Bittere Erinnerung an 2015 Als mancher das DHB-Team böse verschaukelt sah
25.01.2023, 17:13 Uhr
Silvio Heinevetter war sauer.
(Foto: picture alliance / Christina Pahnke / sampics)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft spielt am Abend gegen Frankreich ihr WM-Viertelfinale. Es ist das erste seit acht Jahren - und beim letzten Mal endete es bitter und mit mächtig Ärger. Dabei hätte es gar nicht erst so weit kommen dürfen.
Juri Knorr, der bisher so überzeugende Regisseur einer neuen DHB-Generation, steht nach eigenen Angaben "vor dem wahrscheinlich größten Spiel meiner Karriere": Am Abend (20.30 Uhr/ ARD und im Liveticker auf ntv.de) spielt die deutsche Handball-Nationalmannschaft ihr WM-Viertelfinale gegen Rekord-Weltmeister Frankreich, gegen den amtierenden Olympiasieger. "Wir müssen das Spiel mit Leidenschaft angehen. Wir werden unser Herz in die Hand nehmen und die vielleicht fehlende Erfahrung gegenüber den Franzosen mit Kampf wettmachen", versprach der bislang überragende Torwart Andreas Wolff. Ein WM-Viertelfinale ist etwas Besonderes.
Acht Jahre ist es her, dass die deutsche Handball-Nationalmannschaft, Weltmeister von 1978 und 2007, letztmals ein Viertelfinale bei einer WM bestreiten durfte. Und die Erinnerung ist finster. "Wir haben nicht unser bestes Spiel gemacht", setzte ein sichtlich um Worte ringender Silvio Heinevetter seinerzeit am Mikrofon von Sky an. Und dann legte der damalige Nationaltorwart nach: "Aber heute können wir das Spiel nicht gewinnen, das weiß jeder." 24:26 hatte das DHB-Team gegen Gastgeber Katar verloren - und mindestens Heinevetter fühlte sich verschaukelt.
"Jeder weiß, was ich denke"
"Wir sind immer noch Gäste hier, da muss man aufpassen, was man sagt. Aber jeder, der das Spiel gesehen und etwas Ahnung hat, weiß, was ich denke." Das mazedonische Schiedsrichtergespann hatte sich zumindest zu einer sichtbar unterschiedlichen Auslegung des passiven Spiels entschlossen. Während das DHB-Team früh das Signal bekam, ihre Angriffe doch bitte schneller zum Abschluss zu bringen, bekamen die Gastgeber alle Zeit der Welt, ihr Angriffsspiel zu organisieren.
Den Österreichern war es zuvor ähnlich ergangen, zumindest fühlten sie sich beim 27:29 im Achtelfinale gegen den Gastgeber ähnlich ungerecht behandelt wie Heinevetter: "Gegen uns wurden in der zweiten Hälfte so viele Offensivfouls gepfiffen wie im ganzen Turnier zuvor zusammen. Da hat Katar scheinbar gut gedeckt", spottete Österreichs Kapitän Viktor Szilagyi, heute Geschäftsführer beim THW Kiel. "Vielleicht muss man das erwarten. Ich kann das schwer akzeptieren." Trainer Patrekur Johanesson wollte nach der Achtelfinal-Niederlage seines Teams zwar "keinen Kommentar zu den Schiedsrichtern" abgeben, tat es aber mit seiner Prognose für den weiteren Turnierverlauf dann subtil doch: "Ich glaube, Katar wird Weltmeister." So weit kam es nicht, Katar verlor im Finale gegen Frankreich.
Die deutsche Handball-Legende Stefan Kretzschmar ordnete die Vorkommnisse von Ende Januar 2015 nüchterner ein: "Natürlich wurde teilweise mit zweierlei Maß gemessen, aber es gab nicht viele krasse Fehlentscheidungen", schrieb der 218-fache Nationalspieler in einer Kolumne für Sport1. "Gegen Österreich im Achtelfinale war es in den letzten zehn Minuten abenteuerlich, wir Deutschen haben auch ein wenig darunter gelitten. Aber es war nicht so markant, dass man nach dem Spiel dachte: Um Gottes willen, hier wurden wir richtig verpfiffen."
