Nowitzki & Co. erreichen Maximum Jetzt bloß kein Selbstbetrug!
11.09.2015, 13:05 Uhr
Große Geste vom besten deutschen Basketballer aller Zeiten: Dirk Nowitzki verneigt sich vor dem Publikum. Auch wenn er keine besonders gute EM gespielt hat, die Gründe für das Ausscheiden liegen an anderer Stelle.
(Foto: imago/Bernd König)
Sie haben alles versucht und alles verloren. Die deutschen Basketballer erleben trotz der NBA-Stars Nowitzki und Schröder bei der EM eine Tragödie, wie sie dramatischer nicht sein kann. Die Enttäuschung ist groß, aber warum eigentlich?
Dirk Nowitzki ist noch immer im Kampfmodus. Dabei ist der Kampf an diesem Donnerstagabend in der Berliner Arena seit ein paar Sekunden vorbei. Während die Spanier den 77:76-Sieg gegen Deutschland bejubeln, Dennis Schröder im Mittelkreis steht, die Hände auf den Knien, die Enttäuschung im Gesicht, schimpft Nowitzki auf die Schiedsrichter ein. Er wollte sich einfach nicht damit abfinden, dass sein möglicherweise letzter Auftritt im Trikot des Deutschen Basketball Bundes so bitter enden sollte. Der 37-Jährige hatte sich dem vergebenen Freiwurf von Schröder 3,8 Sekunden vor dem Ende den Rebound sichern wollen, als sein Gegenspieler Nikola Mirotic die Sportart wechselte. "Ich sehe, dass der Ball auf meiner Seite herunterkommt und will zum Ball und Mirotic hat mich im schönen Judo-Griff. Also wenn das kein Foul war, gibt es im Basketball keine Fouls. Der hat mir das halbe Shirt zerrissen", fluchte Nowitzki nach dem letzten deutschen EM-Gruppenspiel. "Wenn sie das pfeifen, hätten wir das Ding noch mit einem gewonnen. So einen Griff habe ich auch noch nie gesehen."
Das Drama in der "Bastardgruppe"
Doch alles Lamentieren hilft nichts. Das Spiel ist aus und das Turnier für Deutschland vorbei. Der Traum von einer vorzeitigen Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio ausgeträumt. Die Hoffnung auf ein erfolgreiches Turnier mit den beiden NBA-Stars Nowitzki und Schröder jäh beendet. Die Enttäuschung ist groß. Aber worüber eigentlich? Darüber das Ausnahmetalent Schröder in den entscheidenden Situationen Nerven gezeigt hat? Darüber das Dirk Nowitzki nicht die Form hatte, die sich alle gewünscht haben? Darüber, dass der 37-Jährige einen unwürdigen Abschied seiner Nationalmannschaftskarriere erlebt hat? Darüber, dass der Rest des Teams auf Top-Niveau (noch) nicht mithalten kann? Ganz bestimmt. Aber in erster Linie natürlich über das Ausscheiden. Doch ist das in der "Bastardgruppe", wie sie der italienische Nationalcoach nach dem Spiel seines Teams gegen Deutschland nannte, wirklich so dramatisch? Island, eine Pflichtaufgabe. Aber dann? Serbien, Türkei, Italien, Spanien - alles andere als Leichtgewichte im europäischen Basketball. Und außer in der Anfangsphase gegen die Türken hat die Auswahl des DBB wahrlich kein schlechtes Turnier gespielt. Die junge Mannschaft, die auf die als Leistungsträger fest eingeplanten Maxi Kleber, Elias Harris, Daniel Theis und Maik Zirbes verzichten mussten, ist am Ende - trotz Nowitzki - an ihrer Unerfahrenheit gescheitert.
Bei all der guten Perspektive (auch ohne Nowitzki, der die Fortsetzung seiner Karriere beim DBB offengelassen hat), die dem Team von Experten, Trainern und Funktionären bescheinigt wird, sind die deutschen Basketballer in ihrer Qualität nicht so breit aufgestellt, dass sie die Ausfälle des oben genannten Quartetts auffangen können. In der Bundesliga versucht jeder Klub, sechs Ausländer zu verpflichten - so viele dürfen pro Spiel eingesetzt werden. Bei insgesamt 200 Minuten Spielzeit (40 Minuten, fünf Spieler), bleibt in der Rotation so kaum noch Platz für ausreichend Einsatzgelegenheiten deutscher Nachwuchsspieler. Die wenigen Nationalspieler spielen im Ausland oder verteilen sich in der BBL auf die Topklubs Bayern, Bamberg, Berlin und Ulm. Dahinter wird's ziemlich mau. Gerade die Teams, die um den Liga-Erhalt bangen, setzen in ihrer Existenzangst lieber auf billige Importkräfte, als ihre deutschen Spieler und Talente in der sogenannten "Crunchtime" wichtige Erfahrungen sammeln zu lassen. Aber wer will ihnen daraus einen Vorwurf machen? Der Fehler liegt seit jeher im System, nicht bei den Vereinen. Solange sechs Importspieler erlaubt sind, werden sie eingesetzt. Wer das nicht macht, verschafft sich einen Wettbewerbsnachteil - sowohl national als auch in den europäischen Cup-Wettbewerben. Und wer will das schon? Niemand. Ist doch klar.
Schröder macht's vor
Natürlich, mögen Kritiker jetzt einwenden, auch in anderen Ligen werden athletische Amerikaner oder gut ausgebildete Balkan-Basketballer eingesetzt und versperren so dem Nachwuchs die Entwicklungsmöglichkeiten auf höchstem Niveau. Aber was nützt das? Mehr als Resignation bringt der Blick auf andere nicht. Wenn der deutsche Basketball auf lange Sicht erfolgreich sein will, müssen sich die Vereine bewegen. Und es gibt in Deutschland bereits ein praktiziertes Modell, das dieser Entwicklung entgegenwirkt: In der zweiten Liga, der ProA, müssen verpflichtend zwei Deutsche auf dem Feld stehen - Verantwortung inklusive.
Noch wichtiger ist aber, dass die Talentförderung über die professionell angelegten Nachwuchsligen JBBL und NBBL dringend eine bessere Anbindung an die Bundesliga-Mannschaften braucht. Drei, vier, fünf Spieler mit 18 Jahren in der Herren-Kader zu beordern, sich für die Jugendarbeit auf die Schulter zu klopfen, Auszeichnungen vom Verband kassieren, die Jungs dann auf der Bank zu parken und nur in der "Garbage"-Time einzusetzen ist Selbstbetrug. Wer nur wenig spielt und keine Verantwortung bekommt, wird nicht besser. Dass junge Spieler Fehler machen? Geschenkt.
Dennis Schröder ist dafür das beste Beispiel: Kaum ein Spieler im deutschen Nationalteam hat bei diesem Turnier so schnell aus seinen Fehlern gelernt wie der 21-Jährige. Dass er im Entscheidungsspiel gegen Spanien den entscheidenden Freiwurf vergibt, ist bitter. Aber das wird ihm schon in ein, zwei Jahren nicht mehr passieren. Dass er die Schuld auf sich nimmt, ist ehrenwert, aber überflüssig. Denn: Ohne einen Schröder in der Form der vergangenen Tage und einem großen Selbstvertrauen, das auf Vertrauen basiert, ausgestattet, wäre Deutschland bei diesem Turnier nie in die Verlegenheit gekommen, die europäischen Top-Nationen so zu ärgern! Das ist der Weg, den es zu gehen gilt, wenn Deutschland im internationalen Basketball wieder Ansprüche erheben will.
Quelle: ntv.de