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"Fußball in Schatten stellen" Der deutsche Handball kämpft schon wieder um seinen Platz

Der deutsche Handball kämpft bei der Weltmeisterschaft wieder mal nicht nur um Medaillen.

Der deutsche Handball kämpft bei der Weltmeisterschaft wieder mal nicht nur um Medaillen.

(Foto: IMAGO/wolf-sportfoto)

Bob Hanning, der streitbare ehemalige Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), sieht seine Sportart im Vergleich zum Branchenführer auf der Überholspur. Andere Protagonisten der Szene sind da weniger optimistisch.

Bob Hanning war schon immer ein Typ, der ein besonderes Talent besitzt, sich mit maximalem Effekt in Szene zu setzen. So zog der ehemalige Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) und heutige Geschäftsführer der Füchse Berlin die Blicke gerne mal mit schrillen Pullovern auf sich, einmal ließ sich der Funktionär mit der großen Strahlkraft sogar als Napoleon ablichten. Hanning wählt solche Auftritte mit Bedacht, immer verfolgt er damit ein strategisches Ziel. Das wird auch vor Beginn der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden so gewesen sein, als sich Hanning in einer Kolumne der "Welt" zu Wort meldete.

"Eines vorweg: Ich will hier keinen künstlichen Druck aufbauen", mit diesen Worten beginnt der 54-Jährige seine Ausführungen, um dann genau das zu tun: Druck auf die Nationalmannschaft aufzubauen. "Die Chance, die sich der deutschen Mannschaft bei der bevorstehenden WM bietet, ist riesig. Für den deutschen Handball. Und für den gesamten deutschen Sport, abseits des Fußballs."

Das ist ziemlich dick aufgetragen, doch Hannings Stoßrichtung ist klar: In Zeiten, in denen sich Menschen vom kickenden Milliardengewerbe abwenden, weil sich die Protagonisten längst in ein Paralleluniversum verabschiedet haben, könne Handball eine schöne und bodenständige Alternative sein. Quasi als neue Heimat für die Enttäuschten.

Weltmeister-Kapitän glaubt nicht an die Revolution

Konkret fordert Hanning seine Branche auf, die positiven Attribute in den Vordergrund zu stellen, die sie vom weltweit gehypten Fußball abheben: "Handballer, das muss ungeachtet des sportlichen Abschneidens deutlich werden, sind kernige Typen. Ohne Maulkorb. Und mit unbändiger Gier nach neuen Erfolgen." An diesem Punkt nehme er "Kapitän Johannes Golla und seine Mitspieler in die Pflicht. Seid echt! Seid nahbar! Seid mutig! Seid meinungsstark! Vergesst dabei aber bitte auch den sportlichen Erfolg nicht."

Und Golla identifiziert sich voll mit diesen Vorgaben: "Es ist unser Ziel, die Menschen zu begeistern - und da gehören Erfolge nun mal dazu", sagte der Profi im Gespräch mit ntv.de. "Wir wollen guten Handball zeigen, dass die Leute sagen, das ist die Mannschaft, die uns repräsentiert, denen schauen wir gerne zu. Wenn uns das gelingt, lenken wir die Aufmerksamkeit automatisch auf den Handball." Das Team von Bundestrainer Alfred Gislason kann bereits heute Abend (18 Uhr/ARD und im Liveticker auf ntv.de) beim zweiten Gruppenspiel gegen Serbien den Einzug in die Hauptrunde klarmachen. Die Begeisterung käme allerdings wohl erst mit der K.-o.-Runde, die das klare Minimalziel des DHB-Trosses ist. Die K.-o.-Spiele mit der Aussicht auf Medaillen sind auch die Zeit, in der Menschen am besten zu begeistern sind. Für Platz 5, 6 oder 7 kann man in Deutschland niemanden begeistern. Das weiß auch Hanning, wenn er große, manchmal utopische Ziele formuliert.

DHB-Sportvorstand Axel Kromer widerspricht Hanning nicht, auch wenn er die Dinge defensiver formuliert. Die Tage im Januar mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten an der Seiten bieten "eine Riesen-Chance, zu zeigen, was Handball ausmacht und welche Persönlichkeiten dieser Sport zu bieten hat". Und weiter: "Wir empfinden es als unheimlich wertvoll, nicht im luftleeren Raum zu agieren, sondern zu wissen, dass Handball-Deutschland und Sport-Deutschland hinter uns stehen."

Markus Baur, Kapitän der deutschen Mannschaft, die 2007 bei der Heim-WM das Wintermärchen mit dem Titel krönte und mittlerweile als Experte für das ZDF auf Sendung, genießt es, "dass uns kurzfristig das ganze Land zuschaut". Illusionen macht sich der 51-Jährige jedoch nicht: "Fußball ist und bleibt Volkssport, an der Hierarchie wird sich nie etwas ändern." Vielmehr gelte es, darauf zu achten, die Position als Nummer zwei vor Basketball und Eishockey zu behaupten.

Der DHB ist derzeit der siebtgrößte Sportfachverband des Landes, das Ringen um Mitglieder ist ein ewiger Kampf. Auch wenn Handball weiterhin Nummer zwei unter den Ballsportarten ist: Im Jahr 2022 hatte der DHB rund 720.000 Mitglieder. Dies ist der niedrigste Wert seit mindestens 2002. Im Rekordjahr 2009 hatte der Handball-Bund noch rund 850.000 Mitglieder. Der sensationelle Titelgewinn bei der Heim-WM 2007, nachdem tatsächlich ein kurzfristiger Handball-Hype durchs Land gegangen war, trieb zahlreiche Menschen in die Vereine, doch 2012 war der Vor-WM-Stand bereits wieder unterschritten.