"Einfach nicht gut genug"
"Wir haben uns das Ergebnis selbst zuzuschreiben, weil wir in der ersten Halbzeit einfach nicht gut genug waren", sagte Rechtsaußen Patrick Groetzki. Paul Drux wollte dagegen lieber "keinen Kommentar" abgeben zum Spiel, das die deutsche gegen eine katarische Mannschaft, ein bisschen auch gegen die Schiedsrichter und gegen eine gewaltige Kulisse von 14.500 Menschen verloren hatte. "Vor so einem Publikum erspielt man sich im Idealfall ein kleines Polster", sagte Drux 2015 dem "Tagesspiegel", "bei uns war es genau umgekehrt: Wir sind immer einem Rückstand hinterhergelaufen." Am Ende reichte es nicht mehr. Valero Rivera, damals wie heute Trainer Katars, gab nur achselzuckend zu bedenken: "Der Heimvorteil ist im Handball enorm wichtig, das ist bekannt. Wenn dieses Spiel in Deutschland ausgetragen worden wäre, hätten es die Deutschen gewonnen."
Die Weltmeisterschaft war im Januar 2011 an Katar vergeben, nur wenige Wochen nachdem das Emirat den Zuschlag für die gerade zu Ende gegangene hochumstrittene Fußball-WM 2022 erhalten hatte. Für das Turnier hatte sich Katar, das im Handball zuvor keine große Rolle gespielt hatte, mit viel Geld eine starke Mannschaft zusammengekauft: Gerade einmal vier Spieler im Kader des WM-20. von 2013 waren Einheimische. Ein Tor erzielte im Laufe des Turniers keiner von ihnen.
Den Weg ins Finale ebneten die Montenegriner Zarko Markovic und Goran Stojanovic, Weltklassetorwart Danijel Saric, ein Bosnier, der Franzose Bertrand Roiné, der Spanier Borja Vidal Fernández und der Kubaner Rafael Capote. Weil man im Handball, anders als im Fußball, wo man nur für ein einziges Land A-Länderspiele absolvieren darf, für einen Nationenwechsel nur eine dreijährige Länderspielpause nötig ist, konnte sich Katar ein schlagkräftiges All-Star-Team zusammencasten. Angeblich gab es für jede gewonnene WM-Partie 100.000 Euro - pro Spieler. Im Handball, in dem schon mittlere sechsstellige Jahresgehälter den absoluten Topstars vorbehalten sind, ist das eine gewaltige Stange Geld.
Ein großer Teil der Wahrheit ist allerdings auch: Deutschland hätte in Katar eigentlich gar nicht dabei sein dürfen. Sportlich hatte man die Qualifikation in den Playoffs gegen Polen nämlich in zwei Spielen verpasst. Weil der Weltverband aber die für den globalen Handball eher unbedeutenden Australier handstreichartig aus der WM warf, konnte das DHB-Team noch nachrücken - nachdem man flugs die Vergabekriterien für den Nachrücker zugunsten Deutschlands geändert hatte. "Irgendwie ein komisches Gefühl, auf so eine Art und Weise qualifiziert zu sein", twitterte Nationalspieler Patrick Groetzki damals. Die Sache nahm ein bitteres Ende für die DHB-Auswahl, die ein Jahr später völlig überraschend Europameister wurde - und bei der WM 2017 wieder gegen Katar verlor, diesmal schon im Achtelfinale und in Frankreich.
Franzosen fühlten sich 2007 betrogen
Die Erinnerung an den Abend von Lusail ist längst nicht mehr frisch, aus dem aktuellen Kader waren damals nur der blutjunge Paul Drux und eben Groetzki, inzwischen deutscher Rekord-WM-Teilnehmer, schon dabei. Aber das Datum steht im Kalender: 28. Januar 2015, das letzte WM-Viertelfinale einer deutschen Handball-Nationalmannschaft der Männer. Getilgt wird der Eintrag am Abend. Auf neutralem Boden, kein Heimvorteil.
Die neue DHB-Generation wird nicht umhinkommen, ihr bestes Spiel zu machen, um gegen Frankreich eine Chance zu haben. Johannes Golla sprach sogar vom "perfekten Spiel", das es brauche, um endlich mal wieder ein K.o.-Spiel zu gewinnen. Bei einer Weltmeisterschaft schlug man Frankreich zuletzt 2007, im Halbfinale. 32:31 hieß es in der Dortmunder Westfalenhalle nach zweimaliger Verlängerung - weil die schwedischen Schiedsrichter höchst umstritten den Ausgleich Frankreichs nicht anerkannten. "Die Schiedsrichterentscheidungen entgleiten, und man kann leider nichts tun", sagte der Technische Direktor des französischen Verbandes, Philippe Bana damals.
Am Vorabend des Spiels sprachen die Franzosen mit dem Präsidenten des Handball-Weltverbandes, dem Ägypter Hassan Moustafa. "Wir haben ihm gesagt, dass wir nicht erleben wollen, was die Spanier im Viertelfinale gegen die Deutschen erlitten haben", sagte Bana. "Die Botschaft ist sichtbar nicht angekommen."
Quelle: ntv.de