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Vize-Weltmeister Vincent Keymer Deutscher Super-Großmeister kracht in Schach-Weltelite

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Mit gerade einmal 18 Jahren gehört Vincent Keymer zur Weltelite im Schach. Bei der Schnellschach-Weltmeisterschaft wird er hinter Superstar Magnus Carlsen Zweiter. Mit ntv.de spricht er über stundenlanges Training, warum sein Sport so anstrengend ist und warum der WM-Titel nicht sein Ziel ist.

"Kudos an Vincent. Er hat ein großartiges Turnier gespielt und große Klasse gezeigt." Die Glückwünsche hat sich Vincent Keymer nach der Schnellschach-Weltmeisterschaft verdient. Als Vize-Weltmeister ist der 18-Jährige aus Almaty in Kasachstan zurückgekehrt. Diese Glückwünsche sind aber tatsächlich etwas Besonderes, sie stammen vom Dominator Magnus Carlsen. Nur der Norweger war bei seinem vierten WM-Erfolg besser als Keymer. Ein halber Punkt fehlte dem jungen Mann aus Saulheim bei Mainz, um Carlsen zu einem Stichkampf um den Titel herausfordern zu können.

Gewonnen hat er auf dem Weg zum Vize-Titel unter anderem gegen den punktgleich Drittplatzierten Fabiano Caruana aus den USA und gegen den Russen Jan Nepomnjaschtschi, die letzten beiden Herausforderer Carlsens um den klassischen WM-Titel. "Das Ergebnis war so gut, dass ich damit sehr, sehr zufrieden war", sagt Keymer im ntv.de-Interview. "Aber wenn man eine Chance verpasst hat, ist man nie hundertprozentig zufrieden."

Schon am 13. Januar hat der 18-Jährige die Chance, es noch besser zu machen. Dann startet eines der großen Schach-Turniere im niederländischen Wijk aan Zee: das Tata Steel Chess. In der 14-köpfigen Masters-Gruppe treffen fünf Spieler aus den Top Ten auf den globalen Nachwuchs. Carlsen hatte Ende November bei Twitter schon gelobt, dass eine große Auswahl an jungen Talenten dabei sei. "Nur Aronian (Lewon, armenischer Schachgroßmeister, Anm.d.Red.) bewahrt mich davor, der älteste Spieler auf dem Feld zu sein." Mit seinen 32 Jahren wirkt Carlsen fast schon alt gegenüber Keymer, der im März 2022 sein Abitur mit dem Schnitt von 1,7 ablegte und seitdem Schachprofi ist.

Erste deutsche Meisterschaft mit sechs Jahren

Mit gerade einmal fünf Jahren hat Keymer zufällig ein Schachbrett entdeckt, wollte unbedingt die Regeln erklärt bekommen, seine Leidenschaft war geweckt. "Damals war die Neugier die treibende Kraft und mehr gab es da eigentlich nicht. Dass sich das so entwickelt, konnte ja niemand ahnen", sagt er rückblickend. Seine Eltern konnten ihm die Regeln beibringen, doch schnell war er besser als sie. "Nach ein paar Wochen, nach einer, vielleicht zwei Wochen" habe er sie bereits geschlagen, sagt er gegenüber ntv.de. "Mit sechs Jahren habe ich die ersten deutschen Meisterschaften gespielt", schaut er zurück auf die Anfänge seiner Karriere.

Trotz seines jungen Alters hat Keymer schon wahnsinnig viel Erfahrung. Seinen Vize-Weltmeister-Titel weiß er daher einzuordnen - Schnellschach sei etwas völlig anderes als das klassische Schach. "Ich kann nicht davon ausgehen, dass meine nächsten Turniere genauso gut verlaufen werden. Aber es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass man so etwas erreichen kann." Dass er gegen Carlsen sowohl im Schnellschach als auch bei der direkt anschließenden Blitz-WM verloren hat, betrübt ihn nicht großartig. "Gegen die anderen Spieler lief es tatsächlich sehr gut und das gibt auf jeden Fall Selbstbewusstsein."

Der Respekt vor Carlsen ist groß, der Norweger hat in Almaty beide WM-Titel gewonnen, auf Keymer wartet laut eigener Aussage noch viel Arbeit, um möglich nah an dessen Spielstärke zu kommen - "und eventuell sogar mal noch besser werden zu können". Dabei gehört Keymer schon jetzt zur Weltelite. Er ist der jüngste deutsche Großmeister und seit Oktober 2022 sogar "Super-Großmeister". Er gehört damit zu einer kleinen Weltauswahl, nur 130 Spieler weltweit können sich mit diesem Titel schmücken, nur neun waren beim Erreichen dieser Auszeichnung jünger als 18 Jahre, noch dazu ist Keymer der einzige Deutsche in diesem elitären Zirkel. Seit Juli 2022 gehört er außerdem bereits zu den Top 50 der weltbesten Spieler.

