Machtwechsel in Spanien "Wähler handeln nicht mehr nüchtern"
21.11.2011, 20:50 UhrDie Schuldenkrise wirbelt die politische Landschaft in Europa durcheinander. Jüngstes Beispiel ist Spanien. Hier erringt die Opposition, die rechts-konservative Volkspartei (PP), bei der Parlamentswahl einen historischen Wahlsieg, während die bislang regierenden Sozialisten (PSOE) das schlechteste Ergebnis seit 30 Jahren einfahren. Auf die neue Regierung unter dem designierten Ministerpräsidenten Mariano Rajoy wartet nach der Wahl die eigentliche Herausforderung: Sie soll das Land aus der schlimmsten Finanzkrise der Nachkriegszeit führen.
"Die spanischen Wahlen werfen einen Schatten, der über das Land hinausreicht", kommentiert der Tagesspiegel den Sieg der Konservativen über die Sozialisten in Spanien: "Die Wähler in Gesellschaften, die in die Turbulenzen der europäischen Krise geraten sind, gehen nicht mehr nüchtern, nach Verdienst und Versagen mit Politikern und Parteien um. Der demokratische Wechsel, Gütesiegel der Wahlentscheidung, ist zu einem Akt des Auswechselns geworden". Die gewaltigen Ausschläge der Stimmen-Gewinne und -Verluste zeigen nach Ansicht der Zeitung an, dass die politischen Verhältnisse gekippt, ja, umgekippt werden. Argwöhnisch bemerkt das Blatt aus Berlin: "Regierungen werden vom Wähler in einen fast aussichtslosen Kampf mit Verschuldung, verordneten Sparprogrammen und allgemeiner Mutlosigkeit geschickt - den verlorenen Haufen gleich, die in der Zeit der europäischen Landsknechtskriege vor der Front kämpften und verschlissen wurden".
Für die Frankfurter Rundschau ist das Wahlergebnis - in einem Land, in dem die Menschen es gewöhnt seien, "für alle Übel ihres Landes die Politik verantwortlich zu machen" - ein Ergebnis voller Hoffnungen. Mit Blick auf den Begründer der spanischen Modemarke Zara, der es trotz hinderlicher Arbeitsmarktgesetze geschafft habe einen internationalen Konzern aufzubauen, schreibt das Blatt: "Spanien braucht dringend Wachstum und Arbeitsplätze. Und dafür braucht es tatkräftige Unternehmer", die dem Beispiel des Modeunternehmens folgen müssten. "Im besten Fall kann ein Politikwechsel Anstoß zu einem Mentalitätswechsel geben." Den brauche Spanien nämlich dringender als eine Arbeitsmarktreform, "die Rajoy mit Sicherheit bald in Angriff nehmen" werde.
Die Stuttgarter Zeitung nimmt Wahlsieger Mariano Rajoy ins Visier: "Es muss kein Nachteil sein, dass Rajoy ein blasser Politiker ist. Er ist kein arroganter Wichtigtuer wie sein politischer Ziehvater, der frühere PP-Ministerpräsident José María Aznar", ist hier zu lesen. Für die Zeitung aus Baden-Württemberg ist Rajoy "glaubwürdig, wenn er in der Wahlnacht verspricht, dass sein einziger Feind Spaniens die Wirtschaftskrise sein werde. Bleibt nur die Frage, ob er seine eigene Partei zähmen kann, die deutlich reaktionärer ist als er selbst. Doch die Spanier haben Rajoy nicht gewählt, damit er die gesellschaftlichen Errungenschaften der Zapatero-Ära zurücknimmt. Sie haben ihn gewählt, damit er die Wirtschaftskrise bei den Hörnern packt".
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke