Baden-Württemberg "Verbrenner-Aus muss weg" - Streit im Autoland
09.09.2025, 15:06 Uhr
Mehr als 480.000 Menschen arbeiten in Baden-Württemberg rund ums Auto. Wie das geplante Verbrenner-Aus ab 2035 die Branche und die Politik spaltet.
Stuttgart (dpa/lsw) - Die Stimmen aus dem Autoland Baden-Württemberg, die das geplante Verbrenner-Aus 2035 in der Europäischen Union kritisch hinterfragen, nehmen zu. CDU-Landeschef Manuel Hagel warnte mit deutlichen Worten und forderte einen radikalen Schritt: "Das Verbrenner-Aus der EU muss weg. Es schadet der Innovation, schwächt unsere Industrie, gefährdet tausende Arbeitsplätze – und bringt unserem Klima nichts", sagte er der Deutschen Presse-Agentur nach einem Gespräch der Unions-Fraktionschefs aus Bund, Ländern und EU-Parlament mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin.
Bundeskanzler Friedrich Merz sagte anlässlich der IAA Mobility in München: "Einseitige politische Festlegungen auf bestimmte Technologien sind nicht nur für diese Branche grundsätzlich der falsche wirtschaftspolitische Weg." Ziel sei, "durch Technologieoffenheit Wettbewerbsfähigkeit und effektiven Klimaschutz" miteinander zu verbinden, betonte Merz. Grundsätzlich müsse Deutschland "wieder ein wettbewerbsfähiger international anerkannter Wirtschaftsstandort werden, auf den die Welt nicht mit Verwunderung, sondern mit Bewunderung schaut".
Özdemir hält geringe Verschiebung von Verbrenner-Aus für denkbar
Im Südwesten regiert Grün-Schwarz. CDU-Politiker Hagel ist Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im März 2026. Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir zeigte sich prinzipiell offen für eine geringfügige Verschiebung des Termins für das Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotoren. "Gefordert ist jetzt ein Schulterschluss zwischen Industrie und Politik, der die nötige Flexibilität beim ,Wann' ermöglicht und gleichzeitig beim 'Wohin' klar Kurs hält: Mit einem Booster für eine flächendeckende europäische Ladeinfrastruktur, vergünstigtem Ladestrom, Weitblick beim Netzausbau etwa mit oberirdischer Trassenführung und einem Transformationsfonds für die Zulieferer."
Hagel forderte den Kanzler im Namen der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden der Länder auf, nun mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen "Klartext" über das Verbrenner-Aus zu sprechen. "Es geht jetzt darum, deutsche Interessen zu vertreten. Dafür brauchen wir einen Kurswechsel in der europäischen Automobilpolitik."
Knapp 500.000 Beschäftigte rund um das Thema Auto
In Baden-Württemberg arbeiten nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bei Automobilherstellern, Zulieferern und Branchen, die für die Nutzung von Kraftfahrzeugen notwendig sind, wie das Kfz-Gewerbe, Tankstellen und Raffinerien, insgesamt 480.100 Beschäftigte. Spitzenmanager aus der Autoindustrie und der großen deutschen Zulieferer fordern schon seit längerer Zeit, das ab 2035 geplante EU-weite Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotoren zu überprüfen. Mercedes-Chef Ola Källenius sagte den "Stuttgarter Nachrichten" und der "Stuttgarter Zeitung": "Die absolutistische Vorgabe der EU, die den Herstellern ein fixes Ziel setzt und drakonische Strafen bei Nichterreichen verhängt, ist bisher offensichtlich nicht erfolgreich." Deshalb müsse man jetzt offen Bilanz ziehen und über Alternativen sprechen.
FDP-Landeschef Hans-Ulrich Rülke sagte, er sei Hagel sehr dankbar, dass er an dieser Stelle die Interessen der baden-württembergischen Automobil- und Zulieferindustrie gegen die unheilige Allianz aus von der Leyen und Grünen auch im Sinne der FDP vertrete.
AfD-Landeschef Markus Frohnmaier warf Hagel taktisches Vorgehen mit seiner Äußerung vor. "Herr Hagel betreibt klassisch das 'System Merz': Erst treibt die Union in Brüssel das Verbrenner-Aus selbst mit voran – und jetzt fordert er eine Überprüfung, obwohl er weder auf Landesebene noch in seiner Partei die Macht hat, das rückgängig zu machen. So gaukelt man Handlungsfähigkeit vor, ohne etwas zu ändern."
CSU-Chef Markus Söder hatte am Wochenende seine Forderung erneuert, das ab 2035 geplante EU-weite Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotoren zu kippen, um die kriselnde deutsche Autoindustrie zu stützen. Hagel sagte, es seien nun "Technologieoffenheit, unternehmerische Freiheit und faire Regeln für alle Antriebsformen" nötig.
Südwest-Unternehmer: Politik muss für Ladeinfrastruktur sorgen
Der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg, Oliver Barta, sagte, es gehe nicht darum, die langfristigen Klimaziele in der EU und in Deutschland infrage zu stellen. "Wer aber Ziele setzt, muss auch dafür sorgen, dass diese erreichbar sind. Die deutsche Industrie habe ihre Hausaufgaben gemacht, hunderte Milliarden Euro in die Elektromobilität investiert, alltagstaugliche Produkte auf den Markt gebracht." Es fehle jedoch weiterhin an einer ausreichenden Ladeinfrastruktur etwa in Wohngebieten der Ballungsräume und in ländlichen Regionen. Und dies vor allem auch in Teilen Europas.
Der Landesgeschäftsführer des BUND Baden-Württemberg, Martin Bachhofer, sagte: "Es ist und bleibt ein Rätsel, auf welche Weise das dringend notwendige Verbrenner-Aus ab 2035 'der Innovation' schaden sollte." Es sei eine Illusion, mit synthetisch hergestelltem Treibstoff Fahrzeuge in nennenswerter Zahl betreiben zu können. Die Energie, die dafür notwendig wäre, gebe es nicht.
SPD-Landeschef Andreas Stoch sagte, der Umstieg auf Elektromobilität stehe für die Partei außer Frage – entscheidend sei nicht, ob sie komme, sondern wie man sie umsetzen könne. "Klar ist: Die Klimaziele müssen zwingend erreicht werden." Gleichzeitig gelte es, die Transformation so zu gestalten, dass sie nicht zu massenhaften Arbeitsplatzverlusten führe.
Quelle: dpa