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"Bis zum letzten Blutstropfen!" Klitschkos sind längst im Krieg mit Putin

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Vitali und Wladimir Klitschko sind schwer reich, ihr Geld haben sie vor allem im Boxring gemacht. Ihre Kämpfe begeisterten Millionen. Gegeneinander kämpften sie nie, heute kämpfen sie zusammen: Für die Ukraine, wenn es sein muss auch an den Waffen, sagen sie. Für leeres Gerede hält das niemand.

Als Wladimir Klitschko den größten Zahltag seiner großen Karriere vor Augen hatte, winkte er ab. 30 bis 50 Millionen Euro, so schätzt man, hätte dem Ukrainer, den die deutschen Boxfans adoptiert hatten und der schließlich auch in den mit Schwergewichts-Weltmeistern reich gesegneten USA zum Superstar wurde, ein Rückkampf gegen Anthony Joshua gebracht. Im April 2017 hatte Klitschko gegen den Briten verloren, in einer großen Schlacht im Londoner Wembley-Stadion.

Er hätte das Geld nehmen können, im Boxen wird die Börse nach dem Wert des Kämpfers für den Kampf ausgeschüttet, es gibt keine Siegprämie. Klitschko, damals 41 Jahre alt, hätte sich nur in den Ring schleppen müssen. Doch er merkte, dass seine Zeit vorbei war. Physisch und psychisch war er nach 20 Jahren in der Weltspitze erledigt. Und er machte Schluss. Wladimir Klitschko ist kein Schaumschläger, kein Abzocker. Wladimir Klitschko ist ein kluger Mann, ein Stratege. Einer, der sehr genau überlegt, was er sagt und was er tut. Und verkündet: "Wir müssen uns darauf vorbereiten, Waffen in die Hand zu nehmen um unser Land zu verteidigen."

Klitschko kämpft an der Front eines Krieges, der in der vergangenen Woche über sein Land kam. "Es ist die Liebe, die Liebe zu meiner Stadt, meinem Zuhause, meiner Familie, meinen Nachbarn, meiner Tochter, die mich heute hierher gebracht hat, dass ich diese Initiative ergriffen habe und mich jetzt an dieser territorialen Verteidigung beteilige." Der Boxer meldete sich unter dem Eindruck der russischen Angriffe auf die Ukraine freiwillig für die Reservearmee seines Landes.

"Ich habe keine Wahl"

Der weltgewandte Boxer, der lange in Los Angeles lebte, dessen Firma in Hamburg sitzt, sendet emotionale Appelle in die Welt. "Jeden Tag geht ihr auf die Arbeit. Damit helft ihr, eurer Armee Patronen zuzuschieben - um es so zu sagen. Und auf uns zu schießen ... Eure - wie ihr uns nennt - Brüder und Schwestern", rief er Russen und Belarusen zum Widerstand auf. Es ist ein Aufruf, für den Frieden zu streiken. Auch die Bitte "an die Welt, diesen Krieg zu stoppen, den Russland begonnen hat" erneuerte er am Sonnabend: "Es sind Zivilisten von Raketen abgeschossen worden … Das passiert im Herzen Europas. Es bleibt keine Zeit zu warten. Denn das ganze führt in eine menschliche Katastrophe … Stoppt diesen Krieg! Jetzt." Klitschkos Front verläuft längst nicht mehr nur an den Grenzen zwischen Kamera und Realität. Der 45-Jährige ist in Kiew, bei seinem Bruder Vitali. Dem Bürgermeister der Stadt und einem der bekanntesten Köpfe der Ukraine.

Neben Präsident Wolodymyr Selenskyj ist der erste Box-Weltmeister im Schwergewicht aus der ehemaligen Sowjetunion einer der schärfsten Kritiker Wladimir Putins. Jedenfalls hallt seine Stimme in der Welt am lautesten. "Krank", sei Putin, sagte er dem "Tagesspiegel" schon Ende 2014 im Lichte der Annexion der Krim-Halbinsel durch Russland. Putin habe geschafft, was er nie für möglich gehalten hätte, nämlich die beiden Brudervölker gegeneinander aufzuwiegeln. Anfang 2022 bezeichnete Vitali Klitschko Putin als einen Wundbrand, der Europa befallen hätte. "Wir werden Dir nicht gestatten, das sowjetische Imperium zurückzubringen, das wir schon immer abgelehnt haben", rief er dem russischen Präsidenten zu. Die Ukraine habe sich "für den europäischen Weg entschieden".

Und 2015 forderte der einstige Boxer, der als Weltmeister seinen Titel niederlegte, um sich auf seine politische Laufbahn zu konzentrieren und nie wieder in den Ring zurückkehrte, eine starke Antwort auf russische Aggressionen: "Wenn wir Putin weitermachen lassen, stehen irgendwann russische Soldaten auf dem Maidan." Der sonst so belebte Platz ist dieser Tage auf beinahe gespenstische Art menschenleer. Putin lässt Kiew angreifen, Vitali Klitschko versicherte am Sonntag, es befänden sich keine russischen Truppen in der ukrainischen Hauptstadt. "Kiew ist nicht komplett eingekesselt. Die ukrainische Armee kämpft hart in den Außenbezirken, und die russische Armee hat viele Verluste", sagte er am Sonntagabend der "Bild". Im Nachrichtenkanal Telegram verwies er auf Falschinformationen, wonach russische Truppen die Millionenstadt umstellt hätten. "Unser Militär, die Strafverfolgung und die territoriale Verteidigung fahren fort, Saboteure aufzuspüren und zu neutralisieren." Am Abend wurde in Kiew erneut Luftalarm ausgelöst.

