Deutscher wirbelt die NHL auf Draisaitl wandelt auf Gretzkys Spuren
21.11.2019, 20:28 Uhr
Leon Draisaitl hat den Erfolg fest im Blick.
(Foto: imago images/Icon SMI)
Ein Deutscher ist derzeit der Topscorer und beste Vorbereiter in der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL. Leon Draisaitl spielt bei den Edmonton Oilers eine extrem starke Saison. Obwohl er einer der besten Spieler ist, tragen die meisten Fans das Trikot eines anderen.
Der Rogers Place in Downtown Edmonton verbindet Vergangenheit und Gegenwart der Edmonton Oilers. Links vom Haupteingang zur 2016 eröffneten Eishockey-Arena sind die großen Protagonisten der fünf Meistertitel zu sehen, die die Oilers einst gewonnen hatten. Spieler wie Wayne Gretzky, Jari Kurri und Mark Messier. Dazu die Jahreszahlen: 1984, 1985, 1987, 1988, 1990. Edmonton war damals nicht nur eine bekannte Gegend für Öl in der kanadischen Provinz Alberta, sondern auch Nordamerikas erfolgreichster Eishockey-Klub. Verbunden vor allem mit einem Namen: Wayne Gretzky, "The Great One". Ihm haben Sie als Anerkennung eine lebensgroße Statue vor die Arena gestellt.
Dass sie bei den Oilers heute noch so sehr von Gretzky und Co. schwärmen, liegt zum einen an deren großen Namen. Und fünf Meisterschaften in sieben Jahren hat seitdem kein anderer Verein mehr gewonnen. Andererseits gab es aber eben seit 1990 auch nichts mehr zu feiern. Das soll sich bald ändern - und Leon Draisaitl dabei eine Hauptrolle spielen. Der 24 Jahre alte deutsche Nationalspieler stürmt seit 2014 für die Oilers und ist neben Connor McDavid zum Star aufgestiegen. McDavid - das ist quasi Edmontons Gretzky der Gegenwart. Zwar erst 22 Jahre alt, aber bereits Kapitän. Bürgermeister Don Iveson wurde bei der Wahl 2017 mit einem für Politiker herausragendem Ergebnis von 73,6 Prozent wiedergewählt. An die Popularitätswerte von Connor McDavid kommt er trotzdem nicht heran. Mindestens 80 Prozent der Zuschauer tragen bei den Heimspielen dessen Trikot oder T-Shirt mit der Rückennummer 97.
"Leo" ist ein "besonderer Spieler"
Doch in dieser Saison ist Draisaitl bislang sogar noch etwas besser als McDavid - und der Konstantere der beiden Eishockey-Entertainer gewesen. Der Kölner führt mit 44 Punkten die Scorerwertung an, die sich aus der Addition von Toren und Torvorlagen ergibt. So viele Zähler hatte seit dem legendären Mario Lemieux von den Pittsburgh Penguins im Jahr 2002 niemand mehr in den ersten 23 Saisonspielen gesammelt. Draisaitl ist zudem zusammen mit McDavid bester Torvorbereiter (je 28 Assists) und zweitbester Torschütze. So beeindruckend seine Zahlen auch sind, so unbeeindruckt reagiert Draisaitl. "Ich schaue sie mir relativ selten an, um ehrlich zu sein", betont er. Natürlich sei ihm bewusst, wo er stehe. Aber viel wichtiger sei für ihn das Ranking des Teams - und das gefalle ihm derzeit. Edmonton führt nach etwas mehr als einem Viertel der Vorrunde die Pazifik-Division an und ist unter den 31 Teams Fünfter. Die Playoffs scheinen nach zuletzt zwei enttäuschenden Spieljahren endlich wieder realistisch zu sein.
Wenn die Spieler vom heimischen Eis kommen und knapp 20 Meter später durch die große, silberne Doppeltür mit der Aufschrift "Oilers" in ihren Kabinentrakt gehen, stellen sie links und rechts ihre Schläger in die dort angebrachten Ständer. Wenige Meter weiter stehen, unübersehbar, Miniaturen der fünf Stanley Cups in einer Glasvitrine. Links geht es in einen ovalen Raum, in dem die Profis ihre durchgeschwitzte Ausrüstung aufhängen und der Presse zur Verfügung stehen. Draisaitl hat seinen Platz auf der linken Seite. Zwei Meter entfernt von ihm sitzt McDavid. Der Kanadier beschreibt "Leo" als "einen ganz besonderen Spieler." Draisaitl wiederum lobt die herausragende Chemie mit seinem Sturmpartner. "Wir kennen uns schon lange, wissen genau, wo der andere auf dem Eis ist und was er denkt", so Draisaitl. Während McDavid eine überragende Stock- und Schlittschuhtechnik hat, ist der Deutsche ein bulliger Typ, der den Puck geschickt mit seinen 100 Kilogramm Körpergewicht abschirmen kann.
