Buhrufe, "Big Fish", Pfeil-Chaos Das ist der spektakulärste Moment der Darts-WM
24.12.2022, 05:42 Uhr
Martin Schindler schafft als erster Deutscher das High-Finish bei der Darts-WM.
(Foto: PDC)
Ausgebuht, aber abgebrüht: Zum ersten Mal in seiner Karriere gewinnt Martin Schindler ein Spiel bei der Darts-WM. Auf dem Weg zum Premieren-Sieg sorgt der 26-jährige Deutsche für einen historischen Moment im "Ally Pally".
Das ganze Spiel über wird Martin Schindler im Londoner Alexandra Palace immer wieder ausgebuht, doch am Ende des dritten Satzes in seiner Auftaktpartie bei der Darts-WM jubeln die zumeist englischen Zuschauer dann doch mit ihm. Grund für den kurzfristigen Stimmungsumschwung der 3.000 Darts-Fans ist ein besonderer Moment. Der ist nicht so selten wie das perfekte Spiel, der Neun-Darter, aber immer noch so rar gesät, dass sich das Publikum auch dann mit einem Deutschen freut, wenn es gegen einen englischen Lokalmatador geht: Triple 20, Triple 20, Bullseye.
170 Punkte bringt Martin Schindler in diesem Moment auf null. Eine höhere Punktzahl kann mit einer Aufnahme im Darts nicht ausgemacht werden. Zum ersten Mal überhaupt wird der sogenannte "Big Fish", wie das höchste Finish bezeichnet wird, bei der Darts-WM 2023 an Land gezogen. Der höchstmögliche Checkout ist auch für Darts-Deutschland historisch: Noch nie zuvor hat in der 30-Jährigen Geschichte der Weltmeisterschaft ein Deutscher das High-Finish ausgecheckt.
Das spektakuläre Ende des dritten Satzes bringt Schindler am Freitagabend auf die Siegerstraße. Zuvor war die Partie gegen den Weltranglisten-41. aus Sicht von Schindler ausgeglichen verlaufen. Satz eins schnappte sich Schindler auf der letzten Rille mit 3:2. Satz zwei wiederum ging nach verpassten Chancen auf die Doppelfelder an Lukeman. Dann angelte sich Schindler plötzlich den "Big Fish".
Im vierten Satz ist Lukeman zunächst spürbar verunsichert. Schindler kann das ausnutzen, zieht auf 2:0 davon und ist nur noch ein Leg von der nächsten Runde entfernt. Zwar dreht Lukeman kurzzeitig nochmal auf, doch beim Stand von 2:1 nutzt Schindler direkt seinen ersten Matchdart. Das gelingt ihm so schnell und unorthodox, dass selbst der Kameramann nicht hinterherkommt. 92 Zähler Rest stehen bei Schindler auf dem Punktezettel. Bullseye. Einfach 14. Doppel 14. Grenzenloser Jubel.
In Runde drei gegen Titelkandidaten
"Das werde ich nie mehr vergessen", sagte Schindler nach dem Spiel bei Sport1. Sein Enthusiasmus verwundert nicht, schließlich war es für die Nummer 29 der Welt nicht einfach nur ein Auftaktsieg beim wichtigsten Turnier des Jahres. "Es ist das erste Mal bei der WM, dass ich eine Runde weiter komme. Und jetzt darf ich nach Weihnachten wieder hier her - wie geil ist das denn!? Die 170 waren dann das i-Tüpfelchen."
Bei drei WM-Teilnahmen war Schindler bislang immer in der ersten Runde ausgeschieden, zuletzt im Vorjahr gegen seinen Landsmann Florian Hempel. Diesmal durfte Schindler erst in Runde zwei ins Turnier einsteigen, weil er sich nach starken Leistungen auf der Pro-Tour im Vorfeld der WM unter die besten 32 in der Weltrangliste gespielt hat. Nach seinem Premieren-Erfolg steht "The Wall", wie der gebürtige Brandenburger genannt wird, nun also schon in der dritten Runde.
Am Abend des 28. Dezember trifft Schindler dann erneut auf einen Engländer, ist diesmal aber klarer Außenseiter. Michael Smith wartet auf den 26-jährigen Deutschen. Der "Bully Bolly" hat zuletzt beim Grand Slam of Darts im November erstmals einen großen Titel gewonnen und wird spätestens seither als einer der Topfavoriten auf den WM-Titel gehandelt.
Um die Sensation gegen Smith zu schaffen, müsste Schindler aber noch konstanter spielen als in seiner Auftaktpartie. Sein Punkteschnitt, der Average von 93 pro Aufnahme, werde "gegen Michael Smith nicht ausreichen", ist sich Schindler bewusst. Und schickt dennoch eine kleine Kampfansage hinterher: "Der Average sagt auch nicht immer alles. Wenn Momente wie die 170 da sind, ist der Average wurscht."
Flug gestrichen, Gepäck weg
Dem aufwühlenden Auftaktmatch war für Schindler eine regelrechte Achterbahnfahrt vorausgegangen. Am Donnerstagnachmittag war Schindlers Flug von Frankfurt nach London wegen starken Nebels in der britischen Hauptstadt annulliert worden. Mit zwei Stunden Verspätung ging es für den 26-Jährigen und seinen Manager Ioannis Selachoglou schließlich Richtung Großbritannien.
Doch in London angekommen, stellte Schindler plötzlich fest, dass sein aufgegebenes Gepäck inklusive seiner Dartpfeile nicht mitgekommen war. Zum Glück hatte Selachoglou die Darts auf seinen und Schindlers Koffer verteilt. "Ein Set kam in seinen Koffer, ein Set in meinen. Ich weiß gar nicht so genau, wie ich darauf kam. Aber ich hatte wohl eine Eingebung", erklärte Selachoglou der "Welt".
Schindler fliegt für die Weihnachtstage nun zurück nach Hessen zu seiner Frau und der kürzlich geborenen Tochter. Um auf Nummer sicher zu gehen und das sportliche Schicksal nicht in die Hände des Gepäckbands zu legen, wird die deutsche Darts-Hoffnung seine Pfeile aber im Hotel in London lassen.
Spitzenspiele nach Weihnachten
Einen Tag bevor Schindler seine Drittrunden-Partie bestreitet, geht es für den zweiten verbliebenen Deutschen im Turnier weiter. Gabriel Clemens trifft am 27. Dezember auf den Waliser Jim Williams. Der "German Giant" geht als leichter Favorit in die Partie, hofft auf eine Wiederholung seines Achtelfinaleinzugs vor zwei Jahren. Die Qualifikation für die Runde der letzten 16 ist bis dato das beste Ergebnis eines Deutschen bei der Darts-WM im "Ally Pally".
Mit dem Beginn der dritten Runde nimmt das Turnier traditionell so richtig Fahrt auf. Für dieses Jahr dürfte das sogar noch verstärkt gelten: von den 32 gesetzten Spielern haben 29 den Sprung in die heiße Phase des Turniers geschafft. Das ist die mit Abstand höchste Quote aller Zeiten. Die bislang ausgebliebenen Überraschungen oder Sensationen führen nun dazu, dass es lauter Topspiele gibt. So treffen etwa bereits am 27. Dezember die WM-Mitfavoriten Nathan Aspinall und Josh Rock aufeinander, außerdem trifft der Weltranglisten-Erste und Titelträger von 2021, Gerwyn Price, auf den fünffachen Champion Raymond van Barneveld.
Quelle: ntv.de