Reiseblog "3 Monate in New York" Der Tag, an dem alles schiefging
17.05.2016, 19:16 Uhr
Bis zu diesem Anblick musste sich unser Autor bis zum nächsten (frühen) Morgen gedulden, als die Schlange vorm Ticketschalter für Fahrten zur Freiheitsstatue angenehm kurz war.
(Foto: Volker Petersen)
Wie geht man als Besucher einen Tag in New York am besten an? Einfach der Nase nach durchs Häusermeer streunen? Möglich. Kann aber auch gründlich danebengehen - zumindest, wenn man spontan Lust hat, doch noch ein bisschen Programm zu machen.
Unser Kollege Volker Petersen berichtet derzeit für n-tv.de aus New York. Was ihn abseits der Nachrichten so beschäftigt, können Sie in seinem Reiseblog nachlesen.
Ich hasse Sightseeing, dachte ich, als ich völlig entnervt aus dem Battery Park davonstapfte. Ich hatte mich beeilt, dort hinzukommen, aber schon dabei war etwas schiefgegangen. So wie fast alles andere an diesem Tag auch. Ich musste mich zusammenreißen, um keine Selbstgespräche voller Flüche zu führen. Ich hätte wie ein verrückter Einzelgänger gewirkt, der mit sich selbst redet und an dem die Leute mit starrem Blick vorbeigehen, so als ob sie nichts bemerkt hätten. Dann hätte New York mich in die Knie gezwungen. Niemals! Eigentlich wollte ich mir endlich die Freiheitsstatue ansehen. Die Fähre zur Liberty Island legt am Battery Park ab, der an der Südspitze Manhattans liegt und eigentlich sehr schön ist. Als ich das erste Mal da war, hatte mich eine Möwe angegriffen und versucht, mir den Hotdog aus der Hand zu stehlen.
Auf dem Weg zum Battery Park fuhr ich mit der Linie 6 dort hinunter. Das ist ein Local Train, der an jeder Station anhält, statt wie die 4 und die 5 nur jede dritte oder vierte anzusteuern. Aber das war mir da noch nicht klar, daher kein Vorwurf. Eher an mich, weil ich an der letzten Station in Manhattan nicht ausgestiegen, sondern unter dem East River hindurch noch mitten hinein nach Brooklyn gefahren war. Ich las ein Buch und hatte vergessen, auf die Stationsnamen zu achten. Also wieder zurück, so verlor ich schon mal 20 Minuten. Als ich dann schließlich beim "Castle Clinton" ankam, einer alten Befestigungsanlage, die heute als Ticketverkaufstand für Touren zur Freiheitsstatue dient, war ich schockiert.
Hunderte Leute, vielleicht über 1000 warteten bereits in einer Schlange, sie war mindestens 200 Meter lang und wirkte völlig übertrieben. Grotesk. Das war eigentlich kein Wunder, denn es war Mittag und die Sonne strahlte. Immerhin hatte ich schon eine Eintrittskarte. Die hatte ich am Tag vorher erworben, war aber zu spät dran gewesen. Sie würden nur noch die Tour zur Freiheitsstatue machen, nicht aber die nach Ellis Island, was ich auch unbedingt sehen wollte. Das ist die Insel, wo einst die Einwanderer untersucht und kontrolliert wurden.
Trostversuch mit Burger
Ich ging hinein und reihte mich in die kurze Schlange für Leute, die ihre Tickets bereits bezahlt und nur noch abholen wollten. Ich wollte fragen, ob ich Geld zurückbekommen würde, weil ich die Tour heute nicht machen würde. Ich hatte keine Zeit, weil ich am Nachmittag arbeiten müsste. Außerdem wollte ich mir nicht die Beine in den Bauch stehen. Aber natürlich, keine Chance, ich sollte irgendwen anrufen, sagte die junge Frau, und meine Karte sei ja bis morgen gültig, dann könnte ich es ja wieder versuchen. Ich stapfte also fluchend davon.
