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DLV-Zehnkämpfer auf WM-Goldkurs Die Leo-Neugebauer-Show macht Budapest verrückt

Raus damit: Neugebauer lebt seine Emotionen im Wettkampf aus.

Raus damit: Neugebauer lebt seine Emotionen im Wettkampf aus.

(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)

Bestleistung im Weitsprung, Bestleistung im Kugelstoßen, neue Höchstpunktzahl nach fünf Disziplinen: Zehnkämpfer Leo Neugebauer liefert bei der Leichtathletik-WM in Budapest ab. Am vorletzten Wettkampftag greift er nach der ersten Medaille für die deutsche Mannschaft - und steigt zum Star auf.

Leo Neugebauer grüßte freundlich und grinste freudig, als er nach dem ersten Tag des Zehnkampfs in den Katakomben des Budapester Leichtathletikstadions vor die Mikrofone trat. Sein Zwischenfazit nach dem ersten Tag und fünf Disziplinen präsentierte der 23-Jährige mit der ihm typischen Bescheidenheit: "Mit persönlicher Bestleistung am ersten Tag kann man nicht unzufrieden sein." 4640 Punkte hatte Neugebauer bis dahin gesammelt, 49 mehr als bei seinem bisher besten Zehnkampf. In dem hatte er nicht nur den 39 Jahre alten deutschen Rekord von Jürgen Hingsen geknackt, sondern sich auch auf Platz acht der ewigen Weltbestenliste katapultiert.

An Rechenspiele aber wollte Neugebauer in diesem Moment keine Gedanken verschwenden, im Mittelpunkt seiner Überlegungen standen um kurz vor 22 Uhr viel mehr die elementaren menschlichen Bedürfnisse. "Erholen, schön was essen, was trinken", so lautete der Plan für den Rest des Abends, "und dann gut schlafen". Anschließend wird der Zwei-Meter-Mann als Führender in den zweiten Tag dieses WM-Zehnkampfs starten, der ihm die Chance bietet, sich zum Weltmeister zu krönen. Zum Besten also unter denen, die ehrfürchtig als Könige der Athleten bezeichnet werden.

Auf dem Weg in diese hervorragende Ausgangsposition hatte Neugebauer, Spitzname "Leo The German", nicht nur sportlich überzeugt. Waren die 10,69 Sekunden über 100 Meter noch mit verhaltener Freude bedacht worden, zog er spätestens mit seinem dritten Versuch beim Weitsprung die volle Aufmerksamkeit des Stadions auf sich. Sein Gefühl nach der Landung war gleich ein gutes gewesen. Doch es dauerte, bis der Sprung final vermessen war. Als das Ergebnis auf der Anzeigetafel aufleuchtete, war Neugebauer dann nicht mehr zu halten. 8,00 Meter. Er rannte die Gegengerade entlang, hüpfte vor Freude auf und ab, schrie seine Begeisterung heraus.

Viele starke Zehnkämpfer sind schon raus aus der WM

Die Kameras der Weltregie hatten ihn da längst in den Fokus genommen. Dem Schwaben, der an der University of Texas at Austin zum Weltklasse-Athleten gereift ist, gefällt es, wenn sich die Blicke auf ihn richten. "Bei unseren Wettkämpfen [an der Uni] haben wir auch immer ein kleines Kamerateam", sagte Neugebauer, "deshalb ich das schon ein bisschen gewohnt, mit der Kamera zu spielen, Spaß damit zu haben." Nervös macht ihn das also nicht, im Gegenteil: "Es fühlt sich cool an, wenn die Kamera auf dich gerichtet ist."

Aus Neugebauer spricht dabei keine Arroganz, sondern eine unbekümmerte Lockerheit. Schon bei der Pressekonferenz des Deutschen Leichtathletik-Verbandes zwei Tage vor dem Zehnkampf hatte er mit seiner entspannten Art überzeugt. Er wolle einfach Spaß haben bei der WM, hatte er im Untergeschoss des Teamhotels gesagt, und zeigen, wofür er im Training so hart gearbeitet habe. Das gelang ihm in den ersten fünf Disziplinen so nachdrücklich, dass viele Beobachterinnen und Beobachter sich einig schienen: Hier geht gerade ein neuer Stern am Leichtathletik-Himmel auf.

Zumal die Konkurrenz mit jeder Disziplin weiter schrumpfte: Titelverteidiger Kevin Mayer aus Frankreich meldete sich schon nach dem Weitsprung ab, der australische Olympia-Dritte Ashley Moloney nach dem Kugelstoßen. Neugebauers DLV-Teamkollege und Europameister Niklas Kaul vertrat sich im Hochsprung so arg den Fuß, dass er trotz intensiver Behandlung nicht zu den 400 Metern antreten konnte und anschließend am liebsten seinen eigenen Körper verflucht hätte. Auf der Stadionrunde fehlte auch der US-Amerikaner Zach Ziemek, im Vorjahr in Eugene noch mit WM-Bronze dekoriert. Der Zehnkampf, das verdeutlicht diese WM einmal mehr, ist in erster Linie ein Kampf mit sich selbst und dem eigenen Körper.