Vitali Klitschko, der längst im Fadenkreuz des Kremls steht, harrt in Kiew aus. Er zeigte sich auf seinen Social-Media-Kanälen zuletzt immer wieder bei Schießübungen, schon im März vergangenen Jahres hatte er sich medienwirksam in der effektiven Panzerabwehr unterweisen lassen. Nun antwortete er auf die Frage eines Reporters des britischen Frühstücksfernsehens "Good Morning, Britain", ob er in Kiew bleiben, ob er ebenfalls kämpfen werde: "Ich habe keine Wahl, ich muss es tun. Ich werde kämpfen."

Fragwürdige Allianz

Während Wladimir Klitschko bis 2017 boxte, kämpft sein Bruder Vitali schon seit vielen Jahren nur noch politisch. 2006 und 2008 scheitert er beim Versuch. Bürgermeister von Kiew zu werden. 2010 gründete er die UDAR, die "Ukrainische demokratische Allianz für Reformen". Er wollte die Ukraine näher an die EU bringen. 2014 schließlich wurde er Bürgermeister der Hauptstadt Kiew. Das politische Ende des damaligen Staatschefs Viktor Janukowitsch, der von den Protesten letztendlich hinfortgespült wurde, ist da ganz frisch.

Klitschko hatte sich 2013 an die Spitze der Proteste auf dem Maidan gesetzt, später, als die alte Nomenklatura aus dem Rathaus ausgezogen war, zog der neue Bürgermeister selbst Misstrauen auf sich: Zu reibungslos sei der Übergang verlaufen, sagten manche. Dazu hatte Klitschko altes Personal übernommen, das die Proteste auf dem Maidan eigentlich politisch nicht überleben sollte. Um die alte Führung loszuwerden, hatte sich Klitschko - und das sorgte sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine für Kritik - mit den Vertretern der antisemitisch und nationalistisch verorteten Swoboda-Partei verbündet. Die Friedrich Ebert Stiftung verurteilte das Verhalten der Opposition um Klitschko: Sie distanziere sich nicht eindeutig von Swobodas antisemitischer, fremdenfeindlicher und rassistischer Rhetorik und habe damit "Swoboda in den Augen der Öffentlichkeit vom Stigma befreit, sie legitimiert" und ihr den Anschein gegeben, "als sei sie als Partner mit anderen Parteien gleichwertig".

Swoboda beruft sich auf den antisowjetischen Freiheitskämpfer Stepan Bandera, der in den 1930er-Jahren mit der deutschen Wehrmacht und den Nazis paktierte. Bandera formte damals nach faschistischen Vorbildern die Partisanenarmee UPA, die sich aktiv an der Judenvernichtung in der Westukraine beteiligte. Parteichef Tiagnibok, damals ein enger Verbündeter des Oppositionellen Klitschko, beklagte 2004 offen den Einfluss der "jüdischen Mafia Moskaus." Das Simon-Wiesenthal-Zentrum setzte Tiagnibok im Jahr 2012 auf den fünften Platz seiner Liste der schlimmsten Antisemiten weltweit. "Wir haben verschiedene Ideologien, zwei Dinge aber einen uns: Wir kämpfen gegen die heutigen Machthaber, und wir wollen europäische Werte in unserem Land", erklärte Klitschko damals die Wahl seiner Bundesgenossen.

Es sei schlicht nicht möglich, "alles sofort zu ändern, aber wir ändern schrittweise und mit konkreten Taten für unsere Stadt", entgegnete der kampferprobte Politiker. Ein Held des Euromaidan ist Klitschko nie geworden, Anfang 2014 wird er von den verbliebenen Protestlern ausgepfiffen. Sein politisches Kapital ist lange, dass er unverdächtig ist, auf alte Seilschaften angewiesen zu sein: Sein gewaltiges Vermögen hat er transparent im Sport und vor allem im Ausland gemacht. Und er ist ein bekanntes Gesicht in der Welt.

Hollywood-Star betet für "Freunde und Familie"

Wladimir stand seinem Bruder auf dem Maidan zur Seite, hatte in dieser Zeit aber auch anderes zu tun: Er verteidigt 2014 zweimal seine WM-Titel, im Dezember wurde er Vater einer Tochter. Die Mutter ist Hollywood-Star Hayden Panettiere, das Paar trennt sich 2018. Verbunden sind beide offenbar weiterhin. Sie bete "für meine Familie und Freunde" in der Ukraine, schreibt Panettiere auf Instagram, "und für alle, die kämpfen". Sie wünschte, "ich wäre dort und würde mit euch kämpfen! Für den Moment bitte ich diejenigen von uns, die nicht dort sein können, Schulter an Schulter in Solidarität mit dem ukrainischen Volk zu stehen und ihre Unterstützung für #Demokratie zu zeigen."

