Die neue Bundesliga-Realität Der Fußball braucht einen harten Entzug
21.04.2020, 11:45 Uhr
Der Rausch ist vorbei.
(Foto: imago/Sven Simon)
Womöglich wird sehr bald wieder professionell Fußball gespielt. Womöglich gibt es ein spannendes Meister- und ein dramatisches Abstiegsduell. Viel wichtiger ist aber: Der Fußball muss eine Lehre aus der Krise ziehen.
Bald, ganz bald könnte es wieder losgehen. Der (von den Klubs, aber auch von den Fans?) sehnsüchtig erwartete Wiederanpfiff in den Fußball-Bundesligen scheint nur noch eine Frage von Tagen. Denn die Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder und Armin Laschet, haben ihre Rote Karte wieder in die Tasche gesteckt. Sie haben ihre Front gegen eine Fortsetzung des Spielbetriebs aufgegeben. Ganz ohne Videobeweis.
Und doch wird alles anders sein, alles neu, alles komisch, wenn in zwei Wochen - der 9. Mai soll der Tag der Tage sein - wieder gespielt wird. In den bekannten Stadien, in den bekannten Trikots, mit bekanntem Personal, aber vor gänzlich verwaisten Tribünen. Fußball mit Fans, nur am Fernsehen. Und in Kleinstgruppen. So lautet der Kompromiss, der die angeschlagenen Seelen in dieser belastenden Corona-Zeit versöhnen soll.
Und auch wenn sich die ritualisierte Leidenschaft, das gemeinsame Feiern und Fluchen, die bebende und bewegende Lautstärke nicht mit anpfeifen lassen, so ist die Fortsetzung der Saison ein Aufbruch aus einer verzweifelten Lage in eine neue Form des Erlebens. Und sie ist gleichzeitig ein Erwachen für die Profiklubs, denen damit wohl die wirtschaftliche Intensivstation vorerst erspart bleibt. Denn aus dem überlebenswichtigen Tropf sickern dann wieder die ausstehenden Millionen-Raten der Deutschen Fußball-Liga. Wie lange diese zum Überleben reichen? Unklar. Denn es fehlen ja wichtige Einnahmen aus Ticketverkäufen und Merchandising.
Ein wenig Opium für das Volk
Sei's drum: Deutschland braucht jetzt unbedingt ein wenig Opium für das Volk. Und Fußball ist und bleibt nun mal das Volks-Rauschmittel Nummer eins. Diese Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden die Stars zwar sicher nicht berauschen, aber sie werden liefern. Und sie dürfen mit regelmäßigen Gehaltsüberweisungen auf ihre ohnehin bereits prall gefüllten Konten rechnen. Ihre Kurzarbeit über 90 Minuten wird nicht mit 60 oder 67 Prozent des letzten Nettogehaltes abgegolten.
Aber immerhin - und das zeigt den neuen Geist bei einigen Fußball-Millionären - verzichten sie auf Gehalt, manchmal aus eigenem Antrieb, manchmal auf Empfehlung. Manche gründen gar Initiativen, wie die Nationalspieler Joshua Kimmich oder Leon Goretzka, oder schaffen Projekte, um Spendengelder für jenes medizinische Personal zu generieren, das das Land vor dem gesundheitlichen Absturz rettet. Aber auch für Verkäufer, für Polizisten, für Feuerwehren, für die Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe und all jene andere, die ebenfalls einen tollen Job im Dienst der Gesellschaft machen - mittendrin trotz Risiko der Ansteckung.
Diese vorbildliche Hingabe und Bereitschaft, in Notsituationen bis zur Erschöpfung und darüber hinaus zu arbeiten, haben den einen oder anderen Fußballer augenscheinlich schwer beeindruckt. Manche haben den eigenen Stellenwert relativiert. Denn sie spüren: Für Nachhaltigkeit im Land sorgen andere. Hier ist zum Glück endlich ein Wertewandel in vollem Gange. Nicht derjenige, der tolle Dribblings ansetzt oder Traumtore erzielt, ist der Held der Nation. Nein, derjenige, der die hilflosen Corona-Kranken versorgt, ist wirklich ein Held.
Die aberwitzige Neuer-Debatte
So hätte es eigentlich schon immer auch vor Corona bewertet werden sollen. Nun besteht die große Chance, das grundsätzlich und nachhaltig zu ändern. Denn dann, wenn das Virus besiegt (oder zumindest beherrscht) wird, muss sich unsere Gesellschaft (und viele andere natürlich auch) neu auf Systemrelevanz überprüfen. Die Verdienste der Helfer in der Not müssen deutlich angehoben werden. Was stets nur besprochen oder angemahnt wird, muss endlich umgesetzt werden!
Und im Zuge dieser neuen Systemrelevanz muss sich auch der Fußball kasteien. Der nicht aufzuhaltende Aberwitz muss endlich gebremst werden. Wer noch ein Beweis braucht, wie enthemmt diese Welt ist, der braucht nur die Diskussion um Manuel Neuers neuen Vertrag beim FC Bayern zu verfolgen, unabhängig davon, ob die Summe von 20 Millionen Euro als Jahresgehalt stimmt oder doch ein paar Millionen geringer ist. Gehälter, Ablösen, Preise für Tickets - es gibt genug zu tun, um die Branche zu erden. Um sie immer noch elitär, aber wieder erreichbarer zu machen.
Ilja Kaenzig, der Geschäftführer des VfL Bochum, hatte vor ein paar Wochen erst, mitten in der Corona-Krise, gesagt: "Wir waren wie Junkies. Abhängig von der Droge Fernsehgeld. Und dieses floss direkt in die Spielerlöhne, so hat sich alles hochgeschaukelt." Nun droht der Entzug. Er ist nötig. Er ist unvermeidlich. Er ist anstrengend und schmerzhaft. Aber er ist auch reinigend. Das ganze System gehört reloaded.
Was aber bleibt, bleiben muss: Die Freude über Tore, die Wut über Fehlentscheidungen, die Diskussionen, die das soziale Leben bereichern. Dieses so wertvolle Gut, das wir derzeit so schmerzlich vermissen. Denn egal, was kommt: Fußball ist die schönste Nebensache der Welt. Mehr aber auch nicht.
Quelle: ntv.de