Pressestimmen

EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung "Sperrangelweit offene Türen eingetreten"

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes erklärt die Vorratsdatenspeicherung für unzulässig und ruft damit in der Regierungskoalition unterschiedliche Reaktionen hervor. Bundesjustizminister Heiko Maas sieht nach dem Urteil keinen Grund, eilig einen deutschen Gesetzesentwurf vorzulegen. Innenminister Thomas de Maizière hingegen drängt auf eine "rasche, kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Einigung". Auch die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen sind sich in der Bewertung des Luxemburger Urteils uneins.

Die Nürnberger Zeitung begrüßt das Urteil: "Die Luxemburger Richter haben nicht nur die Brüsseler Politik in die Schranken gewiesen, sie haben vielmehr - für alle Welt sichtbar - ein klares Bekenntnis abgegeben, das für ganz Europa Gültigkeit hat und das besagt: Unsere gemeinsame Rechts- und Werteordnung duldet kein verdachtsunabhängiges Ausspionieren und Überwachen, sondern achtet die Menschenwürde."

Auch das Straubinger Tagblatt goutiert die Entscheidung aus Brüssel: "Im Schatten der Datenschutz-Debatte wird man nun auch eine neue Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung basteln müssen. Und das ist gut so. Denn bei allem Verständnis für die hohen Erwartungen an eine erfolgreiche Polizeiarbeit darf es nicht zu einem Ausverkauf demokratischer Grundwerte kommen."

Die Luxemburger Richter hätten "sperrangelweit offene Türen eingetreten", kommentiert der Münchner Merkur. Vor dem Hintergrund der NSA-Affäre sei es nur schwer denkbar, dass ein Volk unter Generalverdacht geraten könne: "Derlei Forderungen können seit den schockierenden Berichten über die Schnüffelwut diverser US-Dienste selbst die hartgesottensten Polizeipraktiker, Juristen und Politiker nicht mehr erheben, ohne Fragen nach ihrem Geisteszustand zu provozieren."

Die Kieler Nachrichten gehen in ihrer Kritik noch weiter: "Bleibt es dabei, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht geregelt wird, entsteht eine große Sicherheitslücke", schreibt das Blatt. Es gehe den deutschen Ermittlern nur um Verbindungsdaten, nicht um Gesprächsinhalte. Das sei eine "hinnehmbare Einschränkung persönlicher Freiheit, wenn auf der anderen Seite ein Gewinn an Sicherheit steht."

Die Ludwigsburger Kreiszeitung findet angesichts der Reaktionen einiger Unionspolitiker auf das Urteil deutliche Worte: "Alle in Deutschland, die Brüssel kritiklos gefolgt sind, sind blamiert. Oberblamiert ist jemand wie Dorothee Bär, stellvertretende Generalsekretärin der CSU, die gestern jubelte: 'Endlich Klarheit', 'eine wegweisende Entscheidung'. Für wie blöd hält man die Leute? CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich hatte jahrelang mit FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gestritten, die sich störrisch verweigerte. Davor Thomas de Maizière (CDU). Und beide hörten nicht auf, als die liberale Dame weg war und im Herbst Heiko Maas an ihre Stelle trat."

"Die SPD hat zusammen mit der Union im Jahr 2008 schon einmal ein Gesetz vorgelegt, das danach für verfassungswidrig erklärt wurde", schreibt die Westdeutsche Zeitung. Mit dem halbgaren Kompromiss im neuen Koalitionsvertrag, die Daten drei statt sechs Monate speichern zu wollen, habe sich die Koalition, so das Blatt, "erneut nicht gerade mit Bürgerrechts-Ruhm bekleckert". Diese Ehre gebühre stattdessen anderen: "neben den oppositionellen Grünen und Linken, einzig und allein der FDP". So hätte die Ex-Regierungspartei gestern zu Recht "aus allen Rohren Jubel-Presseerklärungen verbreiten" können.

Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.

Quelle: ntv.de

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