Von Nazis um Gold betrogen Bergmanns Olympia-Wunde verheilte nie
26.07.2017, 16:59 Uhr
Gretel Bergmann floh 1937 in die USA - wo sie nun mit 103 Jahren starb.
(Foto: imago sportfotodienst)
Die Nazis verhinderten einen Start Gretel Bergmanns bei den Olympischen Spielen 1936 - weil sie Jüdin war. Das konnte die Hochspringerin nie vergessen - und hasste viele Jahrzehnte alles deutsche. Nun ist Bergmann mit 103 Jahren gestorben.
Manchmal rissen die Wunden unvermittelt wieder auf - Gretel Bergmann konnte einfach nicht vergessen. So wie im Sommer 1996, als plötzlich alles wieder hervorbrach, während sie sich zu Hause in Queens die Ausscheidungswettkämpfe der US-Leichtathleten für die Olympischen Spiele in Atlanta im Fernsehen anschaute. "Plötzlich liefen mir die Tränen über die Wangen", sagte sie: "Ich bin keine Heulsuse, aber da dachte ich an 1936, und ich konnte nicht anders. Durch die Tränen sagte ich mir: Verdammt!"
Ehe Gretel Bergmann am Dienstag im Alter von 103 Jahren in New York starb, hatte sie ihren Frieden mit Deutschland geschlossen. Die Geschichte der einst weltbesten Hochspringerin ist ein deutsches Drama, das am 16. Juli 1936 begann. An diesem Tag erhielt sie einen Brief von Hans von Tschammer und Osten. "Frl. Gretel Bergmann", schrieb ihr der Reichssportführer, bevor er ihr erklärte, dass sie, die Jüdin, für Deutschland nicht an den Olympischen Spielen in Berlin teilnehmen würde. "Sie werden aufgrund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben", schrieb er. Tage zuvor hatte Bergmann den deutschen Rekord auf 1,60 m verbessert. Tschammer schloss mit den Worten: "Heil Hitler!"
"Alles hätten sie mir sagen können, aber nicht, dass ich nicht gut genug sei. Ich war besser als die meisten anderen", sagte Bergmann: "Das hat mich sehr, sehr wütend gemacht. Ich hätte die ganze Bande umbringen mögen." Die Tochter eines Unternehmers träumte von Gold, nichts anderem. "Ich wollte den Deutschen und der Welt beweisen, dass Juden nicht diese schrecklichen Menschen waren, nicht so fett, hässlich, widerlich, wie sie uns darstellten", sagte sie: "Ich wollte zeigen, dass ein jüdisches Mädchen die Deutschen besiegen kann." Doch sie durfte nicht.
Nazis zwangen sie zurück nach Deutschland
Margaret Bergmann kam am 12. April 1914 in Laupheim bei Ulm zur Welt. Als Teenager war sie groß, schlank, sportlich und hatte lange Beine - beste Voraussetzungen für eine Hochspringerin. Nach der Machtübernahme der Nazis warf man sie in einem Akt vorauseilenden Gehorsams aus ihrem Verein FV Ulm. Bergmann ging zum Studium nach England.
"Die Nazis zwangen mich aber, wieder zurückzukommen, weil die Amerikaner gefordert hatten, dass deutsche Juden an Olympia teilnehmen müssten, ansonsten würden sie die Spiele boykottieren", sagte Bergmann. "So wurde ich zum Lockvogel." Am 15. Juli 1936 bestiegen die Amerikaner das Schiff Richtung Deutschland - am Tag danach ging der Brief an sie in die Post.

Walther Tröger, Präsident des NOK, lud Bergmann 1996 nach Atlanta ein.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Gold holte dann, mit einer Höhe von 1,62 Meter, die Ungarin Ibolya Csak. Eine Jüdin. Für Deutschland sprang Dora Ratjen, die in Wahrheit ein Mann war und Vierte wurde. Ein Jahr später flüchtete Gretel Bergmann mit vier Dollar in der Tasche in die USA - und überlebte so den Holocaust. Danach sollte sie sich mehr als 60 Jahre lang weigern, deutschen Boden zu betreten. Selbst ihre Muttersprache verdrängte sie aus ihrem Kopf. Bergmann gelang es, ihren späteren Ehemann Bruno Lambert, einen Arzt, der noch viele Verwandte in Konzentrationslagern verlieren sollte, rechtzeitig aus Nazideutschland rauszuholen. "Ich kann nicht sagen, dass Gott gut zu mir war, denn ich glaube nicht mehr an ihn, seitdem über sechs Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden", sagte sie einst der Welt am Sonntag.
Seit 2012 in der Hall of Fame
Erst Mitte der 90er-Jahre nahm der Prozess der Aussöhnung Fahrt auf, als NOK-Präsident Walther Tröger sie zu den Olympischen Spielen nach Atlanta einlud. "Sie hat lange gezögert und dann angenommen", so Tröger: "Am Ende sagte sie mir dann: 'Wir kamen als Gegner und gingen als Freunde.' Das hat mich sehr bewegt." 1999 reiste sie nach Deutschland und nahm in Frankfurt/Main den Georg-von-Opel-Preis entgegen, in ihrer Heimatstadt Laupheim erhielt das städtische Stadion ihren Namen. 2012 wurde sie in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen.
Zu ihrem 100. Geburtstag flogen DLV-Präsident Clemens Prokop und seine Vizepräsidentin Dagmar Freitag, die auch Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages ist, nach New York. Mit im Gepäck hatten sie einen Brief des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. "Ich werde nie vergessen, als sie sagte: 'Ich wünschte mir, dass meine Eltern das noch erlebt hätten'", sagte Freitag.
Freitag besuchte sie auch zum 101. und, im vergangenen April, zu ihrem 103. Geburtstag. Der festen Verabredung zu ihrem 104. Geburtstag kann Gretel Bergmann nicht mehr nachkommen.
Quelle: ntv.de, Jörg Mebus und Kristof Stühm, sid