Ich überlegte mir einen Plan B. Ich dachte, ich fahre ins Whitney-Museum, das lag nicht so weit entfernt. Als ich dort ankam: Tuesdays closed. Sagte ich bereits, dass sich das alles an einem Dienstag ereignete? Ich stapfte davon und latschte entnervt durch den Meatpacking District und ging an einem Schaufenster vorbei, auf dem "Bill’s Burger Place" stand. Trost! Nahrung! Vergessen! Das waren die Versprechungen, die mir das Restaurant machte.
Wenig später saß ich an einem kleinem Tisch am Fenster und wartete auf meinen Burger. Ich war nicht einmal gefragt worden, wie ich die Frikadelle haben wollte. Medium Well wollte ich, tja, keine Chance, etwas zu sagen. Der Burger war dann recht fad, die Sauce schmeckte irgendwie nur scharf und nach nichts anderem, das Brötchen war labbrig und das Fleisch nichts Besonderes, kein Grillgeschmack, nicht saftig, einfach nur … bla. Aber hey, hier sind 20 Prozent Trinkgeld Pflicht, also 5 Dollar auf die Rechnung oben drauf… 30 Dollar insgesamt. Arrgh, ich stapfte wieder davon.
Und dann doch das Happy End
Okay, okay, okay … sagte meine innere Stimme. Wie sangen schon Tocotronic? Kapitulation, ohoho! Gib auf, fahr nach Hause, hak' es ab. Das ist nicht dein Tag. Ich gehorchte mir und bemerkte zu Hause dann, dass ich an diesem Tag doch nicht arbeiten musste, sondern erst am nächsten. Ich hatte mich vertan. Ein Glücksfall! Dann kann ich ja doch noch bei Nacht aufs Empire State Building hoch!
Das Problem war nämlich, dass in ein paar Tagen mein "New York Explorer Pass" auslaufen würde, mit dem ich zu einem Pauschalpreis zehn Attraktionen ansehen konnte. Und am Dienstag hatte ich ihn erst zweimal genutzt. Ich wollte dann noch vorher eine Bootstour in der Dämmerung machen, die ebenfalls im Angebot meines Explorer Passes war. Nur leider würde die schon in einer Stunde beginnen.
Ich hastete zurück nach Manhattan und kam dann sieben Minuten zu spät, weil ein riesiges Gebäude plötzlich dort stand, wo ich den direkten Weg zur Ablegestelle vermutete und ich es komplett umkurven musste und dadurch die entscheidenden Minuten verlor. Ich stapfte entnervt davon.
Entnervtes Warten
Es gab aber noch eine andere Bootstour eine Stunde später. Leider erreichte ich die auch nicht, weil die U-Bahn kaputt war und sie immer wieder anhalten musste. Einmal standen wir neun Minuten. Ich fühlte mich wie eine Fliege, die immer und immer wieder gegen eine Scheibe fliegt. Ich stapfte entnervt zum Empire State.
Und dort? Warten, warten, warten. Eine Stunde dauerte es, bis ich endlich auf der Aussichtsplattform war. Der Sonnenuntergang war längst vorbei. Aber dann.
Die Lichter ziehen sich wie Goldadern durch das schwarze Häusermeer, die Bürotürme von Downtown funkeln am Horizont, im Westen sieht man noch das letzte Sonnenlicht schimmern. Die zahllosen Autolichter verschmelzen von hier oben zu roten und gelben Strömen, alles funkelt, glänzt und flirrt. Ruhe breitet sich aus. Auch in mir. Ich habe erstmals seit Tagen Lust, zu fotografieren. Ich genieße es. Ich lächele. Ich fahre einigermaßen glücklich nach Hause.
Den ganzen Blog mit vielen weiteren Einträgen finden Sie unter www.dreimonateinnewyork.wordpress.com
Quelle: ntv.de