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Skandal um NFL-Star Tyreek Hill Diese Gewaltszenen wecken böse Erinnerungen

NFL-Superstar Tyreek Hill wurde von Polizisten rabiat behandelt.

NFL-Superstar Tyreek Hill wurde von Polizisten rabiat behandelt.

Ein Skandal in der NFL schlägt hohe Wellen: Superstar Tyreek Hill wird von der Polizei brutal behandelt. Die Liga schweigt, während der Dolphins-Profi die Entlassung eines Beamten fordert. Der Fall legt die anhaltende Polizeigewalt in den USA offen - und weckt böse Erinnerungen.

Man stelle sich vor, Thomas Müller ist mit seinem Auto auf dem Weg zum Bundesliga-Eröffnungsspiel des FC Bayern. Kurz vor der Allianz Arena gibt der Münchner Profi zu viel Gas. Die Polizei hält den Rio-Weltmeister an, um ihm ein Bußgeld für zu schnelles Fahren aufzubrummen. Doch plötzlich zerren die Beamten Müller gewaltsam aus seinem Wagen. Schmeißen ihn zu Boden, fixieren ihn dort mit dem Knie auf seinem Rücken, legen ihm Handschellen an, halten ihn von hinten mit einem Würgegriff fest.

Unvorstellbar? In den USA mitnichten. Tyreek Hill, einer der absoluten Top-Stars der NFL, erlebt genau dieses Szenario. Der Wide Receiver der Miami Dolphins wird am vergangenen Sonntag direkt am Hard Rock Stadium wenige Stunden vor dem Kickoff seines Teams von der Polizei kurzzeitig festgenommen. Später veröffentlichte Videoaufnahmen von Körperkameras der Polizisten zeigen ein rabiates Vorgehen gegen den 30-Jährigen, das für viel Kritik in den USA sorgt. Denn hinter dem Fall steckt mehr: Er wirft ein weiteres Schlaglicht auf Polizeibrutalität und unterstreicht die anhaltende, unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gegen Schwarze US-Amerikaner.

"Was wäre, wenn ich nicht Tyreek Hill wäre?" Der Satz des Superstars nach der brutalen Polizeikontrolle dürfte als eines der wichtigsten Zitate dieser gerade begonnenen NFL-Saison bestehen bleiben, denn es sind Worte, die über den Football hinaus von Bedeutung sind. Acht Jahre, nachdem Ex-Quarterback Colin Kapernick zum ersten Mal gegen Polizeigewalt per Kniefall während der Nationalhymne protestierte und vier Jahre, nachdem der Tod von George Floyd die weltweite Aufmerksamkeit auf das Thema lenkte, erlebt der US-Sport ein Gefühl des Rückschritts. Die NFL schweigt derweil.

"Hören Sie auf zu weinen"

Gewalttätige Verkehrskontrollen sind in den USA nicht ungewöhnlich. Diesmal erwischt es Tyreek Hill, weil er 60 Meilen pro Stunde (97 km/h) statt der erlaubten 40 (64) gefahren ist. Nachdem er seine Papiere durch das Fahrerfenster ausgehändigt hat, fragt ein Beamter, warum der Footballstar nicht angeschnallt sei und dieser fährt die Scheibe wieder hoch und antwortet ein ums andere Mal "Klopf nicht so gegen mein Fenster". Die Polizisten fordern Hill auf, das Fenster wieder herunterzukurbeln und auszusteigen. Als dieser das Fenster nur einen Spalt breit öffnet, droht einer der vier Polizisten, die Scheibe einzuschlagen. Als Hill die Tür öffnet, zerrt ihn ein Beamter gewaltsam aus dem Auto, wirft ihn zu Boden und legt ihm Handschellen an.

Das Video zeigt, dass Hill kaum Zeit gelassen wird, um auszusteigen, dass er sich nicht widersetzt und trotzdem auf den Boden gezerrt, mit dem Knie auf dem Rücken fixiert und von mehreren Polizisten auf den Boden gedrückt wird. Einer der Polizisten sagt: "Hören Sie auf zu weinen" und "Wenn wir Ihnen sagen, dass Sie etwas tun sollen, dann tun Sie es. Haben Sie verstanden?"

