Horrorstart trotz Top-Leistungen Deutschland hat die Schrotflinte auf der Brust
16.05.2023, 06:33 Uhr
Autsch, dieser WM-Start tut Moritz Seider und dem deutschen Team weh.
(Foto: AP)
Deutschland kassiert bei der Eishockey-WM die dritte unglückliche Niederlage. Gegen die USA lässt die Nationalmannschaft wieder einmal beste Gelegenheiten ungenutzt. Nach seinem Playoff-Aus in der NHL könnte Superstar Leon Draisaitl das deutsche Team verstärken.
Dominik Kahun schoss daneben, Maximilian Kastner schoss in die Fanghand von US-Goalie Casey DeSmith und Marcel Noebels haute den Rebound vorbei. In den letzten Minuten des dritten WM-Spiels deckte Deutschland die USA mit einem massiven Puckhagel ein - einzig einschlagen wollte die Hartgummischeibe nicht mehr. Und so verlor die Mannschaft von Bundestrainer Harold Kreis das nächste Mal nach Topleistung gegen einen Favoriten. Und so schön man sich die eigenen Darbietungen auch reden kann, die Realität in Punkten ist gnadenlos: null.
"Das tut weh. Jetzt haben wir die Schrotflinte auf der Brust", sagte NHL-Verteidiger Moritz Seider, dessen Strafe sechs Minuten vor dem Ende von den wilden US-Boys eiskalt bestraft worden war, angesichts der Drucksituation bei MagentaSport: "Jetzt dürfen wir nicht den Faden verlieren. Jetzt müssen wir einen Schalter finden, auch mal ein bisschen dreckig reinzugehen. Wir haben wirklich den geilsten Auftakt seit langem gespielt. Wir haben gegen unglaublich gute Mannschaften dominiert, besser gespielt und jetzt stehst du mit null Punkten da. Das tut weh."
"Druck ist ein Privileg"
Zunächst aber bekommen die leidenschaftlich kämpfenden DEB-Cracks Zeit, die ausgepowerten Körper und den Kopf zu entspannen, ehe das Turnier in die Do-or-Die-Phase für Deutschland einbiegt. "Wir haben zwei Tage frei, können uns erholen, vielleicht ein bisschen Abstand vom Stadion gewinnen", sagte Bundestrainer Harold Kreis. Um das ausgegebene Ziel Viertelfinale noch zu erreichen, müssen die nächsten vier Spiele gewonnen werden. Klingt nach einer Mammutaufgabe. Ist es aber vor allem psychisch. Denn die Gegner sind allesamt schwächer einzuschätzen als die bisherigen: Dänemark, Österreich, Ungarn und Frankreich stehen auf dem Plan.
Kreis bemüht sich darum, die Situation nicht zu negativ zu betrachten, sondern in ihr eine große Chance zu sehen. "Billie Jean King hat gesagt: 'Druck ist ein Privileg'", zitierte der Trainer die amerikanische Tennislegende und führte aus: "Die Mannschaft ist so stabil und gefestigt, dass wir nicht von Druck reden, sondern von einer Challenge, die nicht kleiner wird. So ein Turnier ist kein Wunschkonzert, auch die Reihenfolge der Gegner nicht."
Der Goalie hat zu oft freie Sicht
Mit dem "ehrlichen Hockey" seines Teams ist der 64-Jährige hochzufrieden, aber: "Jetzt geht es darum, Wege zu finden, die Scheibe ins Tor zu bringen." Gegen die spielstarken US-Boys fiel erneut auf, dass viel zu selten ein Stürmer dem gegnerischen Torhüter die Sicht nahm. Ein klar identifiziertes Manko. "Die Mannschaft ist sehr kritisch mit ihrer Leistung", sagt der WM-Debütant und fordert von seinen Cracks: "Unabhängig davon, wie gut der Torwart ist: Was er nicht sehen kann, hat er Probleme zu halten. Wir brauchen mehr Verkehr vor dem Tor."
Einer, der dabei helfen könnte, wäre Leon Draisaitl. Der NHL-Superstar ist gerade erst mit seinen Edmonton Oilers aus den Playoffs geflogen - und könnte nun zu einer Verstärkung werden. Sportlich sowieso, aber auch emotional. Die zurückliegende Saison hat einmal mehr untermauert, was für ein herausragender Spieler er ist. In den Playoffs kam er auf 13 Tore und 5 Vorlagen und in der gesamten Saison auf sagenhafte 146 Scorerpunkte.
Müller nimmt Draisaitl in die Pflicht
"Wir würden uns natürlich wünschen, dass er kommt, wir können ihn gut gebrauchen", sagte Kapitän Moritz Müller am Montagabend. Auch Draisaitl habe eine Verantwortung für das deutsche Eishockey, angesichts der direkten Olympia-Qualifikation, um die Deutschland bei der Weltmeisterschaft auch spielt. "Das gilt für jeden, der gut Eishockey spielen kann in Deutschland", sagte der Verteidiger der Kölner Haie, schränkte aber ein: "Ich kann die Situation nicht einschätzen, in der Leon steckt. Es ist für ihn keine leichte Situation gewesen." Seider warnt indes davor, sich als Team hinter einem möglichen Draisail-Coup zu verstecken. "Es wäre eine unheimliche Verstärkung fürs Team, klar. Aber ich glaube nicht, dass wir jetzt nur darauf spekulieren, dass Leon kommt. Ich glaube, damit würden wir es uns jetzt zu einfach machen."
Die Lage ist nach dem Horrorstart in die WM nun durchaus brisant, auch mit Blick auf eine Zusage von Draisaitl. Sollte Deutschland auch gegen die Dänen nicht gewinnen, käme eine Anreise des Superstars womöglich zu spät. Denn dass der 27-Jährige schon vor dem nächsten Spiel an Christi Himmelfahrt in Tampere eintreffen würde, ist angesichts der anstehenden Abschlussgespräche mit den Oilers und der komplizierten Anreise unrealistisch. Die Angriffswucht Draisaitls könnte das Team indes dringend gebrauchen.
Denn auch wenn Deutschland in allen drei Spielen bislang den Favoriten mindestens ebenbürtig war, gelingen zu wenige Tore. Am Montag trafen lediglich Samuel Soramies (31. Minute) in Unterzahl und Justin Schütz (40.) mit einem feinen Solo. Das Angriffsspiel und vor allem das Powerplay wirken oft zu umständlich, zu schön, zu sehr um Perfektion bemüht. NHL-Stürmer Nico Sturm befand: "Uns hat in allen drei Spielen so ein dreckiges Tor gefehlt. Irgendwo ein Rebound oder vom Schoner weg. Es tut schon sehr weh." Aber trotz aller Schmerzen lebt der Glaube an ein gutes Ende, zumal das Szenario mit dem Horrorstart ja realistisch war. "Ich glaube, man darf uns immer noch nicht abschreiben", stellte Seider klar. "Wir sind eine Mannschaft, die bis zum bitteren Ende durchzieht und wenn wir jetzt alle Spiele gewinnen, meckert auch keiner, wenn du im Viertelfinale stehst."
Quelle: ntv.de, tno mit dpa/sid