Acht Stunden Training am Tag

Dafür trainiert er mit seinem Coach Peter Leko an manchen Tagen bis zu acht Stunden oder sogar mehr. Der Ungar ist selbst Großmeister und trainiert den jungen Deutschen schon seit 2017. Doch Keymer weiß auch: Ausruhen ist ebenfalls wichtig, denn das Konzentrationslevel beim Schach ist irre hoch. "Das kostet logischerweise über Stunden hinweg sehr viel Kraft. Das ist das gleiche bei Turnieren, auch bei Turnierpartien und auch im Training. Irgendwann fühlt man einfach, dass man diese Konzentration nicht mehr aufrechterhalten kann", erklärt er bei ntv.de. Deutlich werde das daran, dass er in einer Partie weniger Varianten erkennt oder dass er fehleranfälliger wird. "Und dann muss man eine Pause machen, um wieder zu Kräften zu kommen oder damit man wieder auf dem gleichen Level trainieren kann." Zur Regeneration gehe er Fahrrad fahren, spazieren oder joggen, auch Schlaf ist wichtig. Überhaupt nimmt Schach einen großen Teil seines Lebens ein, doch er sagt deutlich: "Man darf nicht vergessen, auch wenn man Schachspieler ist, ist man immer noch ein normaler Mensch."

Keymer ist allerdings einer mit einem riesigen Talent und Ehrgeiz - und klaren Prinzipien. Von Doping oder Betrug hält er nichts. "Es kann dem Sport sehr schaden", macht er seine Haltung klar. "Egal, wie gut der Spieler an sich ist, Engines (Schachprogramme, Anm.d.Red.) sind einfach viel, viel stärker als Menschen. Da hat man dann keine Chance mehr." Gegenüber der "Zeit" hatte Keymer jüngst erklärt, dass die Möglichkeiten des Betrugs beim Schach noch "relativ unbekannt" sind: "Deshalb gibt es auch noch keine wirklichen Gegenmaßnahmen. Es ist an der Zeit, sich zu überlegen, was man tun könnte. Das wäre eine Aufgabe für Verbände, Turnierveranstalter, Schachplattformen und natürlich den Weltschachverband."

Es geht auch um seine eigene Zukunft. "Zuallererst finde ich es gut, wenn ich selber zeigen kann, dass ich clean bin", hatte er der "Zeit" gesagt. "Und ich möchte den Sport schützen. Ich will mir nicht vorstellen, dass auf dem Niveau der Spitzengroßmeister viel betrogen wird." Als 18-Jähriger ist er in der Weltspitze längst angekommen. Sein junges Alter sieht er dabei nicht als Nachteil. Es gebe kein definiertes perfektes Alter für einen Schachspieler: "Magnus Carlsen war schon sehr, sehr früh die Nummer ein der Welt und manche Spieler, zum Beispiel Viswanathan Anand, waren auch noch mit 40, 45 Jahren absolute Weltspitze."

Bis zu zehn Züge vorausberechnen

Von einem möglichen WM-Titel will Keymer aber nicht sprechen. "Das ist ein irrsinnig schwieriger Weg, selbst für Leute, die schon seit zehn Jahren in den Top Drei der Welt sind, ist das ein sehr, sehr steiniger Weg." Er betont: "Es ist ein Traum. Aber ich würde nicht so weit gehen zu sagen, das ist das Ziel."

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Vor allem sei wichtig, dass er in der nächsten Zeit viel trainiere. "Da ich auch noch zur Schule gegangen bin, habe ich einiges an Trainingszeit verloren." Für ihn sei es auch daher realistischer, in die Top Ten zu kommen. Sein Elo-Wert laut Weltverband FIDE liegt bei 2700 Punkten, die würde er gern steigern auf 2750. "Aber es gibt für niemanden die Garantie für irgendwas", betont er abgeklärt. Überhaupt habe er manchmal das Gefühl, die Elo-Zahl würde "nicht unbedingt das widerspiegeln, was man geleistet hat". Er habe in jüngeren Jahren häufig das Gefühl gehabt, dass er besser wurde, sich die Elo-Zahl aber nicht verändert oder sogar sinkt. "Und dann kommt irgendwann wieder der Sprung."

Es ist das Vorausdenken, das das Schachspiel für Laien so kompliziert macht. "Wenn es eine sehr taktische Stellung ist, kann es durchaus sein, dass man sieben, acht, vielleicht sogar zehn Züge vorausberechnen muss, um zu verstehen, welche Variante funktioniert und welche nicht." Sein Ziel für dieses Jahr ist daher schnell erklärt: "Einfach schöne Turniere spielen, gut spielen, viel lernen, viel Erfahrung mitnehmen."

Quelle: ntv.de

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