"Auf dem Papier keine Chance" Deutschland muss im "Endspiel" der gnadenlose Party-Crasher sein
22.01.2025, 19:50 Uhr
Johannes Golla will die italienische Party crashen.
(Foto: IMAGO/Kessler-Sportfotografie)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft steht bei der WM vor dem ersten "Endspiel": Ein Sieg über Italien wäre nahezu sicher gleichbedeutend mit dem Einzug in die K.-o.-Runde. In der Konstellation liegt aber auch die Chance auf ein Desaster.
Es wäre keine Schande gewesen, wenn den deutschen Handball-Nationalspielern am Morgen nach dem sechzigminütigen Höllenritt gegen Serien-Weltmeister Dänemark in der "Hölle von Herning" noch ein Rauschen im Kopf die Sinne getrübt hätte. Beim 30:40 waren sie von der besten Mannschaft der Welt überrannt worden, die entfesselten Fans des Gastgebers veranstalteten dazu einen infernalischen Lärm. Es war ein schwerer Abend. Aber sie haben ihn hinter sich gelassen. Es gibt im eng getakteten WM-Rennen ohnehin keine Zeit, zu lange die Wunden zu lecken: Auf das DHB-Team wartet schon am Donnerstagabend Italien (18 Uhr/ ZDF und im Liveticker auf ntv.de).
Es ist ein Endspiel auf dem Weg zur ersehnten Medaille. Für Außenseiter Italien, das begeisternd und mit großer emotionaler Unterstützung der dänischen Fans durch das Turnier fliegt, ist es ein neues Kapitel in ihrem WM-Traum. Für die deutsche Mannschaft ist es eine Konstellation, der gleichermaßen Zauber wie Desaster innewohnt. Mit einem Sieg wäre der Viertelfinal-Einzug mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorzeitig perfekt, im Falle einer Niederlage wären alle Träume von einer Medaille wohl geplatzt.
"Eigentlich hat Italien keine Chance"
"Ist doch schön", sagte Kapitän Johannes Golla vor dem Duell mit den Italienern, die zum ersten Mal seit 1997 und erst zum zweiten Mal überhaupt bei einer WM dabei sind, "dann müssen wir nicht rechnen". Noch deutlicher formulierte es sein Mitspieler Luca Witzke: "Italien", meinte der Rückraumspieler, "das ist für uns ein Pflichtsieg".
Die deutsche Mannschaft hatte gegen die buchstäblich unfassbaren Dänen über weite Strecken ein anständiges Spiel gemacht, entsprechend hat die deutliche, sogar historische Klatsche keine frischen Zweifel in die Gruppe gebracht. "Wir haben den breiteren Kader, wir haben die besseren individuellen Spieler, wir sind auf jeder Position doppelt oder dreifach gut besetzt. Vom Papier her hat Italien keine Chance", sagte Rechtsaußen Timo Kastening am Mittag im DHB-Teamquartier in Silkeborg.
Gegen Dänemark hielt die deutsche Offensive über weite Teile ordentlich mit, zum ersten Mal überhaupt in diesem Turnier kam der Angriff schon zu Beginn auf Touren. Gelingt das auch gegen Italien, schleppt man keine schwere Hypothek mit sich herum. Golla rechnet in jedem Falle damit, dass auch das Duell mit den Italienern "unangenehm" werde. "Die sind emotional voll da. Aber wir haben den Anspruch, dass wir mit unserer Qualität die zwei Punkte holen", sagte der Kreisläufer. Und ja, die Squadra Azzurra surft auf einer Welle, mit drei Siegen aus vier WM-Spielen weist der Underdog dieselbe Bilanz auf wie die Handball-Großmacht Deutschland. Auf das DHB-Team wartet eine Mannschaft, die sie vor neue Aufgaben stellen wird. Die Italiener pflegen in der Offensive das 1-gegen-1, defensiv hat Nationaltrainer Riccardo Trillini seinen Azzurri eine offensive Herangehensweise verpasst. Und dahinter läuft Domenico Ebner heiß: Schon zweimal wurde der Profi des SC DHfK Leipzig zum "Spieler des Spiels" ausgezeichnet.
"Werden alles probieren"
Im deutschen Lager wollen sie die Italiener nicht zu stark reden, doch der Auftakt in die Hauptrunde ist Mahnung genug: Den Tschechen, gegen die sich das deutsche Team 48 Stunden zuvor über mehr als 40 Minuten enorm schwergetan hatte, ließ Italien von Beginn an nicht den Hauch einer Chance. Gegen das DHB-Team "sind wir definitiv der Underdog, aber ein Underdog mit Spaß und Freude", sagt Ebner. "Wenn so eine Euphorie in der Mannschaft herrscht, kann das Berge versetzen. Wir wollen Gas geben und werden alles probieren."
Fraglich ist noch, ob Juri Knorr helfen kann, das deutsche Spiel in diesem Alles-oder-nichts-Moment in die richtigen Bahnen zu lenken. Der Spielmacher plagte sich im Duell mit Dänemark mit einer Erkältung, Bundestrainer Gislason verschaffte seinem wichtigsten Feldspieler zahlreiche Verschnaufpausen. Benjamin Chatton wollte Knorrs Gesundheitszustand am Mittwoch nicht näher kommentieren, gab aber leichte Entwarnung. "Wir gehen weiterhin davon aus, dass er morgen einsatzfähig ist", sagte der Nationalmannschaftsmanager.
Nach dem Spiel gegen die Tschechen hatten die Italiener noch auf dem Feld ihre eigene Party gestartet. "Bei unserer Ansprache sind sie bei uns an der Kabine vorbeigelaufen und haben sich da sehr, sehr gefreut, haben laut gegrölt", bestätigte Johannes Golla - und sprach später dann noch vom schlechten Gefühl, "wenn man auf die Anzeigetafel guckt und sich ein bisschen vorkommt wie ein Partygast, der eine Nummer ist und dann abgefertigt wird". Nur Gast auf der Party der anderen zu sein, das wollen sie dringend vermeiden. Diesmal müssen sie die Party crashen, sonst bleibt ihnen nur ein mächtiger Kater. "Wir haben es in der eigenen Hand, ins Viertelfinale zu kommen, darauf freuen wir uns", so der Linkshänder, und dann sei das Dänemark-Spiel "auch vergessen".
Quelle: ntv.de