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US Open zwischen Posse und Chaos Das bizarrste Tennis-Turnier aller Zeiten

Ganz sicher einer der großen Verlierer der US Open: Novak Djokovic.

Ganz sicher einer der großen Verlierer der US Open: Novak Djokovic.

(Foto: dpa)

Die French Open wurden wegen der Corona-Pandemie verschoben, Wimbledon gar gestrichen. Die US Open hingegen konnten, wie geplant, gespielt werden. Es ist ein denkwürdiges Turnier - allerdings nicht wegen der gezeigten Leistungen der Tennisprofis.

Eines muss man den Veranstaltern ja zugutehalten. Der amerikanische Tennis-Verband (USTA) hat es geschafft, diese US Open 2020 durchzuführen. Trotz Corona. Und wer hätte das gedacht, als New York im Frühjahr das globale Epizentrum der Pandemie war? Selbst Anfang August gab es noch jede Menge Zweifel. Dass das Turnier nur ohne Zuschauer ausgetragen werden könnte, war klar. Dass somit die einzigartige Stimmung fehlen und beispielsweise das gigantische Arthur Ashe Stadium den Charme einer riesigen, leeren Lagerhalle haben würde, ebenso. Doch was ist 2020 schon normal?

Selbst als Superstars wie Roger Federer und Rafael Nadal absagten und bei den Frauen sogar sechs der Top Ten auf eine Reise nach New York verzichteten, versuchte USTA-Chef Mike Dowse positiv zu bleiben. Er und sein Team hatten mit großem Engagement ein Hygienekonzept erstellt, eine Blase für Spielerinnen und Spieler geschaffen, rund 13.000 Corona-Tests zur Verfügung gestellt. Die Akteure sollten von der Außenwelt abgeschirmt werden, so ein Gefühl von Sicherheit bekommen. Und falls es doch einen Covid-Fall geben würde, dann sollte die- oder derjenige sofort ausgeschlossen werden. Dies, so hieß es, gelte auch für alle Personen, die mit dem Infizierten Kontakt hatten. Soweit die Theorie. Doch dann kam die Praxis - und mit ihr Chaos und Konfusion.

Und so ging es in der ersten Woche dieses größten Turniers des Jahres gar nicht um Tennis, sondern um unklare Richtlinien, zweideutige Auslegungen und Quarantäne-Klauseln, die vor allem Frankreichs Akteure wütend machten. Bereits einen Tag vor dem ersten Aufschlag war Benoit Paire positiv getestet und ausgeschlossen worden. Anschließend kam heraus, dass der Franzose mit bis zu elf anderen Personen im Hotel auf Long Island Kontakt hatte. Doch von denen wurde, entgegen dem Protokoll, niemand disqualifiziert. Denn dies hätte womöglich schon früh im Turnierverlauf für gehöriges Durcheinander gesorgt. So kam schnell der Verdacht auf, die Veranstalter seien vor allem darauf bedacht, ihr Turnier unter allen Umständen durchzubringen. Die French Open waren verschoben worden, Wimbledon gar abgesagt. Die US Open hingegen, die durften auf keinen Fall nach wenigen Tagen abgebrochen werden.

Die Posse um Benoit Paire

Und so nahm die Veranstaltung einen mitunter aberwitzigen Verlauf. Kristina Mladenovic war jedoch nicht zum Lachen zumute. Sie hatte mit Paire Kontakt, durfte aber trotzdem zwei Einzel spielen und wurde erst vor ihrem Auftaktmatch mit der Ungarin Timea Babos im Doppel (das Duo war Nummer eins der Setzliste) ausgeschlossen. Die Gesundheitsbehörden hatten mitbekommen, dass USTA ihr eigenes Hygienekonzept umgeht und Druck aufgebaut. Trotz ihres Ausscheidens durfte Mladenovic, wie auch die weiteren mit Paire in Kontakt gekommenen Personen, nicht abreisen, um sich auf die am 21. September beginnenden French Open vorzubereiten, sondern musste in ihrem Hotelzimmer eine weitere Woche in Quarantäne bleiben. Die 27-Jährige sprach von einem "Albtraum."

Den erlebte Novak Djokovic im Achtelfinale. Der Topfavorit hatte einer Linienrichterin unabsichtlich mit einem Ball am Hals getroffen und wurde trotz umgehender Entschuldigung sofort disqualifiziert. Die Entscheidung war regelkonform - das Turnier jedoch um seinen einzigen Superstar im Herrenfeld ärmer. Und die Haupt-Attraktion für das US-Fernseh-Publikum, Serena Williams, musste ihren Traum vom 24. Grand Slam-Titel im Halbfinale beenden.