Einziger mit einer 50-Tore-Saison
Mal sei Draisaitl der entscheidende Mann - und ein andermal McDavid, sagt Bob Stauffer. Und in Ansätzen seien beide durchaus mit Sidney Crosby und Jewgeni Malkin vergleichbar, so Stauffer. Crosby und Malkin spielen seit 2006 bei den Pittsburgh Penguins zusammen und haben dreimal den Stanley Cup gewonnen - und Stauffer moderiert beim Radiosender "630 Ched" in Edmonton wochentags die zweistündige Sendung "Oilers now". Er hat Draisaitl in den vergangenen Wochen schon mal als "möglichen wertvollsten Spieler des ersten Saisonviertels" ins Gespräch gebracht. Der kräftig gebaute Mittfünfziger verweist auf Zahlen, die deutlich machen, wie herausragend der Rheinländer in seiner noch jungen NHL-Karriere bereits ist. So sind in den vergangenen zehn Jahren 2100 Spieler gedraftet worden.
Der Draft ist in Nordamerikas Profiligen die jährliche Verteilung der weltweiten Nachwuchstalente auf die Teams. "Unter all diesen 2100 gedrafteten Spielern waren einige großartige Profis dabei", betont Stauffer. "Aber nur einer hat 50 Tore in einer Saison geschossen. Leon Draisaitl. Ein Deutscher. Das ist eine ziemlich beeindruckende Story." Vergangene Saison war Draisaitl der Durchbruch gelungen. In der Torschützenliste wurde er mit 50 Treffern Zweiter, in der Scorerwertung Vierter. Derzeit sieht es so aus, als könne er diese, von einem Deutschen zuvor noch nie erreichten Statistik, womöglich noch übertreffen.
"Ich habe mich in diesem Kreis etabliert, das ist eine Ehre. Und es freut mich natürlich, dass ich jetzt auch so gut gestartet bin", sagt Draisaitl, relativiert aber umgehend: "Ich weiß auch, dass es in einer Saison immer Höhen und Tiefen gibt." Derzeit klappt bei ihm jedoch fast alles auf dem Eis. Draisaitl hat in den vergangenen 13 Spielen mindestens ein Tor erzielt oder vorbereitet. Seine Leistungen werden nicht nur von Trainer Dave Tippett und den Mitspielern wohlwollend registriert, sondern auch von den Fans.
"German Gretzky"
Shawn hat ein Draisaitl-Trikot mit der Rückennummer 29 an. Er wolle halt nicht mit dem Strom schwimmen und wie alle anderen ein McDavid-Jersey tragen, sagt der Mittvierziger und lacht. "Nein, Spaß beiseite. Ich bin ein großer Draisaitl-Fan, liebe ihn. Er ist großartig, eine Inspiration. Und ich denke, wenn Kinder jetzt an deutsche Eishockey-Spieler denken, dann an Draisaitl", sagt er. Eines dieser Kinder ist Easton. Während Vater Kevin ein Gretzky-Trikot trägt, geht sein neunjähriger Sohn mit einem Draisaitl-Jersey durch die Vorhalle des Rogers Place. "Er ist die Nummer eins der Scorerwertung", sagt Easton stolz. Besser als McDavid? "Ja." Beide seien gut, ergänzt der Vater diplomatisch.
McDavid war 2017 und 2018 NHL-Topscorer gewesen. Draisaitl könnte diesen Titel vielleicht in dieser Saison gewinnen. Doch diese Aussicht interessiert ihn derzeit so wenig wie der Spitzname, "German Gretzky", dem ihn einige Journalisten gaben, als sie seine Statistiken aus der Schülermannschaft der Adler Mannheim sahen. Dort hatte Draisaitl in der Saison 2010/11 in 29 Spielen 192 Punkte erzielt. Seine Zahlen und Werte sieht er nur "als Bonus". Denn was bringt ihm das, wenn er, wie im Vorjahr, trotz grandioser Einzel-Statistiken, wieder die Playoffs verpassen würde? Deshalb geht es Draisaitl vorrangig ums Team und darum "Spiele zu gewinnen, die Playoffs zu erreichen und eine erfolgreiche Saison zu haben." Und deshalb spricht er nach dem Sieg gegen Colorado viel lieber über die Oilers, als über seine fünf Torvorlagen. "Mir sind die zwei Punkte für die Mannschaft wichtig, alles andere ist ein Bonus", resümierte Draisaitl. Gut gespielt als Mannschaft. Zusammengehalten. Die Chancen stark genutzt. Das ist für ihn das Essentielle dieser 21. Saisonpartie. Diese Bodenständigkeit ist neben seinen herausragenden sportlichen Qualitäten eine weitere Besonderheit des Leon Draisaitl.
Er ist ein Topstar in seiner Sportart. Und dennoch reagiert er auf die Frage, was er beim Blick auf die aktuelle Scorerliste denke, die seinen Namen ganz oben führt, mit einem leicht verwunderten Blick. So, als würde es ihn überraschen, dass sich jemand dafür interessiere. Seine Familie habe ihm beigebracht, wie wichtig es sei, immer zu wissen, wo man herkomme, sagt Draisaitl. Dass man anderen Menschen gegenüber respektvoll sei und die Bodenhaftung nie verliere. Genau das zeigt sich nicht nur am bescheidenen Auftritten von Draisaitl Junior, sondern auch an der Reaktion des Vaters. Was der zur bisherigen Saison seines Sohnes sage? "Papa sagt: 'Immer weiter.'"
Quelle: ntv.de