
Die neue Weltmeisterin über 400 Meter Hürden.
(Foto: Imago Images/Beautiful Sports/Torben Flatemersch)
Mit einem neuen Rhythmus dominiert Femke Bol die 400 Meter Hürden. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Budapest gewinnt die Niederländerin ihren WM-Titel. Es ist auch der Beweis, dass die 23-Jährige den bösen Sturz aus dem Staffel-Endlauf überwunden hat.
Die Bilder ihres Sturzes haben sich ins kollektive Leichtathletik-Gedächtnis eingebrannt. Und so kommt auch Femke Bol im Moment ihres größten Sieges nicht umhin, als frisch gekrönte Weltmeisterin über 400 Meter Hürden zunächst noch einmal über diesen Schreckmoment zu sprechen. "Es war nicht leicht, zu vergessen, was da passiert ist", sagt Bol nun, fünf Tage später, nach einer beeindruckenden Demonstration ihrer körperlichen und mentalen Widerstandskraft.
Im Finale der 4x400-Meter-Mixed-Staffel war die Goldmedaille für die Niederländerin zum Greifen nah - dann aber stürzte sie nicht nur plötzlich, sondern auch heftig. Unmittelbar vor dem Ziel versagten Bol die Beine. Der Länge nach klatschte sie auf die rote Laufbahn, schlug sogar mit dem Gesicht auf, wie die Wiederholungen zeigten. Der Staffelstab flog währenddessen alleine ins Ziel, in den Ergebnislisten von Budapest steht deshalb bloß ein simples "Did Not Finish".
Nach der geglückten Wiedergutmachung über 400 Meter Hürden dankt Bol ihrem Umfeld dafür, "dass sie sich um mich gekümmert und mich beruhigt haben". In 51,70 Sekunden ist sie mit ihrem federleichten und eleganten Laufstil nicht nur der Konkurrenz enteilt, sondern zusätzlich die zweitschnellste Zeit ihrer Karriere gerannt. Einzig bei ihrem Europarekord vor vier Wochen in London (51,45) hat sie die Stadionrunde mit den zehn 76,2 Zentimeter hohen Hürden noch zügiger bewältigt.
Trainer Laurent Meuwly erklärt Grund für Rhythmus-Wechsel
Ihr finaler Vorsprung beträgt mehr als eine Sekunde - eine Ewigkeit. Bol rennt um Gold, die sieben anderen Finalistinnen um die weiteren Plätze. Silber geht an Shamier Little aus den USA (52,80), über Bronze jubelt die Jamaikanerin Rushell Clayton (52,81). "Dass Femke vor uns sein würde, wusste ich", unterstreicht Clayton die Überlegenheit von Bol: "Aber ich wusste auch, dass es dahinter eng wird."
Die Niederländerin, nach Olympia-Bronze 2021 und WM-Silber 2022 jetzt ganz oben auf dem globalen Treppchen angekommen, bestätigt diesen Eindruck der Zwei-Klassen-Gesellschaft. "Ich musste das Rennen nur noch zu Ende bringen", sagt Bol, nachdem sie "die ersten paar Hürden mit Tempo überlaufen und dann zu meinem Rhythmus gefunden" hat. An eben jenem Rhythmus hat die Dreifach-Europameisterin von München zu dieser Saison eine entscheidende Änderung vorgenommen, um noch bessere Zeiten möglich zu machen.
"Wir haben im letzten Jahr gemerkt, dass wir mit den 15 Schritten am Ende der Fahnenstange angelangt sind. Sie lief zu nahe an die Hürden heran", erklärte ihr Trainer Laurent Meuwly jüngst dem Schweizer "Tagesanzeiger" den Auslöser. Mittlerweile macht Bol 14 Schritte zwischen den Hürden, wechselt deshalb jedes Mal das Schwungbein, in diesem WM-Finale bis zur siebten Hürde. Von der achten bis zur zehnten Hürde setzt Bol jeweils 15 Schritte, geht immer mit dem linken Fuß voran über die Hindernisse. Der Großteil der Konkurrentinnen macht überall (mindestens) einen Schritt mehr.
Angriff auf den Weltrekord angekündigt
Es ist diese Änderung, die Bol in neue Sphären vordringen lässt: Als dritte Frau knackt sie die 52-Sekunden-Marke, in der ewigen Bestenliste steht nur Weltrekordlerin Sydney McLaughlin-Levrone (50,68) vor ihr. Von den zehn schnellsten jemals gelaufenen Zeiten gehen neun auf das Konto der beiden, für Budapest allerdings war das direkte Duell schon frühzeitig abgesagt worden.
Die US-Amerikanerin konzentriert sich in diesem Jahr auf die 400 Meter ohne Hürden, musste für die WM in Ungarn infolge einer Knieverletzung jedoch gänzlich passen. Zum Showdown in einem großen Finale kommt es also frühestens im kommenden Sommer bei den Olympischen Spielen in Paris.
Bis dahin werden Bol und Meuwly weiter daran tüfteln, sich dem perfekten 400-Meter-Hürdenlauf anzunähern. Das verriet der Trainer, der als Architekt der zahlreichen niederländischen Erfolgsgeschichten auf der Stadionrunde gilt, dem "Blick" aus seiner Schweizer Heimat: Seit dem Europarekord von London "reden wir nicht mehr über eine 51er Zeit, jetzt reden wir über den Weltrekord." Das klar formulierte Ziel ist es, McLaughlin-Levrone in Paris herauszufordern: "Da wollen wir bereit sein." In Interviews betont er immer wieder das "Commitment" von Bol: "Sie ist gut organisiert, clever, antizipiert alles. Sie ist fokussiert, hat einen Plan A, B und auch C."
Das Finale von Budapest zeigt, dass der eingeschlagene Weg stimmt. Den Rückschlag aus der Staffel hat Bol offensichtlich überwunden, womöglich hat sie sogar zusätzliche Motivation daraus gezogen: Und so vermeidet sie diesmal auch den Sturz, der unmittelbar vor dem 400-Meter-Hürden-Finale einen Moment lang zu drohen scheint. Beim Einlauf ins Stadion, nach der Vorstellung der Athletinnen, macht die 23-Jährige noch ein paar schnelle Kniehebeläufe. Dabei stößt sie fast mit dem Helfer zusammen, der ihr den Weg in Richtung Startblock weist. Diesmal aber gerät Bol nicht aus dem Tritt - und lässt danach auch nicht den geringsten Zweifel aufkommen, wer die Goldmedaille mit nach Hause nimmt.
Quelle: ntv.de