Wie geht es in Brooklyn weiter? Neuer Ort wirft alte Fragen für Dennis Schröder auf
15.02.2024, 20:35 Uhr
Für Schröder ist es im elften NBA-Jahr das siebte Team.
(Foto: AP)
Dennis Schröder wechselte vor einer Woche von Toronto nach Brooklyn. Die ersten Einsätze im Nets-Trikot haben eindrucksvoll gezeigt, wie der WM-MVP seinem neuen Arbeitgeber helfen kann - aber auch, warum die Stärken des Deutschen beim Mittelklasse-Klub mächtig verpuffen könnten.
Der Start am Samstag war perfekt: "Dennis Schröder"-Sprechchöre im Barclays Center, der Neuzugang nach seinem ersten Auftritt für die Brooklyn Nets am Mikro, als Mann des Spiels. Fans und Mitspieler waren aus dem Häuschen. Auch Head Coach Jacque Vaughn war "begeistert" und "beeindruckt" vom deutschen Point Guard, der überragend begann (acht Punkte, vier Assists, kein Fehlwurf aus dem Feld im ersten Viertel) und am Ende mit insgesamt 15 Punkten und 12 Assists in 27 Minuten der Sieggarant beim 123:103 gegen die San Antonio Spurs war.
"Die Anerkennung der Fans war da, das liebe ich. Ich bin froh, dass wir gewonnen haben. Das ist das Wichtigste", sagte Schröder, der kaum Trainings- und Eingewöhnungzeit hatte, dessen Bemühungen und Synergien mit den Kollegen dennoch schon recht eindrucksvoll wirkten. "Ich bin ja jetzt schon elf Jahre dabei. Meine Teammates und Coaches sagten mir, ich soll einfach mein Ding machen und Basketball spielen. Also habe ich versucht, aggressiv zu sein, den Ball in Transition zu pushen, meine Mitspieler zu finden und hart zu verteidigen."
Die guten Vibes nach dem Auftaktsieg hielten nicht lange an: Brooklyn musste nach dem Sieg gegen die Spurs im back-to-back gegen die übermächtigen Boston Celtics antreten, Schröders ehemaliges Team (2021/22). Die Celtics dominierten am Dienstag in Brooklyn sowie am Mittwoch in Boston, wo sie den Nets mit 136:86 die zweithöchste Niederlage der Franchise-Geschichte beifügten. Es war deren höchste Pleite seit dem Umzug aus New Jersey. Bereits zur Halbzeit lagen die Gäste mit unbegreiflichen 36 Punkten im Rückstand, zwischenzeitlich waren es sogar 56 Punkte Unterschied.
Wieder ein Team im Übergang
Schröder startete zwar zum ersten Mal anstelle des geschonten Ben Simmons, spielte aber nur 18 Minuten und erzielte magere vier Punkte. Anschließend gab er konsterniert zu: "Sie haben uns den Arsch versohlt." Schröder hat jetzt in dieser Saison sechsmal in sechs Versuchen gegen Boston verloren. Zumindest gegen die Celtics wird der Weltmeister in dieser Spielzeit nicht mehr antreten müssen. Nichtsdestotrotz ist die neue Aufgabe im New Yorker Stadtteil eine anspruchsvolle für den Braunschweiger, der in Brooklyn helfen soll, die Playoffs zu erreichen.
Die Nets sind, im Gegensatz zu den Raptors, nicht im Neuaufbau, aber dennoch ein Team im Übergang, irgendwo im vergessenen NBA-Niemandsland. Nach der spektakulär gescheiterten "Big Three"-Ära mit Kevin Durant, Kyrie Irving und James Harden scheint dieser Klub im (unteren) Mittelmaß gefangen zu sein. Um sich ganz nach unten fallen zu lassen, sind die Nets noch zu gut, verfügen über zu viele solide bis gute NBA-Spieler, aber so gut wie gar keine jungen Talente. Außerdem fehlt es an einer klaren Linie, einem ausbalancierten Kader und dem einen Franchise-Spieler, der die Richtung der Bemühungen vorgeben könnte.
Nach respektablem Saisonstart (15:15 Bilanz) haben die Nets 18 ihrer vergangenen 24 Partien verloren, platzieren sich mit 21:33 Siegen und unter 40 Prozent Erfolgsquote außerhalb der Play-In-Ränge in der Eastern Conference. Im Angriff (Rang 17), in der Verteidigung (19.) und beim Net-Rating (21.) sind die Nets im unteren Liga-Tableau zu finden. Sicherlich sind Verletzungen nicht Vaughns Schuld, aber zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt in der Saison sollten eigentlich mehr Stärken und eine klarere Rotation herausgearbeitet worden sein. Dass die Nets auch davon noch meilenweit entfernt scheinen, lässt nicht allzu viel Gutes vermuten für die verbleibenden zwei Monate nach der anstehenden All-Star-Pause.
Schröders Rolle in Brooklyn
Kann der Kapitän des Basketball-Weltmeisters die Geschicke dieses Klubs nachhaltig verändern? Die Nets hatten Schröder vergangenen Donnerstag verpflichtet, kurz vor der Trading Deadline, via Tausch mit den Toronto Raptors. Der Deutsche ersetzt Spencer Dinwiddie, der im Gegenzug nach Kanada geschickt worden war, wo ihn die Raptors prompt entließen (Dinwiddie hat sich mittlerweile den Los Angeles Lakers angeschlossen). Dinwiddie war der etatmäßige Starter in Brooklyn, hatte aber einen auslaufenden Vertrag und enttäuschte auf ganzer Linie. Schröder ist ein besserer Spielmacher und effizienterer Schütze als Dinwiddie, könnte ihn also perspektivisch in der Starting Five ersetzen - oder, wie in seinen ersten beiden Einsätzen, von der Bank kommen.