Naomi Osaka mit politischer Botschaft

Dass letztlich Naomi Osaka nach 2018 zum zweiten Mal gewann, war verdient. Die Japanerin wird jedoch nicht nur wegen ihres Triumphs das Gesicht dieser US Open bleiben, sondern vor allem wegen ihrer politischen Botschaft. Zu jedem ihrer sieben Matches hatte sie den Namen eines schwarzen Opfers von Polizeigewalt auf ihrer Maske. Es sei ziemlich traurig, dass sieben Masken nicht ausreichen würden für alle Namen, hatte Osaka zu Turnierbeginn betont. Breonna Taylor, Elijiah McClain, Ahmaud Arbery, Trayvon Martin, George Floyd, Philando Castile und Tamir Race waren auf ihrem schwarzen Mund- und Nasenschutz zu lesen. "Ich bin mir bewusst, dass Tennis überall auf der Welt geguckt wird. Und vielleicht gibt es welche, die Breonna Taylor's Geschichte nicht kennen", sagte Osaka nach ihrem Dreisatz-Sieg im Finale gegen die Weißrussin Victoria Asarenka. Bereits zuvor hatte sie betont, dass es sie motiviere, "so viele Namen wie möglich" publik zu machen.

Wie viel Nachholbedarf in dieser Thematik noch vorhanden ist, zeigte das Verhalten von Rennae Stubbs. Die australische Ex-Tennis-Spielerin ist unter anderem für die Sieger-Interviews auf dem Platz zuständig. Und sie scheint Osakas Anliegen eher als eine Art Unterhaltung zu empfinden. Nach dem Viertelfinalsieg hatte Stubbs allen Ernstes gesagt, dass sie jedes Mal versuche, "zu erraten", welcher Name wohl auf Osakas Maske stehen werde. "Heute lag ich falsch. Könnten Sie uns eine Andeutung geben, wer es beim nächsten Match sein wird?"

ESPN mit Hofberichterstattung

Stubbs gehört neben John und Patrick McEnroe, Chris Evert, Pam Shriver, Marie Joe Fernandez, Brad Gilbert, Jim Courier, James Blake und Tracy Austin zu einer Reihe von Ex-Profis, die bei den US Open für ESPN arbeiten. Der TV-Sender wiederum ist als einziges Medium akkreditiert. Das Ergebnis ist eine Hofberichterstattung, die einem Verbands-Fernsehen gleichkommt. Seriöser Journalismus, kritische Fragen oder gar Hintergrundberichterstattung - vor allem zum Fall Benoit Paire und den Folgen - gab es nicht.

Und so stellt sich die Frage über Sinn oder Unsinn dieses Turniers. Wem haben diese US Open nun eigentlich gedient? Wem haben sie geholfen? Wer sind die Gewinner? Und was bleibt hängen? Die "New York Times" titelte in ihrer Samstag-Ausgabe: "US Open ohne Fans und Stars: War es das wert?" Mike Dowse nickt entschlossen. "Absolut", betont der USTA-Chef. "Die Dankbarkeit, die wir von den Spielern erfahren haben, spricht für sich selbst. Die Alternative wäre kein Tennis gewesen", so Dowse.

Einschaltquoten um 47 Prozent rückläufig

Sein Verband nimmt für gewöhnlich mit dem Turnier 400 Millionen Dollar ein. Knapp die Hälfte der Summe wird durch Eintritts- und Sponsorengelder generiert. Dieses Geld fehlt diesmal. Aber durch die Austragung konnte USTA zumindest die 140 Mio. Dollar an TV-Geldern sichern. Die Einschaltquoten sind gegenüber dem Vorjahr jedoch um 47 Prozent rückläufig. Das liegt nicht nur an den fehlenden Stars, sondern auch daran, dass die US Open erstmals parallel zu den Playoffs in der Basketball-Liga NBA und der Eishockey-Liga NHL ausgetragen werden. In beiden Ligen wird normalerweise im Frühjahr um die Titel gespielt.

Das Herren-Endspiel zwischen Alexander Zverev und dem Österreicher Dominic Thiem wird an den schwachen Zahlen nichts ändern. Denn in den USA gibt es den ersten Spieltag der National Football League. Wenn sich Zverev und Thiem ab 16 Uhr (Ortszeit) in New York gegenüberstehen, wird Amerika nach New Orleans schauen. Dort gibt Quarterback-Star Tom Brady nach 20 Jahren und sechs Super Bowl-Siegen im Trikot der New England Patriots sein Debüt für die Tampa Bay Buccaneers. Um noch einmal mit Brady nach dem Titel greifen zu können, ist selbst dessen zuverlässige Anspielstation, Rob Gronkowski, aus der Football-Rente zurückgekommen. Gegner sind die New Orleans Saints, die mit Wide Receiver Michael Thomas und Spielmacher Drew Brees zwei der spektakulärsten Profis der Liga zu bieten haben. Da wird es ziemlich egal sein, wie in New York die US Open 2020 ausklingen.

Quelle: ntv.de

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