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Rajoy übernimmt schwere Last Der Lack ist so gut wie ab

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Spanien bekommt wie erwartet eine konservative Regierung. Der designierte Ministerpräsident Rajoy hat dabei einen denkbar schweren Start. Er muss ein wirtschaftlich angeschlagenes Land mit einer horrenden Arbeitslosenquote fit für die Zukunft machen. Geschenke zu Weihnachten wird der 56-Jährige nicht verteilen.

Friedrich August III. hatte die Nase voll. "Macht doch euren Dreck alleene", schimpfte der Sachsenkönig, als ihn eine Abordnung am 13. November 1918 für abgesetzt erklärte. Der Wettiner trollte sich und zog sich auf seine schlesische Besitzung zurück. Ganz so verhielt es sich dieser Tage in Spanien natürlich nicht: Der scheidende Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero wird wohl - natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit - einen ähnlichen Satz von sich gegeben haben. Allerdings, und das unterscheidet ihn vom Blaublüter aus Dresden, hatte er sich - ganz Demokrat - bereits im Vorfeld für einen Verzicht auf eine weitere Amtszeit entschieden. Einerseits wollte der Sozialist nicht mehr alleine für die schwierige Lage Spaniens verantwortlich gemacht werden. Andererseits sah Zapatero seine politischen Felle davonschwimmen. Ganz Realist, leitete er mit dem Vorziehen der Parlamentswahlen einen "ordentlichen" Machtwechsel ein. Eine abgewirtschaftete Regierung geht, eine neue kommt. Für Technokraten ist in Spanien - vorerst? - kein Platz.

Zusammen mit Ehefrau Elvira Fernandez freut sich Mariano Rajoy über den Sieg.

Zusammen mit Ehefrau Elvira Fernandez freut sich Mariano Rajoy über den Sieg.

(Foto: dpa)

Die Spanier hatten genug von Zapatero und seiner sozialistischen Regierung. Das Königreich, das jahrelang einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, befindet sich in einer tiefen Krise - keine günstigen Voraussetzungen für eine amtierende Regierung, wiedergewählt zu werden. So war es alles andere als überraschend, dass die konservative Volkspartei (PP) mit ihrem eher blassen Spitzenkandidaten Mariano Rajoy den künftigen Regierungschef stellen wird. Zapatero trat im Wahlkampf des sozialistischen Kandidaten Alfredo Perez Rubalcaba auch gar nicht mehr auf. Im Gegenteil: Die frühere PSOE-Ikone Felipe Gonzalez sprang wieder in die Arena - erfolglos, wie das miserable Ergebnis zeigt. Rubalcaba selbst hatte nicht an einen Sieg geglaubt; sein Wahlkampf trug dementsprechend depressive Züge. Sogar den TV-Zweikampf mit Rajoy vergeigte der eigentlich eloquente 60-Jährige vollständig.

Nur nicht anecken

Rajoy, mit Niederlagen bei den beiden vorangegangenen Parlamentswahlen so etwas wie der Christian Wulff der spanischen Politik, fiel die Macht wie eine überreife Frucht in den Schoß. Obwohl der Mann aus dem galicischen Santiago de Compostela während des gesamten Wahlkampfes vage und im Ungefähren blieb, erreichte er nun sogar die absolute Mehrheit. Die Spanier wollten unbedingt die Abwahl der seit siebeneinhalb Jahren regierenden Sozialisten, die sie für die schwere Wirtschafts- und Schuldenkrise verantwortlich machen. Weil die PP zuvor viele Regional- und Kommunalparlamente gestürmt hatte, ist sie nun so mächtig wie keine spanische Partei seit dem Tod von Diktator Francisco Franco 1975. Aber Macht verpflichtet auch, zumal die Konservativen bei ihren Landsleuten kaum mit Wohltaten werden aufwarten können.

So muss Rajoy im kommenden Jahr weitere 17 Milliarden Euro einsparen. Wie er so seine Wahlkampfversprechen - dazu gehören die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die steuerliche Erleichterung für die Unternehmen und das Nichtantasten der Renten - erfüllen will, bleibt sein Geheimnis. Überhaupt waren seine gesamten Wahlkampfreden von dem Ziel geprägt, nur nicht bei den Wählern anzuecken.

In Madrid schläft ein Obdachloser im Vorraum einer Bank.

In Madrid schläft ein Obdachloser im Vorraum einer Bank.

(Foto: AP)

Spanien geht es schlecht. Das Setzen auf die Immobilienwirtschaft - sie steuert immerhin fast ein Drittel zum Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei - wird ihm zum Verhängnis. Seit mit der Finanzkrise im Jahr 2007 die Immobilienblase platzte, ging es kräftig bergab. Die Arbeitslosenquote von fast 22 Prozent ist die höchste in der Eurozone. Die Quote bei der Jugendarbeitslosigkeit liegt nur unwesentlich unter 50 Prozent! Das sind nun wahrlich Horrorzahlen. Die im Januar dieses Jahres angegebene Zahl von rund 1,7 Millionen im Ausland lebenden Spaniern wird mit Sicherheit stark ansteigen.

Schwaches BIP sorgt für schwaches BIP

Dazu ignorieren die ominösen Finanzmärkte den für europäische Verhältnisse eigentlich günstigen Schuldenstand Spaniens von "nur" 65 Prozent in Relation zum BIP (der deutsche liegt bei mehr als 80 Prozent). Sie stürzen sich auf die schwachen ökonomischen Kenndaten, die natürlich eine derzeitig hohe jährliche Neuverschuldung zur Folge haben. Das Ergebnis ist bekannt: Spanien kann Staatsanleihen nur zu hohen Zinsen platzieren. So muss die neue Regierung das hohe Haushaltsdefizit unbedingt senken. Es muss also kräftig gespart werden, für die Ankurbelung der Wirtschaft ist kein Geld da - ein Teufelskreis.

Rajoy wird sein Amt nach Lage der Dinge am 20. Dezember aufnehmen, zwei Tage vor der berühmten spanischen Weihnachtslotterie. Geschenke hat der 56-Jährige nicht zu verteilen. Ihm bleibt auch nicht viel Zeit. Viele der ihm jetzt noch zujubelnden Wähler wird der neue Ministerpräsident enttäuschen müssen. Allerdings kann er - die Mehrheitsverhältnisse im Parlament lassen es zu - weitere Reformschritte zügig einleiten. Ist Rajoy stark genug, die Seinen geschlossen hinter sich zu scharen, gibt es keine langen politischen Hängepartien wie in Italien und Griechenland. Sicher wie das Amen in der Kirche ist aber, dass bei der neuen Regierung in Madrid die oberste Lackschicht sehr schnell runter sein wird.

Quelle: ntv.de

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