Blog "Drei Monate in New York" Mit dem Fahrrad durch Manhattan
19.04.2016, 18:20 Uhr
Nicht so fahrradfreundlich wie Münster oder Kopenhagen, dafür aber noch aufregender: New York City.
(Foto: picture alliance / dpa)
Mit dem Fahrrad durch New York fahren - geht das überhaupt? Aber natürlich! Es gibt viele Radwege, aber auch viele Ampeln. Aufregend ist es in jedem Fall. Ein Erfahrungsbericht nach 20 Kilometern durch Manhattan auf einem alten Mountainbike.
Sie haben unseren Kollegen Volker Petersen schon vermisst? Er berichtet derzeit für n-tv.de aus New York. Was ihn abseits der Nachrichten so beschäftigt, können Sie hier in seinem Reiseblog nachlesen.
Ich stand oder saß nun schon so oft in der New Yorker Subway, dass es mir ein bisschen eng wird. Stickige Luft, schlafende Menschen, leere Blicke auf Smartphones ... danke, reicht mir. In Berlin fahre ich fast nur noch Fahrrad. Warum nicht auch hier? Ständig sehe ich hier Mountainbiker, Rennradfahrer und E-Biker. Es scheint also zu gehen.
Über das Pendant zu Ebay-Kleinanzeigen, Craig's List, finde ich ein paar Angebote, darunter ein Mountainbike mit Helm und Schloss für 180 Dollar. Am nächsten Tag könnte ich es abholen, textet mir Nathan, der die Anzeige ins Netz gestellt hat.
Als ich am Sonntag nach einer Stunde Subway-Fahrt ganz im Norden von Manhattan ankomme, steht das Fahrrad schon auf dem Hausflur und ein bärtiger Typ mit schulterlangem Haar daneben. Das Rad gehöre seinem Partner, sagt Nathan. Der habe es von seinem Schwager bekommen. Wie alt es ist? Weiß er nicht. Ich tippe auf rund 25 Jahre, aber es ist in gutem Zustand. Stahlrahmen, kein Rost, Kette sieht gut aus, keine Acht in den Rädern ... ich nehme es. Ich gebe Nathan neun 20-Dollar-Scheine und besitze jetzt ein schwarzes Trek Antelope 820.
Mein Plan: Ich fahre nun den gesamten Broadway bis nach Downtown hinunter. Der beginnt gleich um die Ecke. Ich rolle über die Straße, zunächst geht es leicht bergab. Mein erster original New Yorker Fahrtwind weht mich an, ich atme durch, inhaliere den Asphaltgeruch und erfreue mich am blauen Himmel.
Erstmal gaaaanz vorsichtig
Erstmal fahre ich langsam, halte sklavisch vor jeder roten Ampel. Die anderen Radfahrer auf dem Broadway sind da aggressiver. Kurz nachdem ich losgerollt bin, werde ich von einem Typ auf einem schwarzen Singlespeed-Bike überholt, der anschließend über eine rote Ampel brettert, er ist nicht der letzte. Auch viele junge, coole Typen auf E-Bikes surren an mir vorbei. Ich will einen Gang hochschalten. Funktioniert … nicht. Die Schaltung ist halb kaputt, sodass ich immer mit dem Daumen den Schalthebel halten muss, um in einem höheren Gang fahren zu können. Nathan wirft bestimmt gerade meine neun 20-Dollar-Scheine in die Luft und lacht hysterisch.
Im nördlichen Manhattan zu fahren ist ein bisschen wie in Berlin-Neukölln auf der Sonnenallee. Viele Ampeln, viele Autos, viele kleine Geschäfte. Fühlt sich alles irgendwie normal an. An einem Kino namens "United Palace" steht der Satz: "Come on in or smile as you pass" - ich tue wie mir geheißen und rolle weiter. Das Rad ist schon okay, ein wenig zu klein, aber es geht voran.
Langsam grooven ich und der New Yorker Verkehr uns ein. Auto- und Taxifahrer umkurven mich vorsichtig oder lassen mich passieren, wenn ich Handzeichen gebe. Ich bleibe bei meiner entspannten Fahrweise, nur manchmal rolle ich jetzt doch bei Rot über leere Kreuzungen. Ich halte mit dem Daumen meinen Schalthebel fest und lasse ihn los, wenn ich die überraschend häufigen Steigungen hochstrampele. Ich schwitze. Und die Hochhäuser von Midtown sind erst am Horizont zu sehen. Dafür entdecke ich an einer Kreuzung etwas, das ich zwar aus der Heimat kenne, hier aber nicht vermutet hätte: die "Friedrich Froebel Pestalozzi"-Schule.