Hill, die Hände mit Handschellen hinter dem Rücken fixiert, wird dann aufgefordert, sich an den Straßenrand zu setzen. Als er zunächst stehen bleibt und erklärt, er habe gerade erst eine Knieoperation gehabt, zwingt ihn einer der Polizisten mit einem Würgegriff von hinten auf den Bordstein. Zwei weitere Dolphins-Spieler halten an, um Hill zu unterstützen, einem werden dabei ebenfalls kurzzeitig Handschellen angelegt.

Nach der Veröffentlichung der Aufnahmen kritisieren die Bürgermeisterin des Bezirks, Daniella Levine Cava, sowie die demokratischen und republikanischen Kandidaten für das Amt des Sheriffs des Countys Miami-Dade bei den Wahlen im November die Behandlung von Hill durch die Polizei. Die Polizei von Miami versetzt einen der beteiligten Beamten in den Verwaltungsdienst. Sie führt außerdem eine interne Untersuchung des Vorfalls durch, sagte Polizeichefin Stephanie Daniels in einer Erklärung.

Hill antwortet mit Handschellen-Jubel

Auch die Miami Dolphins beklagen in einer Erklärung das "übermäßig aggressive und gewalttätige Verhalten" der Beamten und stellen fest, dass es "wahnsinnig" und "herzzerreißend" sei, "zu sehen, wie genau die Leute, denen wir vertrauen, dass sie unsere Gemeinschaft schützen, solch unnötige Gewalt und Feindseligkeit gegenüber diesen Spielern anwenden".

Hill erreicht das Spiel am Sonntag gesund und erzielt gegen die Jacksonville Jaguars sieben Catches und 130 Yards. Auch dank seines grandiosen 80-Yard-Touchdowns gewinnen die Dolphins. Der für aufmerksamkeitserregende Aktionen bekannte Hill feiert den Erfolg mit einem Handschellen-Jubel.

Anschließend sagt er gegenüber Reportern, er sei von dem ganzen Vorfall "geschockt" gewesen. Dann äußert er die Befürchtung, dass die Dinge noch weiter hätten eskalieren können, wenn er kein berühmter Footballspieler gewesen wäre: "Was wäre, wenn ich nicht Tyreek Hill wäre?" Gegenüber NBC News fügt er später hinzu: "Gott weiß, ich wäre im schlimmsten Fall erschossen oder eingesperrt worden."

Ob ein Bild von George Floyd in Hills Kopf aufblitzte, als er am Boden lag, ist nicht bekannt. Aber wie Floyd ist Hill Schwarz. Die Polizisten sind es nicht. Hill trägt keine Waffe bei sich, greift keinen der Beamten körperlich an. Dennoch wird er entmenschlicht und auf dem Asphalt fixiert. Auf dem Video scheint es, dass die Polizisten sich nicht genug respektiert fühlen und ihre Egos verletzt sehen und deshalb aggressiv werden und das, was eine routinemäßige Verkehrskontrolle hätte sein können, drastisch und unnötig eskalieren lassen.

"Er fürchtete um sein Leben"

Die regionale Polizeigewerkschaft behauptet, dass das Verhalten der Beamten darauf zurückzuführen war, dass Hill ihren Forderungen nicht schnell genug nachkam. "Als er angehalten wurde, war Herr Hill nicht sofort kooperativ mit den Beamten am Tatort, die ihm gemäß den Vorschriften und zu seiner unmittelbaren Sicherheit Handschellen anlegten", sagt Steadman Stahl, Präsident der South Florida Police Benevolent Association, in einer Erklärung.

Hat sich Hill bei der Kontrolle astrein verhalten? Nein, er selbst sagt, er hätte sich "besser" verhalten müssen. Die Gewalt entschuldigt sein patziges Verhalten nicht, schließlich leistet er - wenn auch nicht so schnell wie von der Polizei gewollt - Folge. Auch dass der Footballstar ein überaus streitbarer Athlet und Mensch und alles andere als ein Musterprofi ist, darf keine Rolle spielen: Hill wurde unter anderem bereits für häusliche Gewalt verurteilt und angeklagt, weil er seinem damals dreijährigen Sohn den Arm gebrochen haben soll.

Diesmal ist es allerdings der Football-Profi, der als einziger in der Situation Deeskalierungsversuche unternimmt. Er kämpft nicht gegen das brutale Vorgehen der Beamten an, provoziert nicht weiter und antwortet auf ins Ohr geschriene Beleidigungen mit einem: "Chill mal, Bruder." Hills Agent, Drew Rosenhaus, sagt nach der Kontrolle, dass Hill nach dem Ende seiner Spielerkarriere sogar Polizist werden wolle. Aber Rosenhaus erklärt auch, dass Hills Anwälte rechtliche Schritte gegen die Polizeibehörde erwägen. "Er fürchtete um sein Leben", sagt der Agent. "Es war absolut abscheulich."

