Pressestimmen

Bundestag regelt Organspende "Weder mutig noch menschlich"

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Der Bundestag will die Regeln zur Organspende erneuern. Krankenversicherungen sollen den Bürgern künftig regelmäßig eine " freiwillige Aufforderung" schicken. Kein Bürger sollte diesen Brief der Versicherung ungelesen in den Papierkorb schmeißen, mahnt Fabian Maysenhölder von n-tv.de. Wichtig für ihn ist nicht das Ergebnis der Entscheidung, sondern diese selbst. Sie fällt nämlich sonst im Todesfall auf die Angehörigen zurück. Doch reicht es, an das Gewissen der Bürger zu appelieren? Sollte der Gesetzgeber nicht besser eine Entscheidungspflicht durchsetzen? Die Tageszeitungen debattieren.

Die Lübecker Nachrichten erklären die Debatte über die Organspende im Bundestag zum fraktionsübergreifenden Erfolg: "Wenn es um Fragen des Lebens geht, dann rafft sich der sonst ziemlich in Fraktionsgrenzen erstarrte Deutsche Bundestag immer mal wieder zu Sternstunden, zu erstaunlich emotional berührenden Debatten auf. Gestern Morgen war so eine Stunde. Die Abgeordneten haben eine Neuregelung zur Organspende auf den Weg gebracht. Chapeau, mit dieser Entscheidungslösung haben die Abgeordneten einer sinnvollen, einer guten Regelung den Weg geebnet."

Für den Wiesbadener Kurier kann von einer Sternstunde des Bundestags keine Rede sein: "Eine große Mehrheit macht noch kein gutes Gesetz," schreibt das Blatt. "Die Entscheidungslösung für Organspenden mag ein Schritt in die richtige Richtung sein. Dass sie den 12.000 Menschen, die dringend ein neues Herz oder eine neue Niere zum Leben brauchen, im bestmöglichen Maß hilft, ist zu bezweifeln." Alle Bürger zwar nach ihrer Spendenbereitschaft zu befragen, aber ein Unentschieden zuzulassen, findet die Zeitung weder mutig noch menschlich. "Beim Offenhalten bleibt die Last der Entscheidung im Todesfall bei den leidgeprüften Angehörigen. Und eine verzögerte Zustimmung kostet einen Kranken auf der Warteliste vielleicht das Leben."

Auch der Berliner Zeitung geht die angestrebte Regelung nicht weit genug. Das Blatt fordert: "Auch in Deutschland müsste dringend die Widerspruchsregel eingeführt werden." Danach gilt jeder als Organspender, der einer Spende nicht explizit widerspricht. "Das ist zwar eine staatliche Intervention in das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers, allerdings eine legitime, denn nur so lassen sich viele Menschenleben retten." Zudem behält laut dem Blatt so jeder ja das Recht, eine Organspende abzulehnen.

Widerspruchsregelung, Entscheidungspflicht – genau das will der Westfälische Anzeiger nicht. Für die Zeitung tut der Staat gut daran, weiter auf Freiwilligkeit zu setzen. "Es gilt, das Tabuthema Tod zu enttabuisieren." Dazu gehört für das Blatt ganz klar die Freiwilligkeit. Und dazu gehört auch, "falsche Ängste vor einem vorzeitigen 'Ausschlachten' durch Aufklärung abzubauen." Denn ohne Angst sollte die Entscheidung für eine Organspende eigentlich leicht fallen: "Organspende ist ein Weg, nach dem Ende des eigenen Lebens ein anderes Leben zu retten (…). Direkter als auf diesem Weg kann der so häufig im Munde geführte Anspruch der Nächstenliebe kaum umgesetzt werden."

Das Hamburger Abendblatt hat allerdings Bedenken, dass Deutschland für diese Freiwilligkeit schon bereit ist. Und das gar nicht, weil es dem Land an moralischer Reife fehle. Vielmehr stehen dem Erfolg laut der Zeitung bürokratische Hürden im Wege. "Für manchen Liberalen scheint das größte Problem zu sein, wer die auf Freiwilligkeit fußende Angabe, ob man Spender ist oder nicht, zur Kenntnis nehmen oder registrieren darf." Geht Datenschutz vor Lebensrettung? "Mit Bedenken dieser Art kommt unser Land nie auf Spenderwerte, wie sie uns die Spanier vormachen." Deren Widerspruchslösung müsse keinen Vorbildcharakter für Deutschland haben. "Aber etwas mehr Nachdruck als eine unverbindliche Aufforderung der Kasse sollte möglich sein, um Schwerstkranken eine Perspektive zum Überleben zu geben."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt

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