Als ich nach einer einiger Zeit den "Duke Ellington Boulevard" überquere, sehe ich höhere Häuser, schickere Fassaden und mehr Autos. Der Verkehr wird dichter, manchmal weiche ich auf den Bürgersteig aus und überquere die Straße über die Fußgängerampel. Am Straßenrand entdecke ich nach einer Weile einen "Hardware Store", ich halte an, kette gefühlt minutenlang und umständlich das Fahrrad an und gehe hinein. Drinnen telefoniert ein schnauzbärtiger Mann mit dem Handy auf Spanisch. Ich kaufe ein Inbus-Multitool, einen Schraubenzieher und einen Engländer-Schraubenschlüssel. Er unterbricht sein Telefonat, ich zahle 20 Dollar und verschwinde.
Schnellreparatur und weiter
Draußen auf der Straße stelle ich den Lenker neu ein und drehe die Schrauben am Schalthebel fest. Doch es hilft nichts – der Hebel hält die Spannung immer noch nicht. Dafür fährt es sich mit neu eingestelltem Lenker schon etwas bequemer. Bald darauf erreiche ich die Columbus-Avenue, in Höhe des südlichen Endes des Central Parks. Kurze Zeit später rolle ich in einen großen von gläsernen Wolkenkratzern umsäumten Kreisverkehr ein. Ziemlich viele Autos, ziemlich groß, ziemlich laut hier. Immer schön rechts halten und keine plötzlichen Bewegungen!
Ich weiche wieder auf den Bürgersteig aus und steige ab. Links liegt der Central Park, vor mir Midtown Manhattan, eine Gruppe junger Touristen läuft an mir vorbei, vor mir steht ein alter Bärtiger, der den Passanten Kutschfahrten oder so etwas andrehen will. Als er mich sieht, blickt er gleich wieder weg und konzentriert sich auf die Gruppe. Dieser schwitzende Typ mit dem Helm und dem alten Mountainbike wirkt wohl nicht wie ein Tourist auf ihn. (Das hoffe ich natürlich und gebe mir selbst innerlich High Five, weil ich dadurch das Gefühl habe, wieder ein Stück mehr angekommen zu sein ...).
Ich bin ziemlich kaputt, ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich nur noch eine Stunde habe, bis meine Nachtschicht anfängt. Nach Downtown-Manhattan muss ich ein anderes Mal fahren. Also direkt nach Hause. Ich steige wieder auf, zische zwei Frauen an, die mir beinahe vors Vorderrad laufen und düse an die nächste Ampel. Ich bin ein New Yorker Fahrradfahrer und habe es eilig!
Aber wie komme ich über den East River? Und – schaffe ich das überhaupt rechtzeitig? Ich überlege, mein Fahrrad hier irgendwo zu parken und die Subway zurückzunehmen. Aber wird es dann nicht geklaut? 180 Dollar für eine Fahrradtour wäre dann doch ein bisschen teuer. Ich schließe einen Pakt mit dem Universum. Gleich in der benachbarten Straße hat Freddie Mercury ein Apartment besessen – wenn ich mein Fahrrad dort lasse, wird sein Geist das Fahrrad beschützen. Das schuldet er mir, bei dem Geld, das ich für seine CDs ausgegeben habe und so oft ich ihn schon gegenüber vermeintlichen Inhabern eines höherwertigen Musikgeschmacks verteidigt habe. Das denke ich wirklich – aber ich habe schon eine Stunde Radfahren in den Knochen und bin etwas benebelt.
Freddie Mercury hilft von oben
Als ich in die 58. Straße rolle, in der der Queen-Sänger lebte, finde ich die Lösung. Ein Fahrradladen. Ich gehe hinein und frage die jungen Verkäufer, ob ich mit dem Rad über den East River komme. "Yes, no problem!", sagt der eine. Es gebe eine Fahrradspur auf der Ed Koch Queensboro Bridge, die gleich um die Ecke ist.
Zehn Minuten später kraxele ich die Brücke hinauf. Sie steigt ziemlich steil an, so dass ich bald in 20 oder 30 Metern Höhe zwischen den Wolkenkratzern hindurchfahre. Die Brücke selbst besteht aus schweren, alten Stahlträgern, gleich neben der Fahrradspur wälzen sich die Autos in Richtung Queens. Links rattert plötzlich ein silberner Subway-Zug vorbei, ein wenig später erblicke ich die komplette Skyline Manhattans. Ich lache ein heiseres, müdes, aber glückliches Lachen.
Von da an geht es nur noch bergab, aber ganz sanft. Einen Kilometer rolle ich, werde immer schneller, der Fahrtwind treibt mir Freudentränen in die Augen, ganz leicht verlagere ich mein Gewicht, um meine Antilope zu lenken, immer mal wieder schaue ich rüber nach Manhattan, während ich über den East River über dem Häusermeer von Queens einschwebe. Ab hier folge ich überraschend gut ausgeschilderten Radwegen, komme rechtzeitig in Jackson Heights an und falle nach 20 Kilometern quer durch New York glücklich auf das Bett mit dem gelben Laken.
Den ganzen Blog mit vielen weiteren Einträgen finden Sie unter www.dreimonateinnewyork.wordpress.com
Quelle: ntv.de