Etikette am Arbeitsplatz Du oder Sie im Job? Sechs Sonderfälle und ihre Lösungen

Stellen Sie sich vor, Ihre Führungskraft ist jünger als Sie - dürfen Sie ihr dann das Du anbieten? Und was gilt, wenn jemand, den Sie duzen, zum Chef aufsteigt? Experten kennen die Antworten.
Siezen Sie noch oder duzen Sie schon? Laut einer repräsentativen Umfrage des Software-Anbieters HR Works duzen 71 Prozent der Arbeitnehmer ihre Vorgesetzten, entweder in der Kombination von "Du" und Vorname (61 Prozent) oder "Du" und Nachname (10 Prozent). "Sie" und Nachname sei demnach nur noch bei einem knappen Viertel der Beschäftigten (22 Prozent) üblich, das sogenannte Hamburger "Sie", also Vorname plus "Sie", nutzten 7 Prozent.
Deutlich wird: Die starren Formen sind zwar aufgeweicht, das klassische „Sie” ist aber noch lange nicht verschwunden. Im Alltag kann das manchmal herausfordernd sein, denn es gibt gleich eine Reihe von Sonderfällen. Wie man sich in solchen Graubereichen verhält? Sechs Beispiele:
1. Eigentlich gilt: Der Ältere bietet dem Jüngeren das Du an. Aber was, wenn der Vorgesetzte jünger ist als der Mitarbeiter? Darf dieser dann den Chef zum "Du" auffordern?
"Nein. Grundsätzlich sollte man seinen Vorgesetzten siezen, bis derjenige einem das 'Du' anbietet", so Imme Vogelsang, Coachin für Business-Etikette. Das gelte auch in diesem Fall, denn: "Rang wiegt spätestens seit den 70er-Jahren schwerer als das Alter", weiß die Expertin.
2. Ein Kollege, den man duzt, steigt zum Chef auf. Muss man ihn nun siezen?
Imme Vogelsang hält es für albern, in einem solchen Fall plötzlich wieder förmlich zu werden. Ihr Tipp: "Behalten Sie das 'Du' bei, aber nehmen Sie Ihren Vorgesetzten trotzdem in seiner neuen Rolle ernst."
3. In einer Firma oder mit Kunden wird Englisch gesprochen. Hier gibt es kein "Sie", üblich ist außerdem die Anrede mit "You" und dem Vornamen. Wie halte ich es im Deutschen?
"Stellen Sie sich vor, Sie steigen nach einem englischen Meeting mit einem deutschen Vorgesetzten ins Taxi, dann sollten Sie diesen ganz klar förmlich mit 'Sie' und Nachnamen anreden", so Vogelsang. Das gelte, auch wenn es sich nach der Ansprache mit Vornamen und "You" komisch anfühle.
In einigen Firmen gibt es hierfür eine Zwischenlösung: der Vorname und das "Sie". Was hier adäquat ist, sollten Mitarbeiter am besten bei ihren jeweiligen Kollegen erfragen.
4. Ich werde von einem Vorgesetzten ungefragt geduzt. Darf ich ihn dann zurückduzen?
"Das ist ein Problem, das besonders jüngere Mitarbeiter betrifft", sagt Vogelsang. Sie rät, auch wenn es schwerfällt, förmlich zu bleiben. "Siezen Sie den Vorgesetzten weiter und warten Sie, bis er Ihnen das 'Du' anbietet. Damit gehen Sie auf Nummer sicher."
5. Mein Kollege duzt sich mit dem Vorgesetzten, mir hat der Chef das nicht angeboten. Ist das diskriminierend? Darf ich mich dagegen wehren?
Grundsätzlich ist die Verwendung der Anrede "Du" oder "Sie" die freie Entscheidung der Beschäftigten. "Auch eine Führungskraft kann also entscheiden, welchem Mitarbeiter sie das 'Du' anbietet", so Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Ein Anspruch auf eine bestimmte Anrede bestehe nicht.
Aber: "Wird eine Unterscheidung in herabsetzender Weise vorgenommen, kann dies unzulässig sein", so die Expertin. Heißt zum Beispiel: Ein Chef siezt alle Mitarbeiter höflich - bis auf einen, den er herablassend duzt. Das gehe nicht.
6. Ich duze den Chef, ohne dass er es mir angeboten hat. Kann man dafür abgemahnt werden?
"Wenn das 'Du' nicht Unternehmenskultur ist, darf man Vorgesetzte nicht ungefragt duzen", stellt Anwältin Oberthür klar. Eine Abmahnung wäre dann zulässig, wenn für den Mitarbeiter erkennbar sei, dass die Anrede mit "Du" nicht gewünscht sei.
Das sollte aber in der Praxis selten vorkommen, Angst vor Fehlern müssten Mitarbeiter deshalb nicht haben. "Ein falscher Umgang mit Du/Sie im Arbeitskontext hat in aller Regel keine rechtlichen Konsequenzen", beruhigt Oberthür.