Rücktritt des Bundespräsidenten "Wulff war kein Ruhmesblatt"
17.02.2012, 20:31 UhrChristian Wulff gibt auf. Zum zweiten Mal binnen zwei Jahren tritt damit ein deutsches Staatsoberhaupt von seinem Amt zurück. Die nach Meinung der deutschen Presse überfällige Demission ist eine Chance, dem Amt des Bundespräsidenten Würde und damit Einfluss zurückzugeben - auch wenn, wie Roland Peters von n-tv.de meint, die Hoffnungen der Konservativen damit als Fassade entblößt werden.
Für das Badische Tagblatt begann der Niedergang Wulffs nicht erst mit der öffentlichen Diskussion über die Affären um günstige Kredite und Urlaubseinladungen. Für die Zeitung aus Baden-Baden vermochte er bereits vorher als Bundespräsident "kaum Akzente zu setzen": "Der einst nachdenklich und selbstkritisch wirkende Politiker wich nach und nach einer Persönlichkeit, die zwar staatsmännisch, aber inhaltlich zunehmend unverbindlich in Erscheinung trat. Wulff bezog seine Autorität aus dem Amt, in das er gewählt worden war, statt dem Amt als kritischer Vordenker zu dienen".
"Wulff war kein Ruhmesblatt für die politische Klasse", heißt es beim Mannheimer Morgen. "Doch weder schwächt nun sein Rücktritt nachhaltig die Funktion des Staatsoberhaupts noch löst er eine Staatskrise aus". Dennoch, so mahnt das Blatt aus Baden-Württemberg, sollte in Anbetracht der Debatte um einen möglichen Wulff-Nachfolger eine Lehre aus dem Geschehen gezogen werden: "Der nächste Bundespräsident, die nächste Bundespräsidentin darf nicht von Merkels Gnaden bestimmt sein. Richard von Weizsäcker hat einmal den Parteien vorgeworfen, sie würden sich den Staat zur Beute machen. Dies gilt auch für das Amt des Bundespräsidenten. Die Menschen im Land brauchen einen unabhängigen Fürsprecher statt eines pflegeleichten Leisetreters. Und sie wünschen sich ein integres Vorbild, kein Abziehbild der Regierung".
Für den Tagesspiegel beginnt mit der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten "zugleich der Vorwahlkampf für den nächsten Bundestag". Bei Lichte besehen habe Angela Merkel der SPD und den Grünen - und nur diesen – mit Bedacht ein so offenes Angebot gemacht. "Gemeinsam heißt in diesem Fall: Sie will alle Parteien zusammenbringen, die für sie auch als künftige Koalitionspartner denkbar sind. Angela Merkel wäre nie Kanzlerin geworden, wenn sie nicht längst einen Plan hätte, wie sie auch aus dieser Situation, einer Niederlage, einen strategischen Vorteil herausholen kann, bei Feind und Freund, ganz legitim und: ganz legal. Und ein gemeinsamer Kandidat passt eben zu jeder Regierung. Leichter als Wulff wird er - oder sie - es ohnehin haben".
Die Berliner Zeitung hat konkrete Vorstellungen vom künftigen Staatsoberhaupt: "Er oder sie sollte mit gesundem Menschenverstand seine Reden formulieren, er oder sie muss dabei kein intellektuelles Feuerwerk abbrennen. Er oder sie muss kein Moralist sein, sollte aber ein Gefühl für Anstand und Moral haben. Wir brauchen keinen Heiligen, aber wir wollen keinen Scheinheiligen. Einen Präsidenten, der den Dialog mit den Spitzen der Wirtschaft pflegt, ebenso wie den mit den Gewerkschaften, der mit den Kirchenoberen im Gespräch ist, mit Künstlern, mit Wissenschaftlern, mit Sportlern, mit ganz normalen Menschen. Einer, der zur Nähe fähig ist, aber Distanz zu wahren weiß". Für die Kommentatoren aus der Hauptstadt ist es egal, ob künftig ein Mann oder eine Frau ins Schloss Bellevue einzieht: "Bloß kein Wulff".
Die Süddeutsche Zeitung hingegen wünscht sich eine First Lady – nicht irgendeine, sondern eine ganz bestimmte: "Es ist an der Zeit, dass eine Frau Bundespräsidentin wird, und es wäre gut, wenn sie mindestens eine volle Amtszeit lang Deutschland angemessen und Respekt gebietend repräsentieren würde... Notabene, eine Frau, erfahren, unbestechlich, hochpolitisch, gäbe es ja. Sie heißt Angela Merkel und regiert jetzt schon, als wäre sie auch Präsidentin. Es wird nicht so kommen, aber eine Bundespräsidentin Merkel, die im März das Kabinett unter Kanzler Thomas de Maizière empfängt - das hätte was".
Rückblickend auf die sich monatelang hinziehenden Enthüllungen über Hotel- und Urlaubsrechnungen, einen Privatkredit und über die Unterstützung einer Lobbyveranstaltung eines Eventmanagers schreibt die Pforzheimer Zeitung: "Den vielleicht größten Sieg hat (…) die Demokratie erlebt. Das klingt pathetisch, gewiss, wird dadurch aber nicht weniger wahr". Für die Kommentatoren aus Baden-Württemberg stellt der Rücktritt Wulffs "ein Paradebeispiel für eine funktionierende Demokratie" dar, an der die Medien - die "beharrlich das Fehlverhalten eines Politikers" aufgezeigt hätten - großen Anteil haben. "Was die einen zunächst Hetze nannten, war nichts anderes, als die originäre Aufgabe der Presse als vierte Gewalt im Staat. Die hat sie erfüllt. Mit der einen oder anderen Übertreibung zwar, aber letztlich konsequent". Und schließlich habe auch die Justiz "nach einigem Zögern gezeigt, dass vor dem Gesetz eben doch alle gleich sind - auch davon können viele andere Staaten nur träumen".
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke