"Wie geil ist das denn?" NFL knackt Zuschauerrekord in London
29.10.2018, 14:07 Uhr
Ausverkauftes Wembley-Stadion - beim Football.
(Foto: Matthias Gindorf)
Das Footballspiel zwischen den Jacksonville Jaguars und den Philadelphia Eagles ist mau, die Zuschauer im ausverkauften Wembley-Stadion freuen sich dennoch. Die Strategie der NFL, nach Europa zu expandieren, geht auf.
Stell' dir vor, es ist Spieltag - und du musst, um deine Mannschaft zu sehen, mehr als neun Stunden im Flugzeug verbringen. In der NFL hat das mittlerweile Tradition. Das Wembley-Stadion in London war an diesem Sonntag das dritte Wochenende in Folge Spielort für die nordamerikanische Football-Liga. Zum ersten Mal überhaupt trat der amtierende Champion in Übersee an. Die Philadelphia Eagles gewannen, glanzlos zwar, aber immerhin, mit 24:18 (10:6) gegen die Jacksonville Jaguars. Ein Spiel, das für die NFL in Europa werben sollte. Und gemessen an den Zuschauerzahlen geht dieses Konzept auf.
85.870 Menschen sorgten für ein ausverkauftes Haus. So viele waren noch nie bei einem Spiel der NFL International Series in London - und die gibt es seit über zehn Jahren. Offiziell war es ein Heimspiel der Jacksonville Jaguars. Das Team aus Florida hat einen Vertrag mit der NFL abgeschlossen und spielt jedes Jahr einmal in der britischen Hauptstadt. Zu spüren war dieser Heimvorteil aber kaum. Wie auch?
In der Stadt jedenfalls, auf dem Weg zum Stadion und in den drei Stunden auf dem Platz dominierten die Eagles. Schon in der "Tube" war der Schlachtruf der Eagles zu hören: "E-A-G-L-E-S - Eagles!!" Auf die Frage, was die Fans bezahlt haben, um in London dabei zu sein, gab es die vielsagende Antwort: "Mehrere tausend Dollar. Aber wir machen noch eine Europa-Rundreise. Dann geht's." Besonders auffällig war auch die große Zahl deutscher Fans. Die Liga schätzt, dass mindestens 5.000, wenn nicht gar 10.000 eingeflogen sind. Manche davon erst kurz vor Kickoff. "Einmal dabei sein - wie geil ist das denn?!", hieß es bei einer Reisegruppe aus Köln. Den meisten Fans im Stadion war es dementsprechend egal, wer da auf dem Platz stand.
Egal, wer spielt - Hauptsache dabei
Viele kommen, um einmal die NFL in Europa zu sehen. Sie verbindet die Liebe zum Football, sie feiern jeden Spielzug, sie bejubeln jeden Touchdown. Riesige Hotdogs und Budweiser-Bier tun für die Stimmung ihr übriges. Den Spielern allerdings war die Umstellung anzumerken - der Naturrasen, der frühe Kickoff am Mittag, das fremde Stadion. Bis zur Pause gab es nur 16 Punkte, dafür viele verletzte Spieler. Danach kamen die Eagles etwas mehr in Fahrt. Vor allem die Abwehr stand sicher. Als Super-Bowl-Sieger nennt man sich bescheiden World Champions und so entschied Eagles-Quarterback Carson Wentz im Stil eines Weltstars die Partie.
Er brachte 21 seiner 30 Pässe an den Mann, warf für 286 Yards und drei Touchdowns - auch wenn am Ende die Kicker die Partie prägten. Philadelphia trat als Sieger den Heimflug in die USA, ohne jedoch beim vierten Saisonsieg spielerisch überzeugt oder gar wie ein Champion dominiert zu haben. Trainer Doug Pederson rechtfertigte die Strapazen dennoch: "Alle lieben dieses Spiel, da können wir die lange Reise schon verkraften." Er war bemüht, das Konzept der Liga zu bewerben und verglich die Atmosphäre in Wembley mit der bei einem Super Bowl. "Es ist echt genial, wie hier Stimmung gemacht wird und so viele die Hymne mitsingen, obwohl wir in Europa sind". Für Pederson habe die NFL mit den Spielen in Europa etwas geschaffen, was dem Football helfe, weiter zu wachsen.
Im Nobelklub am Tag vor dem Spiel
Sein Kollege bei den Jacksonville Jaguars war nach der fünften Pleite in dieser Spielzeit um Erklärungen bemüht. Doug Marrone räumte ein, dass er Probleme habe, den Spielern die richtige Richtung zu zeigen. Die Playoffs jedenfalls dürften sie verpassen, sie stehen mit einer Bilanz von 3:5 auf dem letzten Platz der AFC South. Doch bei all der Selbstkritik: Über einen Vorfall vor dem Spiel wollte der Coach nicht sprechen. In der Nacht von Freitag auf Samstag waren vier Spieler der Jaguars in einem Londoner Nobelklub "auffällig geworden". Sie sollen eine hohe fünfstellige Rechnung für Champagner und Liköre nicht bezahlt haben. Wie ihr Klub bestätigte, nahm die Polizei die Spieler in Gewahrsam. Sie selbst sprachen von einem Missverständnis. Konsequenzen gibt es bislang nicht. Es ist aber damit zu rechnen, dass da noch was kommt. Und wenn der Klub die Spieler bestraft, dann dürfte die Rechnung, die laut der "Sun" umgerechnet 56.000 Euro betrug, dagegen ein Witz sein.
Die NFL verabschiedet sich damit übrigens aus London, bis zum nächsten Jahr. Dann wird sogar in zwei Stadien gespielt. Und es dürften weitere Vorstöße folgen, die Expansion nach Europa voranzutreiben. NFL-Commissioner Roger Goodell hat noch einmal bestätigt, dass die Bedingungen für ein festes Team in London mittlerweile gegeben sind. Die Fans sind da, die Stadt steht hinter der NFL und die Tickets gehen innerhalb weniger Stunden weg. In London spricht man laut Goodell schon von den gefragtesten Tickets im gesamten Entertainment-Bereich. In einer Stadt mit mehreren Premiere-League-Klubs, weltweit bekannten Theatern und Musicals, ist das sicher ein Pluspunkt.
Das große Manko auf dem Weg zu noch mehr Football in London, Europa oder sogar in Deutschland bleibt die Entfernung zu den USA. Für Teams von der Westküste ist die Reise enorm aufwändig. In dieser Saison bekam jedes Team, das in London spielte, in der folgenden Woche frei. In den Playoffs ist das nicht mehr möglich, weil jede Woche gespielt werden muss.
Aber vielleicht findet die NFL auch dafür eine Lösung. Als 2007 das erste Spiel in London ausgetragen wurde, war der aktuelle Boom noch nicht abzusehen. Der Sieg der Eagles gegen die Jaguars bot zwar kaum spektakuläre Würfe, lange Läufe und Touchdowns. Die Fans, die in Wembley dabei waren, werden dennoch davon schwärmen - und vielleicht schon für den Flug im kommenden Jahr sparen. Die NFL hat in Europa wieder Werbung in eigener Sache gemacht.
Quelle: ntv.de