"Verheizt in der DDR, nun vergessen" Dopingopfer leiden am Sadismus
04.11.2014, 11:37 Uhr
Wurde nur 63 Jahre alt: Gerd Bonk.
Die Situation der Doping-Opfer ist auch 25 Jahre nach dem Mauerfall immer noch dramatisch. Für viele Betroffene gibt es keine Hilfe. Dabei sind die ehemaligen Sportler krank und brauchen Hilfe. Ines Geipel sagt: "Die Körper sind kaputt, die Seelen sind kaputt."
Wer, wenn nicht Bundespräsident Joachim Gauck sollte Verständnis für die Probleme der Dopingopfer in der DDR haben? Sollte man meinen. Doch selbst der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und mittlerweile erste Mann im Staat hat keine Zeit, um 25 Jahre nach dem Mauerfall den Opfern des damaligen Staatsdopings ein Zeichen der Solidarität zu senden. "Ich habe dem Bundespräsidenten geschrieben. Es wäre im Jahr 25 nach dem Mauerfall doch auch eine symbolische Geste, beispielsweise eine Gruppe Betroffener ins Schloss Bellevue zu holen. Das geht aber nicht", sagte Ines Geipel. "Ich glaube, es war die Zeitfrage ..."

"Es ist so, dass wir eine richtig lange Todesliste haben. Die Leute sterben": Ines Geipel.
(Foto: imago/Camera 4)
Seit Jahren kämpft die ehemalige Weltklassesprinterin, selbst staatlich anerkanntes Dopingopfer, für die Rechte der Betroffenen. Mittlerweile ist die 54-Jährige Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins (DOH). Immer wieder beklagt sie die Ignoranz, auf die sie in Gesprächen mit Verantwortlichen, Funktionären und Politikern über das düstere Thema Staatsdoping in der DDR trifft. "Ich finde es verantwortungslos, was Sport und Politik da machen." Denn 25 Jahre nach dem Mauerfall ist die Situation der Betroffenen schwierig - und wird immer schlimmer. Vielen Opfern läuft wegen ihrer Folgeerkrankungen die Zeit davon. "Es ist so, dass wir eine richtig lange Todesliste haben. Die Leute sterben." Bei der Beratungsstelle des DOH hätten sich seit einem Jahr 700 Betroffene gemeldet.
Viele Schicksale sind tragisch, die Spätfolgen dramatisch. Herzerkrankungen, massive Organschädigungen, Selbstmordversuche, Krebserkrankungen. Doch die Liste ist viel länger: Verstümmelte Eierstöcke, Fehlgeburten, behinderte Kinder. Dazu Schädigungen auch in der zweiten Generation und psychische Probleme. Vor einigen Jahren gab es für die anerkannten Dopingopfer eine Einmalzahlung von einigen Tausend Euro. Bei der Schwere der Erkrankungen war dies aber bei vielen Betroffenen bei weitem nicht ausreichend. "Es muss eine Rente für die Opfer geben. Es war politisches Doping in der DDR", sagt Geipel: "Man will den Glanz und den Sieg und den Jubel. Und wenn die Athleten nicht mehr können, interessieren sie nicht mehr. Dann werden sie weggeworfen."
"Die Körper sind kaputt, die Seelen sind kaputt"
Wie völlig unterschiedlich Täter und Opfer behandelt werden, zeigte sich vor einigen Tagen. Mehrere Medien berichteten von weitreichenden Stasiverstrickungen des ehemaligen Weltklasse-Hochspringers Rolf Beilschmidt, Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Thüringen. Zwar hatte er bereits kurz nach der Wende Stasikontakte zugegeben, doch nach den neuesten Informationen war das offenbar nicht alles. Mittlerweile beschäftigt sich die Stasi-Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes mit dem Fall. Nur wenige Tage nach den Veröffentlichungen starb der ehemalige Gewichtheber Gerd Bonk im Alter von 63 Jahren, gezeichnet von der jahrelangen Einnahme von Dopingmitteln. Auch er war ein staatlich anerkanntes Dopingopfer. "Die Betroffenen müssen sehen, wie sie klarkommen, die Täter stehen da und feiern sich", sagt Dopingopfer Andreas Krieger. Beilschmidt machte nach der Wende weiter Karriere, als Bonk längst Invalide war und im Rollstuhl saß.
"Sein Tod ist nicht nur ein Fakt, sondern hat auch etwas Symbolisches", sagt Geipel: "Die Körper sind kaputt, die Seelen sind kaputt. Es gibt keine Unterstützung vonseiten der Politik - vom Sport gibt es gar keine." Von Gerichten und Behörden dürfen die Dopingopfer auch nicht viel Hilfe erhoffen. Jahrelang ziehen sich Gerichtsprozesse, viele Behörden verweigern Unterstützung. "Was ich dort an Sadismus erlebe, das ist unglaublich. Da sitzen ehemalige Athleten, die können sich nicht mehr bewegen - und dann wird ihnen erklärt, dass sie selbst dran schuld sind", sagt Geipel: "Zwangsdoping? Das hat es nie gegeben. Das ist faschistoid."
Erstmals wurde im vergangenen September der ehemaligen Kanutin Kerstin Spiegelberg eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz zugesprochen. Nach jahrelangem Rechtsstreit, mit einer Vielzahl von Gutachten und Gegengutachten. Und noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Klage reichte sie 2007 ein, vor sieben Jahren. "Verheizt von der DDR, vergessen vom vereinten Deutschland", hatte Gerd Bonk einmal sein Leben beschrieben. Ob sich in naher Zukunft für die noch lebenden Betroffenen etwas ändern wird, ist derzeit mehr als fraglich. Erst in der vergangenen Woche wies das Sozialgericht eine Klage des ehemaligen Kugelstoßers Gerd Jacobs ab. Auch er ist mittlerweile krank.
Quelle: ntv.de, Dominik Kortus, sid