Reiseblog "Drei Monate in New York" Auf der Suche nach dem Pastrami-Sandwich
28.04.2016, 12:01 Uhr
Katz's Delicatessen ist eine New Yorker Institution, immer voll und ziemlich teuer.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Eine der kulinarischen Spezialitäten New Yorks ist das Pastrami-Sandwich. Besonders ein legendäres Restaurant gilt als Heimat des besten seiner Art - doch dafür zahlen die Besucher einen Preis, der dem Sandwich nichts an Saftigkeit nachsteht.
Unser Kollege Volker Petersen berichtet von März bis Juni für n-tv.de aus New York. Was ihn abseits der Nachrichten so beschäftigt, können Sie in seinem Reiseblog nachlesen.
Mehr als nur Schweißperlen standen mir am vergangenen Montag auf der Stirn, als ich mein Fahrrad in der Ludlow Ecke Houston Street ankettete. Gut eine Stunde und zwanzig Minuten hatte ich hierher ins südliche Manhattan gebraucht. Und ja, es war schön gewesen. Durchs Greenwich Village bin ich dabei geradelt und im Strom der gelben Taxis auf der 3rd Avenue mitgeschwommen. Aber ich hatte Hunger. Manch ein Amerikaner beschreibt meinen Zustand mit dem Wort "hangry". Eine Mischung aus "hungry" und "angry", wobei Ersteres weitgehende Ursache für Letzteres ist.
Aber nun erwartete ich die ultimative Satisfaktion, um Hunger und Aggression hinwegzufegen. Ich hatte es zum legendären "Katz's Delicatessen" geschafft, einer jahrzehntealten Sandwich-Schmiede, in die laut Reiseführer auch die Filmstars gehen. Dass hier die Orgasmus-Szene aus "Harry und Sally" gedreht wurde, löste bei mir nur des Touristen typischste Regung aus: dieses zwischen Gelangweilt- und Interessiert- und Müdesein changierende "Ahh." Nein, was mich dorthinlockte, war ganz klar das Pastrami-Sandwich.
Mit einem Freund und Kollegen habe ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal ein solches in Paris gegessen. Damals zogen wir unsere Portemonnaies etwas zögerlich aus der Tasche, weil es acht Euro kostete. Dafür war es dann aber auch das beste Sandwich aller Zeiten. Unglaublich gut, vor allem dank einer ausgeklügelten, Senf-Gurken-und-geheime-Zutaten-Soße. Eine Kollegin erklärte damals noch, dass Pastrami ein in Osteuropa üblicher Braten, das Sandwich als solches aber in New York erfunden worden sei. Und ich hatte wiederum gelesen, dass das Pastrami-Sandwich die Spezialität bei Katz's sei und noch zu vernünftigen Preisen angeboten würde. Katz's, Pastrami, New York, günstige Preise, Legendenstatus – in meinem Kopf machte es Ding Ding Ding Ding. Volltreffer. Leider, leider, leider war es eine große, teure Enttäuschung.
Die Pepsi-Dose sah gut aus
Machen wir es kurz. Das legendäre New Yorker Restaurant scheint mittlerweile eher eine Touristen-Falle zu sein, überteuert und nicht sooo etwas Besonderes. Dass es total voll war und jeder ein Pastrami-Sandwich auf dem Teller hatte – okay, so ist das in solchen Läden nunmal. Aber als ich den Preis sah, Mann, Mann, Mann. Ich habe seitdem einige Leute gefragt, "Rate mal, was es gekostet hat!" und die verwegensten Antworten lagen bei 13 oder 14 Dollar. Tatsächlich rufen sie bei Katz 19,95 Dollar für ein Sandwich auf. Ich fühlte mich, wie wenn sieht, wie das Mädchen, auf das man heimlich steht, jemand anderen küsst und man keine Reaktion zeigen darf. It'll better be good, dachte ich und schluckte.
Man musste natürlich Schlange stehen, was ich okay fand, man bekam vom nicht unfreundlichen Personal eine Probieruntertasse mit ein paar Pastrami-Scheibchen drauf. Der Typ vor mir in der Schlange schloss die Augen und legte den Kopf leicht in den Nacken, als er von dem frischen Fleisch kostete. Dann war ich an der Reihe. Ich fand, es schmeckte gut. Gut. Ja. Aber nicht so gut wie frischer Serrano- oder Parmaschinken. Nicht so gut wie eine perfekt gegrillte Burgerfrikadelle. Gut halt. Gut. In Ordnung. Ja.
Ein paar Minuten später saß ich dann an einem kleinen Tisch, vor mir das Pastrami-Sandwich. Es handelte sich um mehrere Zentimeter aufgetürmte Pastramischeiben zwischen zwei trockenen Scheiben Brot, wie man sie in diesen Plastiktüten bei Lidl im Dutzend für 99 Cent bekommt. Daneben stand ein weiterer Teller mit zwei längs aufgeschnittenen Gurken. Immerhin stand auf meiner Pepsi-Dose "New York" am oberen Rand. Das gefiel mir.
Tröstendes aus dem Kiosk
Tja, das Brot schmeckte, wie dieses Brot eben schmeckt, der Pastrami-Braten schmeckte gut. Aber da nur ein bisschen Senf ihn begleitete, auch ziemlich dröge. 20 Dollar. Ich dachte an die osteuropäische Super-Soßen-Sensation aus Paris und musste schließlich zum letzten Mittel greifen. Ich schaltete in den Ich-mach-das-Beste-draus-Modus. Satt wurde ich ja. Neben mir saßen zwei junge Männer, die auf Schwäbisch schwätzten. Eine Frau in der Schlange sah aus wie meine alte Englischlehrerin. Auf den vielen Fotos an den Wänden erkannte ich immerhin Bill Clinton. Mann, ist doch ganz cool hier, versuchte mich meine innere Stimme hochzucoachen, als ich die letzten Bissen herunterschluckte. Ja, ja, grummelte ich zurück. Mit Steuern und Pepsi zahlte ich am Ende knapp 25 Dollar.
Als ich wieder auf dem Fahrrad saß, spürte ich immerhin neue Power. Ich war nicht mehr "hangry". Eher enttäuscht – und vor allem durstig. Ich hielt an einem Kiosk im Greenwich Village (ab wie vielen Tagen Aufenthalt klingt es eigentlich nicht mehr anmaßend, nur noch vom "Village" zu sprechen?) und kaufte mir eine Flasche Canada Dry Ginger Ale. Leckerst. Und dann entdeckte ich im Kühlschrank gegenüber Radeberger-Flaschen. "Imported from Germany" stand darauf. Mein erstes Bier, seit ich hier bin, wäre das. Ich nahm eine Flasche Pils und eine Flasche Export mit. An der Kasse nuschelte der Typ mich an. Ich: "Pardon me?" Er: "Nuschel", Ich: (verständnisloser Blick), Er: "ID!" Ich: (lacht). Er wollte meinen Ausweis sehen. Weil man ja hier erst ab 21 Alkohol trinken darf*. (*Ich bin 34.)
Amüsiert verließ ich den Kiosk und trank die halbe Flasche Canada Dry aus. Und fasste einen Plan. Ich werde das Pastrami-Sandwich nicht aufgeben. Ich werde ein richtig gutes Exemplar finden. Zu einem fairen Preis. Ich werde es schaffen. If I can make it here, I make it everywhere.
Den ganzen Blog mit vielen weiteren Einträgen finden Sie unter www.dreimonateinnewyork.wordpress.com
Quelle: ntv.de