35 Grad in Budapest sind für Neugebauer fast wie eine Abkühlung

Neugebauer derweil wirkte für diese Herausforderung optimal vorbereitet, körperlich wie mental. Wann immer er auf den großen Leinwänden zu sehen war, wurde es im Stadion ein bisschen lauter. Nach dem gelungenen Auftakt über die 100 Meter und dem herausragenden Weitsprung ließ er in der dritten Disziplin die zweite persönliche Bestleistung folgen. Auf 17,04 Meter wuchtete er die 7,26 Kilogramm schwere Kugel, während kein anderer Zehnkämpfer überhaupt die 16-Meter-Linie überwinden konnte. Auch dabei verlieh Neugebauer seiner Freude lautstark und gestenreich Ausdruck, was das engagierte Publikum mit anhaltendem Applaus zu würdigen wusste.

Beim Hochsprung verfolgten die Kameras den 23-Jährigen bei fast jedem Schritt. Ob er sich einfach nur auf die Bank setzte, sich mit seinem eigens aus Texas ins deutsche Aufgebot geholten Trainer Jim Garnham beriet oder mit jeder überwundenen Höhe seinen Anlauf ein Stückchen verlängerte - immer waren die Kameras dabei. Und Neugebauer wusste die Aufmerksamkeit für sich zu nutzen, flog unter rhythmischem Klatschen über 2,02 Meter, was den nächsten freudigen Ausbruch zur Folge hatte. Die 2,05 Meter waren dann allerdings zu hoch, obwohl der Deutsche sogar erstmals den Rhythmus vorgegeben hatte.

"Ich habe alles gegeben, die Zuschauer waren klasse, ich habe echt Spaß gehabt", resümierte Neugebauer sein Erlebnis in der schweißtreibenden Hitze, die ihm jedoch nichts auszumachen scheint. Verglichen mit seiner Vorbereitung in Texas kämen die Temperaturen von bis zu 35 Grad in der ungarischen Hauptstadt sogar fast einer Abkühlung gleich. Da war es dann fast schon folgerichtig, dass der 23-Jährige auf Nachfrage erklärte, "sehr heiß" auf den zweiten Tag zu sein.

Ex-Weltmeister Niklas Kaul hadert mit dem Körper

Kurz darauf verabschiedete sich Neugebauer dann auch schon wieder, weil seine Trainer im Hintergrund warteten und ein bisschen drängten: Die Zeit für die Erholung ist knapp im Zehnkampf, vielen Athleten fällt zudem das Einschlafen schwer, weil der Körper noch so voller Adrenalin ist. Neugebauer gab allerdings an, damit keine Probleme zu haben, im Gegenteil: "Ich kann sogar besser schlafen nach so einer Belastung."

Und so machte sich der 23-Jährige auf in die kurze Nacht, an die sich der zweite Zehnkampftag anschließt. 62 Punkte beträgt sein Vorsprung auf Olympiasieger Damian Warner aus Kanada, dessen Landsmann und Vize-Weltmeister Pierce LePage liegt 30 Punkte hinter dem Deutschen. Vieles deutet darauf hin, dass es dieses Trio ist, das am Ende die Medaillen unter sich ausmachen könnte.

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In diesen Kampf um Gold, Silber und Bronze hatte eigentlich auch Niklas Kaul eingreifen wollen. Nach einem technischen Fehler im Hochsprung jedoch zwickte es im Fuß so, wie es auch bei Olympia 2021 in Tokio gezwickt hatte. Damals hatte Kaul den 400-Meter-Lauf unter Schmerzen abbrechen und den Zehnkampf unter Tränen aufgeben müssen, in Budapest nun verzichtete er auf den Versuch, sich durchzubeißen. "Ich bin sehr enttäuscht. Ich ärgere mich sehr über mich selbst und über meinen Körper. Das ist einfach super-scheiße", sagte Kaul. "Aber ich glaube, es war die richtige Entscheidung, auch wenn die schmerzhaft ist."

Und so liegt es nun an Neugebauer, ob der DLV am vorletzten Tag dieser Weltmeisterschaften endlich die erste Medaille bejubeln darf. Dem stolzen Verband droht weiterhin die erste Nullnummer seiner Geschichte, es wäre eine wahrlich historische Enttäuschung. Der Weg aufs Podium für den neuen Star des Zehnkampfs ist noch lang, mit den 110 Meter Hürden und dem Diskuswerfen steht am Vormittag der wohl anspruchsvollste Übergang an, weil auf die linear nach vorne gerichtete Bewegung im Sprint die Drehbewegung mit der Zwei-Kilogramm-Scheibe folgt. Danach ist unter der Mittagssonne das Stabhochspringen angesetzt, Schatten bietet die dafür vorgesehene Stadionseite so gut wie keinen. Zum Abschluss muss Neugebauer seine schwächsten Disziplinen bewältigen, den Speerwurf und die 1500 Meter. Die ihm womöglich dennoch die Chance bieten, sich zum König der Könige der Athleten zu krönen.

Quelle: ntv.de

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