So oder so, seine Aufgaben werden dieselben sein: "Sie spielen einen sehr eigenwilligen Stil hier. Ich drücke gerne aufs Tempo, setze meine Nebenleute in guten Situationen in Szene. Ich glaube, wir haben hier viel Talent in dieser Umkleidekabine. Wir müssen die Teile einfach nur zusammenbringen", sagt der 30-Jährige, der dank seiner Schnelligkeit aus dem Dribbling für mehr freie Wurfgelegenheiten und einen besseren offensiven Fluss sorgen soll. Selbst als Teilzeit-Backup in Toronto attackierte der Nationalmannschaftskapitän knapp elfmal pro Partie via "Drive". In Brooklyn kommen nur Mikal Bridges und Cam Thomas auf mehr als sieben solcher Attacken pro Partie, Schröder avanciert also direkt zu einem X-Faktor in Vaughns Angriff.
Dabei ist es egal, ob im Halbfeld oder per Fastbreak: Schröder reißt als einer der schnellsten Spieler der Liga Lücken, und findet per Drive-and-Kick die freien Nebenleute. Brooklyn spielt die siebt-langsamste Pace der NBA, will unter dem ehemaligen Point Guard Jacque Vaughn aber gerne schneller agieren und auch mal in Transition einfache Punkte erzielen. Das ergibt Sinn für dieses Team, das über athletische Flügelspieler und Big Men verfügt, wenngleich Spiel-IQ und Fähigkeiten im Halbfeld zu wünschen übrig lassen.
Was bringt die Zukunft?
Vaughn ist froh, dass er künftig auf Schröder neben Simmons und Dennis Smith Jr. setzen kann. Der Deutsche ist ein erfahrener Veteran für seine Free-Flow-Offense und gleichzeitig ein respektabler Verteidiger: "Schröder hat bereits Spiele auf höchstem Level absolviert und gewonnen", sagt Vaughn. "Man hat schon oft gesehen, wie er in wichtigen Partien einen großen Einfluss nimmt. Er ist ein intelligenter Spieler, der sehr wichtig sein wird für unser Team." Schröder als "Floor General" kann den Nets eigentlich nur guttun, denn außer ihm schafft es in diesem Team kaum jemand, die gegnerische Defensive kollabieren zu lassen und Big Men aus dem Pick-and-Roll oder freie Schützen auf der Weakside zu bedienen. Dass Schröder zu den zehn ballsichersten Guards der NBA zählt, macht ihn noch wertvoller für ein Team: Sowohl in Toronto (plus 4,8 Punkte pro 100 Ballbesitze) als auch zuvor bei den Lakers (plus 3,5) funktionierte die Mannschaft besser mit Schröder auf dem Parkett als ohne ihn.
Die Nets sind das siebte NBA-Team für Schröder, der in seinen elf NBA-Saisons bisher für die Atlanta Hawks, Oklahoma City Thunder, Los Angeles Lakers, Boston Celtics, Houston Rockets und Toronto Raptors auflief. Schröder unterschrieb im Sommer einen Zweijahresvertrag, der ihm in dieser und nächster Saison insgesamt 25 Millionen US-Dollar einbringt, bevor er 2025 Free Agent wird. Ob er dann noch das Nets-Trikot tragen wird, ist ungewiss. Auch wenn Brooklyn nicht langfristig mit ihm planen sollte, erscheint er als Kurzzeit-Investment sinnvoll: die Saison abzuschenken und sich in die Draft-Lotterie fallen zu lassen, ist keine Option für diesen Klub, der einst die Kontrolle über seine künftigen Erstrundenpicks bis 2028 aufgegeben hatte, um das gescheiterte Superteam zusammenzustellen.
Wie nachhaltig Schröder in den verbleibenden zwei Monaten die Geschicke dieser Franchise verändern kann, wird sich zeigen. Gegen das beste Team der Liga wurde diese Woche überdeutlich, wie weit diese Nets von sportlicher Relevanz entfernt sind - Schröder hin oder her. "Es war ein wichtiger Fingerzeig, dass wir viel Arbeit vor uns haben", analysierte Coach Vaughn nach der historischen Klatsche. "Ich glaube aber, dass dieses Team bereit ist, zu arbeiten. Es wird nicht einfacher nach der All-Star-Pause, aber wir freuen uns auf die Herausforderung."
Tatsächlich hat Brooklyn so einiges aufzuholen, wenn diese Saison nicht viel früher zu Ende sein soll, als ihnen im "Borough" lieb ist. "Wir waren nicht physisch genug, das fängt bei mir an", nahm Schröder in bester Anführer-Manier die Verantwortung auf seine Kappe. "Das war deutlich. Jetzt können wir alle ein bisschen Urlaub machen, Zeit mit der Familie verbringen, Energie tanken und erfrischt zurückkommen. Wir haben immer noch eine Mission: Wir wollen die Playoffs erreichen!"
Quelle: ntv.de