Watzke mit klaren Worten Impfangebote gegen Zuschauer-Ausschluss
28.07.2021, 14:41 Uhr
Innerhalb von nur einer Woche baute der Bundesligist Borussia Dortmund ein Impfzentrum auf.
(Foto: Borussia Dortmund)
Auch für den Fußball ist der Weg aus der Pandemie brüchig, es knirscht und kracht an allen Enden. Einigen Klubs droht der finanzielle Kollaps. Inmitten der Krise entdeckt der Profi-Sport zunehmend seine gesellschaftliche Verantwortung. Das zeigt nicht nur das Beispiel Borussia Dortmund.
Auch in der Sommerpause ließ Jakob Scholz das Thema Impfen und Fußball nicht los. Der Vorsitzende der Dortmunder Fanabteilung hat hauptberuflich für die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) in den letzten Monaten Impfzentren aufgebaut. Diese Expertise wollte er nun auch dem Bundesligisten zur Verfügung stellen. Bereits zu Beginn der Pandemie hatte der BVB kurzfristig ein Testzentrum in den Räumlichkeiten des Stadions eingerichtet, nun sollte der Impfstoff zu den Leuten gebracht werden. In enger Zusammenarbeit auch mit der Stadt Dortmund wurde aus der Idee innerhalb einer Woche Realität.
Vier Impfstraßen mit einer Kapazität von 25 Personen pro Stunde und Impfstraße, sieben Stunden am Tag über insgesamt zehn Tage. Maximal 7000 Impfungen. Mit Termin oder auch als spontane Impfung. Angeboten wird Biontech und Johnson & Johnson. "Da ist natürlich der Vorteil, dass nur eine Impfung benötigt wird", sagt Scholz. "Die Frage nach dem konkreten Impfstoff aber stand am Ende der Überlegung. Der Ausgangspunkt war die Idee, wie wir als Verein mithelfen können, die Impfquote ein wenig zu heben. Ein Fußballverein ist prädestiniert dafür."
Dabei ist für Borussia Dortmund der Aufbau eines Impfzentrums im eigenen Stadion natürlich mit Kosten verbunden. "Der Verein ist da erst einmal in Vorleistung getreten", sagt Scholz. "Das ist bemerkenswert." Gut vernetzt in Fußball und Politik, berichtet er von der Ohnmacht einiger. "In der Politik herrscht aktuell etwas Ratlosigkeit, was sie noch tun kann, um die Leute schnell genug zu impfen. Da ist es natürlich extrem wichtig, niedrigschwellige Angebot zu schaffen von regionalen Unternehmen mit positiver Strahlkraft, so wie es Fußballvereine sind." Eine Ansicht, die sich durch den Verein zieht, der in der Öffentlichkeit gerne durch die polterigen Aussagen des Vorstandsvorsitzenden, Hans-Joachim Watzke, auffällt. Das sorgt für Aufmerksamkeit, die Arbeit im Hintergrund wird weniger registriert. Doch genau diese ist ein klarer und ein elementarer Bestandteil für die Rückkehr aller in ein "Leben mit dem Coronavirus".
Lässt der BVB nur Geimpfte zu?
Von Zwang hält man beim BVB wenig, aber Druck für nicht geimpfte Anhänger der Borussia könnte es trotzdem geben. "Ich bin der Meinung, dass es keine Impfpflicht geben sollte, weil jeder selbst entscheiden muss", sagte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke im Sportschau-Interview: "Auf der anderen Seite haben aber auch die Veranstalter von Großereignissen, auch vom Fußball, das Recht zu sagen, dass dann eben nur Geimpfte reinkommen. Das halte ich für legitim, weil wir uns in einem schwierigen Kampf befinden." Doch Watzkes Peitsche ist nur ein Mittel.
"Es geht uns in erster Linie um die gesellschaftliche Verantwortung, die wir als Fußballverein haben. Nicht nur für unsere Fans, sondern für die gesamte Gemeinschaft", sagt Björn Hegemann, Leiter der Abteilung Fanangelegenheiten beim BVB. "Durch das Foto mit dem Pokal können wir einen besonderen Anreiz bieten und vielleicht auch ein paar Menschen erreichen, die bislang aus unterschiedlichen Gründen noch nicht geimpft wurden." Aktuelle Prognosen gehen von rund 2000 Impfungen über den gesamten Zeitraum aus. "Das kann sich alles auch noch nach oben ändern", sagt Hegemann. "Aber wir sind auch ein wenig stolz darauf, dass es uns als Fußballverein gelungen ist, so kurzfristig über 1000 Leute zu impfen."
"Sollte Vorbild für Impfaktionen in Kinos sein"
Borussia Dortmund steht mit diesen kleinteiligen Schritten nicht allein da. Beim Spiel des Zweitligisten SV Sandhausen gab es für jede Person, die sich im Rahmen des Liga-Auftakts gegen Fortuna Düsseldorf impfen ließ, eine Stehplatz-Eintrittskarte für das kommende Heimspiel gegen den Karlsruher SC. Es ist der Ansatz des deutschen Fußballs und des deutschen Profisports. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL), die Basketball-Bundesliga (BBL), die Handball-Bundesliga (HBL) sowie die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) wollen mit ihren jeweiligen Klubs (zum Teil auch der 2. Liga) zusätzliche Möglichkeiten eröffnen, um die Impfbereitschaft in Deutschland zu erhöhen. Damit soll die Bekämpfung der Pandemie zusätzlich unterstützt werden. "Diese Initiative sollte Vorbild sein für weitere Impfaktionen, etwa in Einkaufszentren oder vor Kinos", sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, über die Aktionen.
