint da durchaus angebracht."
Und auch das Straubinger Tagblatt kann sich den Kritikern des Vorsorge-Konzeptes nicht anschließen: "Mit Angst- oder gar Panikmache, wie die Oppositionsparteien kritisieren, haben die Pläne zum neuen Zivilschutzkonzept nichts zu tun. Im Gegenteil, ein Staat, der ständig die Sicherheitsgesetze verschärft und die Freiheitsrechte der Bürger einschränkt, steht auch selber in der Pflicht, sich auf alle denkbaren Unglücks-, Katastrophen- oder Angriffsszenarien vorzubereiten, um die Sicherheit seiner Bürger zu schützen. Dazu gehört auch dafür zu sorgen, dass genügend Medikamente und Impfstoffe zur Verfügung stehen. Die Empfehlung an die Bundesbürger, Wasser- und Lebensmittelvorräte anzulegen, ist dabei das Geringste aller Probleme. Von Hamsterkäufen hat ohnehin niemand gesprochen."
Die tageszeitung aus Berlin wägt ab: "Die Zeit, in der wir uns existenzielle Krisen im eigenen Land nicht vorstellen konnten, scheint vorbei zu sein. Die Zahl der Anträge auf Waffenscheine geht nach oben. Jetzt auch bald der Verkauf von Mineralwasser. Übertrieben! Andererseits: Beim Amoklauf in München waren die Bewohner/innen einige Stunden angehalten, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Ein paar Stunden - so schnell kann es gehen. Ausnahmezustand. Und dann? Besonders gefährdet seien wir durch Computerviren oder Sabotage, heißt es. Ja, genau. Wenn ich mir gerade vorstelle, dass ich plötzlich nicht mehr auf mein Bankkonto zugreifen könnte, würden mich meine derzeit 2,95 Euro in der Geldbörse nicht einmal über den restlichen Tag retten. Würde aus meinem Wasserhahn kein Tropfen mehr fließen, säße ich sofort auf dem Trockenen. Bis auf ein paar Schnäpse. Die kann ich dann allerdings sehr gut gebrauchen. Prost!"
Zusammengestellt von Anne Pollmann
Quelle: ntv.de