Hill fordert Entlassung von Polizisten

Am Donnerstag fordert Hill schließlich durch einen Anwalt die "sofortige Entlassung" des "eskalierenden Beamten", der aufgrund des Vorfalls mit Verwaltungsaufgaben betraut wurde. "Jede Handlung eines Polizeibeamten unterliegt Standardarbeitsanweisungen", heißt es in einer Erklärung. "Wir sind der Meinung, dass der Beamte übermäßige, eskalierende und rücksichtslose Gewalt angewendet hat." Die Ereignisse seien "eine Erinnerung an die Realität der vielen Ungerechtigkeiten, denen Menschen aus Schwarzen und Minderheitengemeinschaften durch die Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt sind", heißt es weiter in der Erklärung. "Wir werfen dem Beamten in keiner Weise Rassismus vor, aber wir werfen den Bräuchen und Praktiken der Strafverfolgung aus historischer Sicht vor, dass sie für Schwarze und Minderheitengemeinschaften diskriminierend und unterdrückend sind."

Die NFL, die sich sonst Fragen der sozialen Gerechtigkeit auf die Fahnen schreibt - auch, weil die Liga zu 70 Prozent aus Schwarzen Spielern besteht - schweigt zu dem Vorfall. Selbst nach der nächsten Partie der Dolphins, die sie in der Nacht auf Freitag gegen die Buffalo Bills verloren. Dabei sollte man geglaubt haben, die NFL hätte aus der nicht vorhandenen Unterstützung für Colin Kaepernick vor acht Jahren gelernt. Gibt es in der Zukunft Gegenmaßnahmen seitens der NFL? Wird der Skandal als Einzelfall abgetan oder als Teil eines systemischen Problems angegangen?

Thomas Müller wurde wahrscheinlich noch nie von Polizisten auf den Boden geworfen und mit einem Knie im Rücken fixiert. Er wohnt nicht in den USA. Die "Washington Post" schreibt, dort sollte der Fall Hill "jedem mit Autoschlüsseln Angst einjagen". Einem Bericht der Zeitung zufolge wurden allein in diesem Jahr 810 Menschen von der Polizei erschossen, 2023 erreicht diese Zahl einen Rekordwert von 1163 Menschen. Schwarze sind demnach doppelt so häufig von der Polizei getötet worden wie weiße Amerikaner.

Fall Hill zeigt Allgegenwärtigkeit von Polizeibrutalität

Laut einer Untersuchung von Mapping Police Violence, einer gemeinnützigen Forschungsorganisation, wendet die Polizei jährlich bei mindestens 300.000 Personen Gewalt an. Zu diesen Vorfällen gehören unter anderem der Einsatz von Elektroschockern, Würgegriffen und Hundeangriffen. Die Daten sind jedoch unvollständig, da sie nur Informationen von Polizeidienststellen enthalten, die freiwillig auf eine Anfrage von Mapping Police Violence geantwortet haben. In dem Bericht wird auch festgestellt, dass Schwarze mehr als dreimal so häufig Opfer von Gewalt durch Polizeibeamte werden wie Weiße.

Die gegen Hill gerichtete Gewalt zeigt abermals die Allgegenwärtigkeit von Polizeibrutalität und systemischem Rassismus auf - einschließlich der Bedrohung, die Verkehrskontrollen für Schwarze US-Bürger darstellen können. 2020 waren massive Proteste die Folge auf die Tötung von George Floyd durch Polizisten. Diese Empörung hält an, in diesem Jahr wurden Sonya Massey und Roger Fortson von Beamten erschossen. Tyreek Hill hatte trotz der Gewalt gegen ihn mehr Glück. Vielleicht, weil er ein NFL-Superstar ist.

"Lasst uns etwas ändern", schreibt Hill nach seiner kurzzeitigen Verhaftung auf X. Als er in einem CNN-Interview gebeten wird, seinen Beitrag näher zu erläutern, sagt er, dass er versuche, einen Weg zu finden, um diese Missstände zu beheben. "Wir haben alles versucht. Wir haben protestiert. Wir haben uns sogar hingekniet. ... Also, was kommt als Nächstes?"

Quelle: ntv.de

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