Reise

Im schönen Südwesten Irlands Die Mizen-Halbinsel ist ein wildes Paradies

Die Überreste des Dunlough Castle im Südwesten Irlands.

Die Überreste des Dunlough Castle im Südwesten Irlands.

(Foto: jwa)

Auf der Halbinsel Mizen gibt es fast alles, was Irland besonders macht: traumhafte Strände, schroffe Klippen, saftige Weiden und viel Ruhe. Trotzdem finden nicht viele Touristen hierhin.

"Kommt rein, es ist offen!" Eine tiefe Stimme schallt freundlich aus dem Innenraum des eingeschossigen Hauses. Gastgeber Gary kommt seinen Besuchern zuvor, er erscheint mit einem breiten Grinsen im Türrahmen und streckt seine kräftige Hand aus. Hier, im abgeschiedenen, friedlichen und auch etwas wilden Südwesten Irlands ist der hochgewachsene, kräftige Brite seit fast 40 Jahren zu Hause - und als Reisender ist man froh, endlich am Ziel zu sein.

Denn dass auf dem Weg zu Garys Haus überhaupt noch etwas kommt, verrät auf der kilometerlangen Holperpiste, die dorthin führt und in einer Kurve unscheinbar von der Landstraße abzweigt, fast nichts. Der Weg ist kaum befahren, in der Mitte sprießt Gras, das wie ein Besen am Unterboden des Mietwagens entlangfegt. Kühe beobachten neugierig das vorbeifahrende Auto, auf einem mit Gras bewachsenen Felsen blökt ein Schaf. Sonst ist es still.

Unbekanntes Schmuckstück

Ein Caravan im Nichts: Auf der Mizen-Halbinsel findet man Ruhe.

Ein Caravan im Nichts: Auf der Mizen-Halbinsel findet man Ruhe.

(Foto: jwa)

Wenn das Navi nicht zielsicher die Richtung weisen würde, wäre man längst umgedreht. Und wenn die Buchungs-App nicht zufällig ein günstiges Haus in abgeschiedener Lage mit traumhaftem Ausblick angezeigt hätte, wäre man wohl gar nicht erst in diese Ecke Irlands gekommen. Die Mizen-Halbinsel ist ein Juwel, das auf der Checkliste der meisten Irland-Reisenden eher nicht auftaucht. Dabei findet man am Südwestzipfel der Insel fast alles, was zu einem Irland-Besuch gehört: steile Klippen, grüne, saftige Weiden, traumhafte Sandstrände, struppiges Heideland, pittoreske Orte, Denkmäler längst vergangener Zeiten. Und Einsamkeit.

Die Halbinsel hat spät den Anschluss gefunden. Strom gibt es hier erst seit den späten Siebzigerjahren, ans öffentliche Telefonnetz wurde Mizen erst in den Achtzigern angeschlossen. Schlüssel benutzt außerhalb der Ortschaften bis heute kaum jemand, sagt Gary. Seine Haustür ist immer offen, Gäste bekommen zwar einen Schlüssel, damit sie sich sicherer fühlen. Von den Einheimischen schließe aber niemand seine Türen ab, versichert er fröhlich. Wozu auch? Hierhin verirrt sich kaum ein Fremder und zu holen gäbe es auch nicht viel.

Kaltes, klares Wasser

Wer nach Mizen kommt, auf die südlichste der vier südwestlichen Halbinseln Irlands, bereichert sich nicht mit Dingen. Wertvoll ist hier etwas anderes: Eindrücke, Aussichten, das Gefühl von Ruhe und Freiheit. Die Halbinsel ist reich an Sehenswürdigkeiten, aber touristisch nicht so erschlossen wie zum Beispiel die etwas weiter nördlich gelegene Rundfahrtstrecke "Ring Of Kerry" auf der Iveragh-Halbinsel. So ist man auch an den spektakulärsten Orten oft ganz oder fast ganz allein - auch zur Hochsaison im Juli und August.

Wer im eiskalten Wasser des Nordatlantik badet, muss hartgesotten sein - oder Ire.

Wer im eiskalten Wasser des Nordatlantik badet, muss hartgesotten sein - oder Ire.

