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Adrenalinwerte wie in Todespanik Die surreale Faszination des Skifliegens

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(Foto: imago images / ZUMA Press)

Die Rekordjagd im Skifliegen kommt in den vergangenen Jahren ein wenig ins Stocken. Für den Traum von den magischen 300 Metern müssten allerdings neue Schanzen her - der Faszination einer Weltmeisterschaft wie nun in Planica tut dies aber keinen Abbruch.

Für Außenstehende ist es kompletter Wahnsinn, für die meisten Athleten das höchste der Gefühle: Bei der Skiflug-WM am Wochenende in Planica stoßen der deutsche Rekordhalter Markus Eisenbichler und seine wagemutigen Kollegen bei Adrenalin-Werten wie in Todesangst erneut in Grenzbereiche vor. Und auch wenn der Weltrekord seit Jahren bei rund 250 Metern stagniert, fliegt der Traum von der nächsten Schallmauer mit.

"Ich glaube, dass die 300 Meter irgendwann übersprungen werden", sagt der zweimalige Skiflug-Weltmeister Sven Hannawald: "Mit den aktuellen Schanzen ist das aber nicht möglich." Die große Rekordhatz, die Mitte des vergangenen Jahrzehnts auf den frisch renovierten Riesenschanzen ihren Höhepunkt fand, hat sich entschleunigt: Zwischen 2015 und 2017 packten die weltbesten Flieger 7 Meter auf die Bestmarke, seit dreieinhalb Jahren steht diese bei vom Österreicher Stefan Kraft in Vikersund erzielten 253,5 Meter.

"... dass es einem fast die Schuhe auszieht"

"Ich glaube, das ist jetzt aber das absolute Limit", sagte der damalige Bundestrainer Werner Schuster, sein norwegischer Kollege Alexander Stöckl hält auf den existierenden Anlagen eine Steigerung von "maximal noch einem Meter" für möglich, "danach wird es gefährlich", weil - so Schuster - "die Kräfte beim Skifliegen so groß sind, dass es einem fast die Schuhe auszieht".

Und das ist nur der physische Aspekt der rund achtsekündigen Luftfahrt mit über 100 km/h im Anlauf, bis zu elf, zwölf Metern Flughöhe und 130 km/h bei der Landung. "Die mentale Komponente spielt zudem eine entscheidende Rolle", sagte Schuster: "Es ist ein Tanz auf der Rasierklinge."

"Man will nicht, dass dieses Gefühl endet"

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Wie groß die Anspannung beim Skifliegen ist, zeigte eine Studie aus dem Jahr 1998: Als der deutsche Teamarzt bei der WM den Adrenalinspiegel von Martin Schmitt und Sven Hannawald maß, wiesen diese Werte auf, die sonst Menschen in Todespanik haben. Ein Kick, der Empfindungen im Suchtbereich ähnelt. "Man denkt nicht viel, genießt nur den Flug und will nicht, dass dieses Gefühl endet", sagt Eisenbichler: "Sorgen und Ängste des echten Lebens sind da vergessen." Der Weltverband zumindest sah die Weitenjagd lange kritisch, entschied 1986, den Rekord bei 191 Metern einzufrieren - jeder Flug, der diese Weite übertraf, wurde als eben 191 Meter gewertet. Skifliegen wurde witzlos, bis die FIS die Weitenjagd 1994 wieder freigab.

Ein gutes Vierteljahrhundert später und 60 Meter weiter sind die vier aktiven Schanzen in Vikersund (letzter Umbau 2011), Planica, Bad Mitterndorf (beide 2014) und Oberstdorf (2016) fast ausgereizt, der 300-Meter-Traum ruht zwangsweise. "Aber wenn jemand das Geld in die Hand nimmt und eine viel größere Schanze baut, dann steht dem nichts im Wege", sagte Hannawald. Aus medizinischer Sicht wären 300 Meter kein Problem, bei einem entsprechend langgezogenen Hang würde sich die Fluggeschwindigkeit gegenüber jetzigen Werten kaum erhöhen, der Landedruck nicht steigen. Doch nicht allen behagt der Gedanke. "Wir wollen keine Rekordjagd um jeden Preis", sagte der frühere FIS-Renndirektor Walter Hofer: "Schließlich soll der Zuschauer nicht nur irgendwo einen schwarzen Punkt fliegen sehen."

Quelle: ntv.de, Christoph Leuchtenberg, sid

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