Die Angebote der Vereine platzen hinein in eine aufgeregte Diskussion über das gesellschaftliche Leben in den kommenden Wochen. Welche Rechte werden Geimpfte und Genesene zurückerlangen, welche Rechte werden für Getestete gelten? Werden diese trotz der Allgemeinverfügbarkeit der Impfstoffe weiter gleichgestellt? Braucht es mehr und bessere Anreize als die oben skizzierten Ansätze des Fußballs, braucht es eine Impfprämie? Was ist mit denen, die sich beharrlich weigern und gegen eine Impfung stellen? Wie kommt der Impfstoff zu den Impfwilligen? Wird der Inzidenz-Wert in Zukunft weiterhin eine große Rolle spielen oder nicht? Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der vergangenen Woche die Bevölkerung mahnte, angesichts steigender Corona-Zahlen Schutzmaßnahmen nicht zu vernachlässigen, sagte er mit Blick auf die steigende Impfquote und die Inzidenz auch: "200 ist das neue 50."
"Das ist kein haltbarer Weg mehr"
Wie geht es für den Fußball weiter? Eine kontrovers geführte Debatte um die Zuschauerzahl bei Eintracht Frankfurt mahnt zu klaren Regelungen für die bis zu 400.000 Fans, die allein an einem Erstliga-Wochenende die Stadien der Liga besuchen. In Frankfurt hatte es Unstimmigkeiten zwischen Stadt und Land gegeben, ob Geimpfte und Genesene bei der Berechnung der Kapazitätsobergrenze zählen. Am Ende setzte sich das Frankfurter Gesundheitsamt durch: 10.000 Zuschauer zugelassen und nicht nur 5000, in der Stadt, die längst die 35er-Inzidenz gerissen hat, die bislang gültige Grenze für mehr als 5000 Zuschauer. "Es ist unklar und nicht schlüssig begründbar, weshalb man die 35 gewählt hat. Das ist kein haltbarer Weg mehr", hatte Eintrachts Justiziar Philipp Reschke geschimpft. Er forderte die Politik zum sofortigen Umdenken auf. "Das ist, wenn man so will, Pandemie 2020. Aber Pandemie 2021 muss anders funktionieren. Die Vorzeichen haben sich geändert."
Allen geht es um Klarheit und auch um einen Weg, mit der Pandemie zu leben. In der Liga will niemand einen "Freedom Day" nach dem Vorbild Boris Johnsons ausrufen. Am ehesten würde man das noch Union-Berlin-Boss Dirk Zingler zutrauen. Aber auch der sagte jüngst in einer Medienrunde: "Wir wollen, dass sich die Menschen impfen, damit sie ihre Rechte zurückbekommen. Wenn wir schon wieder mit der Rechte-Rücknahme im Herbst drohen, konterkarieren wir den Prozess, den wir jetzt fördern. Das ist so widersprüchlich."
Das Mitleid mit dem Fußball hält sich in Grenzen
Neben der gesellschaftlichen Verantwortung beim Thema Impfen geht es den Vereinen natürlich auch um das legitime Unterfangen "Überleben in der Pandemie". Der Profi-Fußball, der sich in den letzten Jahren komplett dem Sport-Kapitalismus unterworfen hat, sieht sich in seinem Fortbestand bedroht. Horrende Gehälter für Top-Spieler, exorbitante Ablösesummen und fantasievolle Vertragsgestaltungen für Spielerberater haben in den letzten Jahren viel Geld aus einer der letzten globalen Unterhaltungsmaschinen gezogen. Aber das war kein Problem, solange es immer bessere TV-Verträge und immer finanzkräftigere Investoren und Staaten gab, die sich Vereine und Verbände einverleibten. Die Pandemie und der Ausschluss der Zuschauer hat den Fußball schwer getroffen, auch in Deutschland. Das öffentliche Mitleid hielt sich jedoch in Grenzen.
"Wenn wir in dieser Saison nicht wieder zu nennenswerten Zuschauerzahlen kommen, und das ist für mich deutlich über 50 Prozent Auslastung, dann wird es für manche Vereine ganz düster", sagte Watzke der Sportschau. Er sprach dort nicht unbedingt nur für den BVB, einen Verein, den es wie Bayern München eher als einen der letzten Klubs treffen würde.
Oft, sehr oft richtete sich der Unmut der Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten gegen die Sonderrolle des Fußballs. Der durfte in den ersten Lockdown im April 2020 hinein die Rückkehr der Bundesliga planen, und als das Virus dann die Spieler erreichte, wurden an sie, so schien es, andere Maßstäbe bei der Ermittlung möglicher Kontaktpersonen angelegt. Einige Vereine, wie Zinglers Union Berlin, wirkten in ihrer Kommunikation zur Corona-Krise und auch in ihrem Umgang mit den sich immer wieder vor dem Stadion versammelnden Fans wenig sensibel. Manche Aufregung war gerechtfertigter als andere in dieser bleiernen Zeit, doch der aktuell vom Fußball beschrittene Weg ist ein vernünftiger - einer der, wie das Beispiel Borussia Dortmund zeigt, sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist und auch bereit ist, sich für andere, weniger prominente Sportarten und für die Kultur einzusetzen. Denn die Ungeduld wächst. Nicht nur im Fußball.
Quelle: ntv.de