(Foto: jwa)

Klar, bei Kaiserwetter sind gerade die traumhafte Badebucht von Ballyrisode und der wildromantische Sandstrand von Barleycove sicher besser besucht. Doch in einem durchwachsenen Sommer tummeln sich an beiden Orten nur ein paar Einheimische, die gelassen im gefühlt zehn Grad kalten Wasser des Nordatlantiks baden oder bei Ebbe im knietiefen Wasser nach Meerestieren suchen - viele im Neoprenanzug, die meisten Älteren aber ohne. Wer es ihnen gleichtun möchte, braucht Mut und muss die Zähne zusammenbeißen. Es lohnt sich aber, denn nach einem ersten Schock ist das wunderbar klare Wasser sehr erfrischend und nach dem Bad wirkt es draußen gleich ein paar Grad wärmer. 

Schaurige Vergangenheit

Die Vergangenheit ist auf Mizen überall sichtbar. Aus Garys Wintergarten blickt man nach Norden auf die Dunmanus-Bucht und die noch dünner besiedelte Landzunge Sheep's Head. Am Ufer steht ein alter, halb verfallener Burgturm, die Reste des mittelalterlichen Dunmanus Castle. Weiter westlich liegt Canty's Cove, eine Bucht, in der ein Schlitzohr namens Canty zur Hochzeit der Piraten im 16. Jahrhundert gelebt und arglose Seeleute ausgeraubt haben soll. Der Legende nach stieß er sie hinter seinem Haus die Klippen hinab. In anderen Erzählungen hatte Canty eine Falltür im Boden, unter der das Meer tobte. Er ließ seine Opfer ertrinken, zog die Leichen in einem Fischernetz an Land und plünderte sie aus.

Noch im 20. Jahrhundert suchten Schatzsucher und Kinder in der Bucht nach einem sagenumwobenen Goldschatz von Canty - doch natürlich wurde er nie gefunden. Auch in jüngerer Zeit war die Gegend noch einmal Schauplatz eines grausigen Verbrechens: Die Filmproduzentin Sophie Toscan du Plantier wurde hier im Dezember 1996 unter mysteriösen Umständen ermordet, der Fall wurde nie aufgeklärt.  

Dramatische Szenerien

Da vorne steht ein Leuchtturm: Am Sheep's Head ist Irland zu Ende.

Da vorne steht ein Leuchtturm: Am Sheep's Head ist Irland zu Ende.

(Foto: jwa)

Garys Augen leuchten, wenn er diese Geschichten erzählt. Er ist begeistert von der Geschichte und den Geschichten seiner Wahlheimat. Der Funke springt über: Auf Nachfrage kramt er dicke Bücher über die Halbinsel hervor, unter anderem das lesenswerte "Northside Of The Mizen" von Patrick McCarthy und Richard Hawkes, in dem man sich leicht verlieren kann. Vorm Kamin im gemütlichen Wohnzimmer fliegen so die Stunden vorbei und aufgeladen mit den alten Geschichten und Legenden nimmt man die Landschaft am nächsten Tag gleich anders wahr.  

Aber Gary hat nicht nur gruselige Storys, sondern auch gute Ausflugstipps: zum Beispiel zum Leuchturm von Sheep's Head, inklusive Rückfahrt über die kaum befahrene, holprige Nord-Piste. Oder zum Three Castle Head, zu den Ruinen des Dunlough Castle am Fuße des gleichnamigen Sees. Der Weg dorthin führt über Weiden und kleine Mauern und an Zäunen vorbei - auch hierhin verirrt sich niemand zufällig. Die Überreste der Burg mit ihren drei Türmen ruhen malerisch auf einer Hochebene an der westlichsten Spitze von Mizen. Auf einer Seite geht es steil bergab ins tosende Meer, an der anderen Seite liegt ruhig der klare See, weit hinten sind die Klippen von Sheep's Head sichtbar.

Wenn man an Orten wie diesem angekommen ist, wo es nicht mehr weitergeht, wo Irland zu Ende ist, der Wind tost und die Klippen dramatisch ins Meer stürzen und dahinter bis Amerika erstmal nichts mehr kommt als wilder, tiefer Ozean, dann möchte man gar nicht mehr umkehren, geschweige denn nach Hause fahren. Gary hat sich vor fast 40 Jahren in die Halbinsel verliebt. Er ist vom englischen York hierhergezogen - auch wegen einer Frau, aber nicht nur. Die Frau ist weg, doch er ist geblieben. Man kann ihn gut verstehen.

Quelle: ntv.de

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