Pressestimmen

Die Chance des Papstes "Wird andere Worte finden müssen"

Obwohl der Vatikan in den vergangenen Wochen immer wieder betont hatte, dass von der Reise des Papsts in seine deutsche Heimat keine Wunder zu erwarten seien, waren die Erwartungen an Benedikt XVI. vor seiner Ankunft groß. Zum Missbrauchsskandal, zur Ökumene und zum Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von der Kommunion - in vielen Bereichen wünschten sich Befürworter und Kritiker des Oberhaupts der katholischen Kirche klärende Worte. Dieser Wunsch wurde zumindest am ersten Tag seines Staatsbesuchs enttäuscht: Benedikt gibt sich milde. In seiner historischen Rede vor dem Bundestag lässt er spüren, wie sehr er sich über den Besuch in der Heimat freut: Keine strengen Worte an die Landsleute – lediglich die Mahnung an die deutsche Politik, moralische Verantwortung für die Schöpfung, den Frieden und mehr Gerechtigkeit in der Welt zu übernehmen. Für einige zu wenig.

Historisches Ereignis: Benedikt XVI. hielt als erster Papst eine Rede im Bundestag.

Historisches Ereignis: Benedikt XVI. hielt als erster Papst eine Rede im Bundestag.

(Foto: AP)

Den Tagesspiegel aus Berlin konnte der Papst mit seiner Rede vor dem Bundestag überzeugen: "Die Abgeordneten, die nicht kamen, haben viel versäumt. Ihnen blieb ein Papst vorenthalten, der geradezu rührend dem Parlament seines deutschen Vaterlandes, wie er formulierte, die Ehre erwies. Ein Oberhaupt der katholischen Kirche, der erste deutsche Papst seit einem halben Jahrtausend, der sich als Landsmann bezeichnet, 'der sich lebenslang seiner Herkunft verbunden weiß' - da scheinen die, die den Mann nur als Repräsentanten einer obrigkeitsstaatlichen Organisation sehen wollen, doch etwas klein. Sie haben auch einen gewinnenden, humorvollen Redner verpasst, der, den Rechtsphilosophen Kelsen zitierend, unter Bezug auch auf sich selbst meinte, man könne offenbar mit 84 Jahren noch etwas Vernünftiges denken".

Auch die Landeszeitung zollt dem Papst Respekt: "An Mut mangelt es Benedikt XVI. nicht. Wer angesichts der Kritik im Vorfeld eine leisetreterische Rede erwartet hatte, durfte staunen. Als größte Gefahr für seine Kirche benannte er die Gleichgültigkeit - und er begegnete dieser Gefahr mit einer Rede, die nicht gleichgültig lassen kann. An einem Punkt der Geschichte, an dem der Mensch die Welt zerstören und sich selbst manipulieren könne, fordert der Papst den Rückgriff auf Ethos und Religion ein, drängt darauf, anzuerkennen, dass ein Schöpfergott in der Natur wirke". Das Blatt aus Lüneburg wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob dies denn auch die Distanz zur Lebenswelt der Gläubigen überwinden könne und kommt zu dem Schluss: "Wer die Natur vor der Zerstörung durch den Menschen bewahren will, ohne dass er einen göttlichen Funken in der Natur erkennt, den lässt der päpstliche Segen kalt".

Nach Ansicht der Stuttgarter Zeitung gab Benedikt XVI. mit seiner Mahnung zu mehr Gelassenheit "die richtige Antwort auf die Proteste" mehrerer tausend Menschen gegen den Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche in Deutschland. Mit seiner "zurückhaltenden Rede, in der er sich zu seinem Heimatland bekannte", so die Kommentatoren aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt, habe der Papst "Gespür für die hiesigen Befindlichkeiten" bewiesen: "Seine Ausführungen über das Verhältnis von Glauben und Vernunft, Recht und Natur gerieten allerdings sehr akademisch. Hier redete kein Menschenfischer, sondern ein Theologieprofessor. Das mag manche im Publikum enttäuschen. Doch was Benedikt grundsätzlich über die Identität Europas sagt und wie er seine Argumente vorbringt, ist wert, bedacht zu werden".

Ganz anders sieht das die München herausgegebene tz: "Über abstrakte Philosophie statt konkrete Politik redete der Chef des Vatikans - und verspielte damit eine Chance. Antworten zu weltlichen Problemen von heute blieb der Heilige Vater schuldig", ist hier zu lesen. Für die bayerische Boulevard-Zeitung hat es sich der Papst "mit seinem staubigen Univortrag vor den Vertretern des deutschen Volkes zu leicht" gemacht. Denn, so heißt es weiter: "Es gibt zu viele spannendere Fragen, die Benedikt XVI. hätte beantworten können: Welche Rolle sollte der Glaube konkret in einer modernen Gesellschaft spielen? Ist ein friedliches Nebeneinander der Religionen heute überhaupt denkbar? Hat die Struktur der Kirche die Missbrauchsfälle begünstigt? Stattdessen drückte er sich mit seiner Rede vor der Welt und den Gedanken der normalen Bürger".

Einen scheelen Blick auf die Rede des Papstes vor dem Bundestag werfen auch die Lübecker Nachrichten: "Der Papst sieht sich als Hüter unveräußerlicher Werte, als ein Bollwerk gegen den Zeitgeist. Und als solcher hat er sich (…) im Bundestag gegen den Wahn der Machbarkeit ausgesprochen, dagegen, den Menschen als Mittel zu sehen und nicht als Zweck. Das ist fürwahr auch seine Aufgabe, das zählt zum Grundbestand der päpstlichen Zuständigkeit. Aber der kurzatmige Zeitgeist ist etwas anderes als Zeiten, die sich ändern. Der Papst ist der Pontifex maximus, der oberste Brückenbauer, und als solcher muss er sich fragen lassen, wohin eine Kirche will, zu der immer mehr Menschen die Brücken abbrechen, allein in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 180.000. Wenn etwas im 'Umgang mit der Wirklichkeit' nicht stimme, müsse man nachdenken, sagte der Papst gestern in seiner Rede" und dies, so die Hanseaten, sei "gewisslich wahr".

Die Frankfurter Neue Presse bringt die Auseinandersetzung auf den Punkt: "In einer ebenso kurzen wie spröden akademisch-philosophischen Rede vor dem Bundestag hat Benedikt jede Antwort auf die Fragen seiner Gegner vermieden. Aber er hat, darauf bedacht, die Grenzen zwischen Religion und Staat nicht zu überschreiten, auch weitgehend darauf verzichtet, zu anderen politischen Fragen, die das Land und die Welt bewegen, Stellung zu nehmen". Für das Blatt aus Hessen steht angesichts der zunehmenden Zerrissenheit der Katholiken in Deutschland fest: "In den nächsten Tagen wird er andere Worte finden müssen, um die Menschen zu erreichen".

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke

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