Geheimgremium verfassungswidrig "Weiteres Stoppschild für die Kanzlerin"
28.02.2012, 19:58 UhrDas Bundesverfassungsgericht hält das Sondergremium des Bundestages zur Kontrolle des Rettungsschirms überwiegend für verfassungswidrig. Damit stärken die Karlsruher Richter die Beteiligungsrechte der Abgeordneten - und verpassen gleichzeitig Kanzlerin Angela Merkel den dritten Dämpfer in Folge. Das Regieren wird so nicht leichter, kommentiert n-tv.de.
"Die Euro-Retter haben es immer eilig. Wenn es gilt, die Gemeinschaftswährung gegen Angriffe von Spekulanten zu verteidigen, dann kann man nicht auf langwierige parlamentarische Prozeduren warten." Das zumindest stand hinter der Idee eines Sondergremiums. Aber leider, so die Märkische Allgemeine aus Potsdam, sei dabei "eine Kleinigkeit vergessen worden: die Demokratie. Wenn immer häufiger kleine Kungelrunden über Hilfsmaßnahmen in beträchtlicher Größenordnung entscheiden, dann wird die Volksvertretung ausgehebelt. Erstaunlich genug, dass dies nur zwei Abgeordneten einen Gang nach Karlsruhe wert war. Erfreulich wiederum, dass die Verfassungsrichter sich der Klage weitgehend angeschlossen haben."
"Natürlich, für das Parlament ist der Karlsruher Spruch ein bisschen peinlich. Schließlich hat es selbst seiner - nun höchstrichterlich kassierten - Teilentmachtung beim Budgetrecht zugestimmt", kommentiert das Badische Tagblatt, findet aber auch, dass es noch nicht zu spät sei, "die Scharte auszuwetzen". Jetzt gelte es für den Bundestag, Lehren zu ziehen: "Genauer hinsehen, kritisch nachfragen und sich die Zeit nehmen, die nötig ist, um komplizierte Sachverhalte fundiert beurteilen zu können. Mehr kritischer Geist gegenüber der Regierung und weniger willfährige Abnick-Bereitschaft sind gefragt."
Die Heilbronner Stimme gibt den Richtern aus Karlsruhe recht und nennt dafür zwei Gründe. "Erstens: Die Mitsprache des Parlaments für solche historischen Entscheidungen darf nicht beschnitten werden, schon gar nicht von einer zur Verschwiegenheit verpflichteten Mini-Runde. Zweitens: Über die demokratische Legitimierung hinaus verlangt die Schuldenkrise größte Transparenz. Warum? Weil die sündhaft teuren Beschlüsse von den Bürgern mitgetragen werden müssen. Und in der Bevölkerung gibt es inzwischen erhebliche Zweifel am Merkel-Kurs, die noch ausgeprägter sind als in der Koalition selbst."
"Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, dass ein Verfassungsorgan - das Verfassungsgericht - ein anderes Verfassungsorgan - den Bundestag - dazu auffordern muss, sich seiner Kontrollverantwortung gegenüber einem dritten Organ - der Bundesregierung - deutlicher zu stellen", findet der Münchner Merkur. "Die Richter stärken damit den gewählten Abgeordneten. Aber sie verlangen von ihm auch, der eigenen Regierung bei der Eurorettung noch mehr auf die Finger zu sehen. Karlsruhe stellt damit ein weiteres Stoppschild für die Kanzlerin auf." Und die kämpft inzwischen an drei Fronten: "Sie hat Ärger mit Karlsruhe, den rebellierenden Abgeordneten und den Griechen, die gegen das Spardiktat meutern. Lange geht das nicht mehr gut."
Das Handelsblatt aus Düsseldorf wertet das Urteil aus Karlsruhe als einen weiteren Dämpfer für die Merkel innerhalb von nur wenigen Tagen: "Zuerst hatte sich die schwarz-gelbe Koalition im Gerangel um den Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten fast zerlegt. Am Montag verfehlte Merkel die Kanzlermehrheit, als das zweite Hilfspaket für Griechenland zur Abstimmung stand. Diese symbolisch wichtige Mehrheit hatte bereits gewackelt, als im September die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms auf der Tagesordnung stand. Jetzt kam die Kanzlermehrheit gar nicht mehr zustande. Die Erosion der Gefolgschaft ist offensichtlich."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Katja Sembritzki