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DHB-Star jetzt ganz gelassen Der "böse Wolff" wird weiter gebraucht

Aus Wolff ist ein Mannschaftstyp geworden.

Aus Wolff ist ein Mannschaftstyp geworden.

(Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Der Torhüter der DHB-Auswahl gilt jahrelang nicht nur als exzellente Fachkraft zwischen den Pfosten, sondern auch als schwieriger Charakter, der schwer in das Teamgefüge zu integrieren sei. Doch vor Beginn der Titelkämpfe in Polen präsentiert sich Andreas Wolff geläutert.

In blendender Verfassung, entspannt und gelassen, so präsentiert sich Andreas Wolff kurz vor der Weltmeisterschaft, die für das deutsche Team am Freitag im polnischen Kattowitz mit der Vorrundenpartie gegen Katar (18 Uhr/ZDF und im ntv.de-Liveticker) startet. Im Tor ist er schon lange ein starker Rückhalt, doch die persönliche Entwicklung des 31-Jährigen, dessen Stern bei der Europameisterschaft 2016 in Polen aufging, ist bemerkenswert.

Um die Dinge aus der Ist-Perspektive beleuchten zu können, lohnt sich ein Blick zurück: Sieben Jahre ist es her, dass die deutschen Handballer bei der EM aus dem Nichts auf den Thron marschierten. Mit einem Torhüter, der sein Revier im legendären Finale gegen Spanien mit solcher Inbrunst verteidigte, dass alle Beobachter noch heute ins Schwärmen geraten.

Ich-AG in der Mannschaft

Danach begann der Hype, Andreas Wolff war omnipräsent, stieg auf zum Superstar, konnte seine Leistung jedoch nicht wieder auf diesem herausragenden Niveau bestätigen. Die Dinge entwickelten sich zunehmend kompliziert. Wolff vermittelte im Umgang mit Medienvertretern, aber auch im Mannschaftskreis immer wieder den Eindruck von Distanz. Ein Mann, der in sich gekehrt, verbissen und stark auf sich und seine Performance fixiert ist. Sportler sprechen in diesem Zusammenhang gern davon, Athleten befinden sich im Tunnel, um sich maximal auf ihr Wirken auf dem Spielfeld konzentrieren zu können.

Gerade bei Torhütern, die schon immer eine besondere Spezies bildeten, kann das durchaus zielführend sein, doch in Handballkreisen, wo Erfolge noch mehr auf dem Teamgedanken gründen als anderswo, kam das nicht immer gut an. Wolff kam in der deutschen Mannschaft lange als Ich-AG und damit als Fremdkörper rüber, gegenüber Journalisten kapselte er sich ab. Heute sagt er, er habe das Gefühl gehabt, "die Last der ganzen Welt auf den Schultern zu tragen". Eine Last, "die ich mir selbst auferlegt habe".

"Ehrgeiz kann nicht mein einziges Leitmotiv sein"

Das hat sich zu Beginn des neuen Jahres auffallend geändert. Offenbar hat Wolff eine Phase der Besinnung und der Selbstreflexion hinter sich, die ein Umdenken zeitigte. Bei einem Medientermin in Hannover sprach er freimütig über die Gedanken, die ihn bewegen und wirkte dabei so locker und zugewandt, dass sich langjährige Beobachter verwundert die Augen rieben. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" beschreibt den neuen Wolff so: "Nicht mehr: Andi gegen den Rest der Welt. Sondern: Andreas und seine Freunde."

Wolff erzählte, wie er nach zwei Corona-Erkrankungen mit anschließender Krise zwischen den Pfosten die Hilfe einer Sportpsychologin in Anspruch genommen habe. Dazu kamen Gespräche mit Trainern und Mitspielern, bei denen sich die Erkenntnis Bahn brach, "dass Ehrgeiz nicht mein einziges Leitmotiv sein kann". Zudem passte Wolff sein Athletikprogramm an, "um noch spezifischer auf das Torhüterspiel hinzuarbeiten."

Doch die größte Veränderung passierte im Kopf. Bundestrainer Alfred Gislason erlebt einen Andreas Wolff, der "deutlich reifer geworden ist". Statt sich abzukapseln, sucht der größte Star im deutschen Team die Nähe zu seinen Kollegen und zum Umfeld der Mannschaft. Es wirkt wie eine Art Altersweisheit eines Torhüters, der verinnerlicht hat, dass die Karriere eines Athleten endlich ist. Er habe gelernt, dass im Sport der Spaß nicht zu kurz kommen dürfe, "das ist untergegangen in den letzten Jahren. Ich hatte große Probleme, mit negativen Erlebnissen umzugehen. Das hat viel Kraft gekostet. Ich habe jetzt verstanden, dass ich nicht von mir erwarten kann, jeden Ball zu halten."

"Super Rückhalt"

Die neue Leichtigkeit des Seins kommt im Mannschaftskreis gut an. So sagt Spielmacher Juri Knorr, der sich beim letzten WM-Tests gegen Island ebenfalls in bestechender Form präsentierte: "Andi ist ein überragender Keeper mit extrem viel Erfahrung im Verein und in der Nationalmannschaft. Er ist ein super Rückhalt und es tut uns allen gut, wenn er ein bisschen entspannter ist."

Das solle aber nicht heißen, dass der Keeper ab sofort nur noch auf Samtpfoten daherkomme: "Wir brauchen auch den bösen Wolff, der uns anschreit, nach vorne peitscht und den Gegner das Fürchten lehrt", betont Knorr. Nun müsse der Kollege nur noch die richtige Melange aus Lockerheit und Aggressivität finden: "Andi wird wissen, welcher Weg für ihn der Beste ist", sagt Knorr: "Ich vertraue ihm voll, dass ihm das gelingt."

Die letzten Eindrücke legen diese Schlussfolgerung durchaus nah. Der neue Wolff vernagelte gegen Island das Tor fast so unwiderstehlich wie vor sieben Jahren in Krakau, als er kometenhaft in die Weltklasse aufstieg. Überhaupt scheint Polen für den im rheinischen Euskirchen geborenen Profi das ideale Pflaster zu sein. Hier erlebte er seine Geburt als Weltklasse-Torwart, hier verdient er seit vier Jahren beim europäischen Spitzenklub KS Kielce sein Geld. Folgerichtig fühlt sich die Weltmeisterschaft für Deutschlands Stammkraft zwischen den Pfosten "beinahe an wie ein Heimturnier". Die Vorzeichen könnten für Bundestrainer Alfred Gislason und die Nationalmannschaft durchaus schlechter sein.

Quelle: ntv.de

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