Dopingsumpf Leichtathletik Coe beschwichtigt, Italien will Massensperren
02.12.2015, 20:52 Uhr
Coe bei der Leichtathletik-WM 2015. Von Haftstrafen für Doper hält er nichts.
(Foto: dpa)
Vertuschte Dopingfälle, Erpressung, verkaufte WM: Die Leichtathletik steckt in einer extremen Krise. Trotzdem beteuert IAAF-Boss Sebastian Coe, sein Weltverband sei nicht korrupt. Derweil droht in Italien der nächste Riesenskandal - mit bis zu 26 Dopingsperren.
Sebastian Coe, dunkler Anzug, hellblaue Krawatte, zog immer wieder die Stirn in Falten. Zwölf britische Parlamentarier löcherten den neuen IAAF-Präsidenten: Was unternimmt er gegen systematisches Doping in der Leichtathletik, das nun auch in Italien für Massensperren sorgen dürfte? Was wusste er über Korruption unter seinem höchst umstrittenen Vorgänger Lamine Diack? Was unternimmt er für einen sauberen Sport?
Coe, der vor der Anhörung noch gut gelaunt für die Fotografen lächelte, wirkte mit jeder Frage zerknirschter. Doch der gewiefte Taktiker redete sich am Ende stets raus. "Nein", der Leichtathletik-Weltverband sei nicht korrupt, wiegelte Coe kategorisch ab: "Es gibt schwerwiegende Anschuldigungen, aber die IAAF ist nicht korrupt. Wenn Sie sagen, dass in der IAAF Doping akzeptiert wird, kann ich das nicht akzeptieren." Coe präsentierte sich im Raum "Grimond" vor dem Komitee für Medien, Kultur und Sport im britischen Parlament einmal mehr als der große Retter der Leichtathletik.
"Es wäre falsch zu sagen, wir würden Betrüger nicht verfolgen", sagte Coe und versicherte, auch in seinen acht Jahren als Vize-Präsident unter dem zweifelhaften Diack stets "schwierige Fragen" gestellt zu haben. Doch konkreten Nachfragen wich der 59-Jährige immer wieder aus - stattdessen verlor er sich in Allgemeinplätzen.
Russland, Kenia, Italien?
"Sind unsere Systeme perfekt? Ich bin sicher, sie sind es nicht. Werden wir sie verbessern? Ja", sagte Coe, der angesichts des grassierenden Dopingskandals in der internationalen Leichtathletik ins Parlament zitiert wurde: "Wenn wir das nicht tun, gibt es kein Morgen für meinen Sport."
Das nächste Beben nach Russland und Kenia deutet sich bereits an. Die Anti-Doping-Staatsanwaltschaft Italiens beantragte eine zweijährige Sperre für 26 Sportler, darunter der frühere Stabhochsprung-Weltmeister Giuseppe Gibilisco. Die Leichtathleten sollen Doping-Kontrollen vermieden haben, berichteten italienische Medien. Die Sperren wurden nach Ermittlungen gefordert, die zuletzt die Staatsanwaltschaft in Bozen geführt hatte. Diese hatte unter anderem gegen den Geher-Olympiasieger Alex Schwazer ermittelt. Sperren wurden unter anderem für die Sprinter Simone Collio und Roberto Donati sowie den Weitspringer Andrew Howe beantragt.
Nur sportliche Sanktionen
Trotz aller Beteuerungen, im Anti-Doping-Kampf endlich durchgreifen zu wollen, sprach sich Coe gegen die strafrechtliche Verfolgung von Dopingsündern aus, wie sie etwa in Italien erfolgt. Er sei "besorgt", Athleten zu "kriminalisieren", sagte der Brite: "Letztlich denke ich, dass es besser ist, sportliche anstatt strafrechtlicher Sanktionen zu haben." Zuletzt hatte der Bundestag für Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz beschlossen.
Die neuen Regeln sehen vor, Doper und ihre Hintermänner ab dem 1. Januar 2016 gegebenenfalls mit hohen Haftstrafen zu belangen - von bis zu drei Jahren. Stattdessen stellte Coe mehr Geld für den Kampf gegen die Betrüger in Aussicht. "Ich möchte einen Sport, dem man wieder trauen kann. Aber die Rückgewinnung von Vertrauen ist ein langer Weg", sagte der Doppel-Olympiasieger über 1500 Meter. Wenn nötig, werde er das jetzige Budget von rund 5,7 Millionen Euro für den Anti-Doping-Kampf verdoppeln.
"Hätte andere Sprache wählen sollen"
Für seine umstrittene Wortwahl, die Enthüllungen der ARD und der "Sunday Times" über verdächtige Blutproben seien eine "Kriegserklärung" an den Sport, wollte sich Coe nicht entschuldigen. "Ich bleibe dabei", sagte Coe. Aber: "Ich hätte wahrscheinlich eine andere Sprache wählen sollen." Laut Coe sei die Aussage keine Attacke auf die Medien gewesen.
Staatlich gestütztes Doping in Russland, womöglich weit verbreiteter Betrug und Korruption in Kenia - die Leichtathletik befindet sich in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Eine "Horror-Show" wie Coe zugab. Und er versuchte Härte zu demonstrieren. Der suspendierte russische Verband kehre erst in die IAAF zurück, wenn er sein System reformiert habe. Er werde "alles dafür geben, die sauberen Athleten zu schützen", sagte Coe.
Quelle: ntv.de, stp/cwo/sid