Trotz - oder wohl eher wegen - dieser Erfahrungswerte formuliert Hanning hohe Ambitionen: Dem Handball biete sich nun die Chance, "den Fußball in den kommenden Wochen in den Schatten zu stellen und eine neue Euphorie zu entfachen". Diese Situation ist allerdings nicht neu, sie wiederholt sich immer wieder, und zwar genau dann, wenn alljährlich im Januar ein internationales Großturnier (WM und EM finden immer im Wechsel statt) auf der Agenda steht und die Handballer die große Bühne betreten, weil sich der Fußball in den Winterschlaf verabschiedet hat. Quasi nach dem Motto: "Und jährlich grüßt das Murmeltier".

Mehr als 8000 Plätze in der Arena bleiben leer

In den ersten Wochen eines neuen Jahres wird die Lücke trefflich genutzt, weil die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF Übertragungen und gute TV-Quoten garantieren. Doch sobald der Ball wieder auf dem Rasen rollt, kehrt die Sportwelt in ihre gelebten Hierarchien zurück.

Das wird auch nach dieser Weltmeisterschaft so bleiben, wie die bisherigen Eindrücke aus dem polnischen Vorrundenspielort Katowice nahelegen. Beim ersten Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Katar verloren sich gerade 2500 Fans in der 11.000 Besucher fassenden Spodek Arena. Im ZDF verfolgten 4,85 Millionen Zuschauer die Partie, was einem Marktanteil von 22,9 Prozent entspricht.

Der Trend immerhin dürfte den Handballern Freude machen: Beim deutschen Auftaktspiel der WM 2021 hatten zur selben Uhrzeit - und ebenfalls an einem Freitag - 3,95 Millionen Zuschauende eingeschaltet. Das bedeutete einen Marktanteil von 15 Prozent. Beim EM-Auftakt 2022, ebenfalls Freitagabend, hatten 3,60 Millionen Menschen eingeschaltet, was einem Marktanteil von 15,9 Prozent entsprach. Ob die zusätzliche Million vor den Bildschirmen ein Indiz dafür ist, dass sich Menschen enttäuscht vom Fußball ab- und dem Handball zugewendet haben, ist natürlich reine Spekulation. Es wäre aber das Narrativ, das dem Handball und seinem Botschafter Hanning am besten gefallen würde.

Der Vergleich dieser beachtlichen Zahlen zeigt jedoch gleichzeitig, wie weit die werfende Zunft von den Kickern entfernt ist. Bei der Fußball-WM in Katar versammelten sich 17 Millionen Zuschauer vor dem Bildschirm, um in der ARD den Auftritt der DFB-Elf gegen Spanien zu schauen und generierten damit einen Marktanteil von 58,8 Prozent. Die vierfache Menge, trotz einer fundamental kritisierten Veranstaltung und einer letztlich erfolglosen deutschen Mannschaft. Diese Werte zeigen, dass beide Sportarten noch immer um Lichtjahre voneinander entfernt sind.

Neuer Partner soll mehr Aufmerksamkeit, mehr Reichweite bringen

Der Handball kämpft weiter um seinen Platz neben oder wenigstens nicht allzu weit hinter dem Fußball. Immerhin springt der Handball-Bundesliga (HBL) jetzt einer bei, der dem nationalen Fußballprofibetrieb in den letzten Jahren gewaltige TV-Verträge verschafft und ihn weitestgehend gesund durch die Pandemie gesteuert hat: Mit seiner Streamingplattform Dyn wird der ehemalige DFL-Boss Christian Seifert von der Saison 2023/24 bis 2028/29 die Handball-Bundesliga zeigen. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann verspricht sich vom neuen Vertrag mehr mediale Präsenz, mehr Sichtbarkeit und mehr Reichweite.

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"Hierin liegt eine große Chance für mehr Bekanntheit und großes Wachstumspotenzial für unser Sponsoring", sagte Bohmann bei der Vertragsunterzeichnung. Der Vertrag bedeutet für den Handball tatsächlich einen Quantensprung: Die Lizenzentgelte sollen sich auf rund 60 Millionen Euro belaufen, also zehn Millionen Euro pro Saison - damit verdoppelt die Liga ihre TV-Erlöse. Für die TV-Produktion der Liga- und Pokalspiele sind etwa 30 Millionen Euro veranschlagt. Zudem will Seiferts S Nation Media rund 25 Millionen Euro in Marketingmaßnahmen investieren. Es ist ein neuer, starker Partner im Spiel. Es ist aber auch ein neuer Anlauf, die Reichweite und die Strahlkraft des Handballs zu erhöhen.

Der frühere Handballstar Stefan Kretzschmar, heute an der Seite Hannings Sportvorstand von Bundesliga-Tabellenführer Füchse Berlin, schreibt in seinem 2019 veröffentlichten Buch "Hölleluja!": "Der Handball hierzulande hat eine große Chance, im Schatten von König Fußball in seiner Prinzenrolle zu glänzen." Ein Szenario, das es weiterhin zu verteidigen gilt.

Quelle: ntv.de

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