Wladimir Klitschko ist inzwischen zurück in der Ukraine, wo Mutter Nadesha lebt. Wladimir Rodionowitsch Klitschko, der Vater der Klitschkos, war bereits 2011 gestorben. Der Offizier der Roten Armee war selbst Teil eines schicksalhaften Unglücks in der Geschichte der damaligen Sowjetunion: Als Oberst der Luftwaffe koordinierte er nach der Atomkatastrophe von 1986 von Tschernobyl die Hubschraubereinsätze an der Reaktorruine. 25 Jahre später verlor er im Alter von 64 Jahren nach langer schwerer Krankheit den Kampf gegen den Krebs. Wenige Tage nach Wladimir Klitschkos WM-Kampf gegen den Briten David Haye, in dem er die Gürtel der vier größten Verbände in der Familie Klitschko vereinigte, starb Wladimir Senior im Juli 2011 im Hause der Familie in Kiew.

"Gesicht, das Putin auch vernichten möchte"

Wladimir Klitschkos Tochter Kaya ist nun nicht mehr in der Stadt, in der sie zur Schule geht. "Sie ist in Sicherheit und nicht in der Ukraine", sagte Panettiere. Vitali Klitschko hat drei Kinder, seine Familie mit Ehefrau Natalia lebt in Hamburg. In einem Interview mit der "Bild"-Zeitung verkündete Wladimir Klitschko nun: "Wir werden diesen sinnlosen Krieg gewinnen. Man kann uns nicht den Willen nehmen. Der Wille ist die stärkste Waffe. Wir werden unser Land bis zum letzten Blutstropfen verteidigen!"

Und das ist wörtlich zu nehmen. "Die wollen ihr Land retten. Das sind keine Schwätzer, keine Fantasten", sagte RTL/ntv-Sportchef Andreas von Thien, der beide Klitschkos viele Jahre rund um den Erdball zu Kämpfen im Ring begleitet hatte. "Die akzeptieren nicht, dass ein anderes Land ihre Heimat überfällt. Die werden mit allen Mitteln dagegenhalten. Sie werden bis zum Äußersten gehen." Niemand zweifelt, dass es beiden Ernst ist. "Die beiden werden für die Freiheit der Ukraine kämpfen. Wladimir und Vitali Klitschko werden alles tun, was möglich ist", sagte Ex-Manager Bernd Bönte im Interview mit "Sports Illustrated": "Weiter will ich gar nicht denken, weil ich diese Situation von außen gar nicht einschätzen kann. Aber wie jeder weiß, sind die beiden keine Maulhelden."

Im Ring waren sich die beiden Klitschkos, die zeitweise die Schwergewichtstitel der Welt untereinander aufteilten, nie begegnet. Immer wieder berichteten beide, dass ihre Mutter Nadesha ihnen das verboten habe. Nun wollen beide kämpfen, gemeinsam auf dem selben Schlachtfeld. Es ist wörtlich zu verstehen, keine dieser übertriebenen martialischen Sportmetaphern. "Jeder Mann ist stolz darauf, für die Zukunft seiner Familie sterben zu können", sagte Vitali Klitschko jüngst in einer seiner Ansprachen an seine Landsleute und die Welt. "Dieser sinnlose Krieg wird keine Sieger hervorbringen, aber Verlierer. Doch zusammen sind wir stark", heißt es in einer gemeinsamen Videobotschaft der Brüder.

"Dieser Krieg gegen mein Land ist nicht nur das Ergebnis des Wahnsinns eines Mannes, sondern auch das Ergebnis der jahrelangen Schwäche der westlichen Demokratien. Dieser Wahnsinn muss jetzt gestoppt werden, indem die Abschreckung verstärkt wird. Unsere Regierungen müssen die Dinge klar und deutlich sagen", schrieb Wladimir Klitschko am Wochenende in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Wenn Putin seinen Plan für einen Regimewechsel in Kyiv wirklich umsetzt, dann müssen die Demokratien in der ganzen Welt schon jetzt über einen Regimewechsel in Moskau nachdenken. Bevor es zu spät ist."

Derzeit sollen sich beide Klitschko-Brüder gemeinsam in Kiew aufhalten, beschützt von Spezialkräften, sagt Andreas von Thien. "Als Bürgermeister ist Vitali Klitschko neben Präsident Selenskyj eines der ersten Ziele. Er gehört zu den Menschen, die besonders für diesen Krieg stehen. Ein prominentes Gesicht, das Putin, so glaube ich, auch vernichten möchte." Rund 400 Söldner der "Gruppe Wagner" sollen auf Geheiß des Kremls Jagd auf Präsident Selenskyj machen, berichtete die britische "Times" am Morgen unter Berufung auf eine Quelle im Umfeld der Führung der Gruppe. Auf einer russischen Todesliste sollen neben dem Präsidenten und seiner Regierung auch Vitali und Wladimir Klitschko stehen.

Quelle: ntv.de

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