"Starkstromfinale" bei Darts-WM Cross setzt "The Power" unter Spannung
31.12.2017, 11:57 Uhr
Rob "Voltage" Cross (l.) zieht bei seinem WM-Debüt direkt ins Finale ein - dort trifft er auf Legende Phil "The Power" Taylor (r.).
(Foto: picture alliance / dpa)
Dieses WM-Finale hat wohl niemand erwartet: Phil Taylor trifft am 1. Januar 2018 auf Rob Cross. Während sich "The Power" mit Glück ins Endspiel kantert, liefert "Voltage" eines der dramatischsten Spiele der Darts-Geschichte ab.
Als Michael van Gerwen am Silvestermorgen um 1.11 Uhr auch seinen sechsten Match-Dart verschmissen hatte, war Elmar Paulke endgültig am Ende. "Der ist auch nicht drin. Der ist auch NICHT drin. Der ist NICHT DRIN. DER IST NICHT DRIN", rief die deutsche Darts-Stimme mit immer lauterer Stimme in sein Kommentatoren-Headset. "Das ist ein Wahnsinn." Ein Wahnsinn, den Rob "Voltage" Cross nur Sekunden später beendete, souverän, mit seiner insgesamt dritten Chance auf den Sieg, mit einer Doppel-8. Er beendete das zweite Halbfinale der Weltmeisterschaft so unaufgeregt, als wäre nichts gewesen, nicht zweieinhalb Stunden unfassbares Drama mit wilden Wendungen und einer irrwitzigen Zahl ausgelassener Chancen.
- Rob Cross - Michael van Gerwen 6:5 (27:27 Legs)
- Drei-Dart-Average: 100,97 - 102,44
- Doppelquote: 38,03 - 31,76 Prozent
- 180er: 15:16
- 140er: 41:38
- 100er: 57:63
- Highfinish: 161:116
Rob Cross steht im WM-Finale. Er steht dort zum ersten Mal. Bei seinem ersten Auftritt im Ally Pally. Das alleine ist schon eine unglaubliche Geschichte. Am Anfang dieses Jahres, als ausgerechnet van Gerwen, diese gnadenlose niederländische Abrissbirne, sein Monsterjahr 2016 nach 25 Turniersiegen mit dem WM-Titel 2017 krönte, war Cross noch Amateur. Ein berufstätiger Elektriker, ein Pub-Spieler. Ein da noch 26-jähriger Newcomer, der sich nach einer starken Saison auf der PDC Challenge Tour für dieses Jahr erstmals das Spielrecht an der Pro Tour erworfen hatte, sich dort unfassbar schnell in die Weltspitze vorspielte, Topleute wie Peter Wright und Raymond van Barnevald bezwang, und sich bis auf Rang 20 der Order of Merit arbeitete. "Worte können nicht erklären, was ich fühle. Ich habe das nie erwartet, es ist unglaublich, fantastisch", sagte Cross nach dem epischen Wahnsinn am Sky-Mikrofon.
Die Partie zwischen der Nummer eins der Welt, van Gerwen, und der (noch) Nummer 20, Cross, war ein Schauspiel ohne Atempause. Nicht so hochklassig freilich wie das letztjährige Halbfinale von MvG, als er seinen niederländischen Kumpel, den fünffachen Weltmeister Raymond van Barneveld mit einem Rekord-Average (Punkte pro Aufnahme) von 114,05 Punkte vom Board nagelte, aber gigantisch spannend wie selten zuvor. So fragte selbst der Weltverband PDC via Twitter: "War es das beste Spiel überhaupt im Alexandra Palace?". Es ging jedenfalls so wild hin und her wie sonst nur beim chinesischen Tischtennis-Stakkato. Die maximale Zahl von elf Sätzen musste gespielt werden, insgesamt 52 Legs, beide gewannen jeweils 27, spielten phasenweise weltklasse, phasenweise hanebüchen.
Van Gerwen patzt fatal
Die Entscheidung fällt im ersten Sudden-Death-Leg dieser WM: Cross holt sich den Anwurf, gewinnt das Duell aufs Bulls Eye. Er beginnt, stellt sich als Erster ein Finish, 140 hat er noch auf der Uhr. MvG kontert, bringt sich auf 108. Cross setzt den ersten Pfeil in die Triple 20 (60 Punkte), den zweiten auf Triple 16 (48) und hat seinen Matchdart auf Doppel-16 - das schmale Feld verfehlt er allerdings deutlich, trifft nur die einfache 16. Nun van Gerwen: Triple-20, einfache 16 und ebenfalls die Chance auf Doppel-16. Der Niederländer bekommt seinen fünften Matchdart – und verpasst das 0,8 Zentimeter schmale Feld um Millimeter. Wahnsinn! Cross kontert eiskalt, Doppel-8. Ende.
"Ich habe immer daran geglaubt – wenn ich rausgehe und auf mein bestes Niveau komme, kann ich ihn schlagen", erklärte "Voltage", während van Gerwen via Twitter seine Enttäuschung teilte: "Es tut sehr weh und wird Zeit brauchen, um das zu verarbeiten. Aber ich kann mir nur selbst die Schuld geben. Ich hatte genug Chancen und habe sie nicht genutzt." Aber MvG hatte für den Sensations-Debütanten auch ein dickes Lob parat: "Er hat großartig gespielt. Er ist ein großartiger Spieler." Der nun auf den Großartigsten überhaupt trifft, im "Vollstromfinale" auf die englische Darts-Legende Phil "The Power" Taylor (1. Januar, 21 Uhr im Liveticker bei n-tv.de). Der nämlich hatte vor dem großen Drama sein Halbfinale mit viel Glück ergebnissouverän mit 6:1 gegen den zweiten Überraschungsmann des Turniers, den Waliser Jamie Lewis (Weltranglisten-46.), gewonnen.
"Damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte nicht, dass ich diesen Weg schaffen würde", sagte Taylor nach seinem Sieg, der allerdings viel, viel enger war, als es die Zahlen aussagen. Bis auf Satz fünf ging jeder Durchgang über die volle Leg-Distanz (5), immer wieder hatte Lewis beste Chancen, die Sätze zu gewinnen, patzte aber dramatisch oft bei den entscheidenden Doppelfeldern (Quote: 34,15 zu 52,63 Prozent). "Ich habe heute viel Glück gehabt", gestand Taylor. Viele hatten ihm bei seiner letzten WM einen solchen Erfolg indes gar nicht mehr zugetraut. Den Mann aus Stoke-on-Trent, der den Sport nun fast schon 30 Jahre dominiert, trennt jetzt nur noch ein Schritt vom perfekten Abschied auf der Darts-Bühne. "Ich werde jetzt einfach relaxen und mich auf die nächste Aufgabe vorbereiten", sagte er. Es ist seine Letzte. Sie könnte mit dem 17. WM-Titel enden. Es wäre der nächste Wahnsinn.
Quelle: ntv.de