"Lausbube" bei der Ski-WM Neureuther: "Kann nur so sein, wie ich bin"
10.02.2017, 09:58 Uhr
Felix Neureuther hat bereits die WM 2003 in St. Moritz erlebt. Seitdem ist er zum deutschen Star gereift.
(Foto: dpa)
Bei der WM 2003 in St. Moritz hatte Felix Neureuther seinen ersten großen internationalen Auftritt. Jetzt, 14 Jahre später, ist er immer noch dabei. Im Interview spricht er über Höhen und Tiefen, seinen Freund Bastian Schweinsteiger - und darüber, was die Zukunft bringt.
- geboren am 26. März 1984 in München als Sohn der Skirennläufer Rosi Mittermaier und Christian Neureuther
- seit 2003 fährt er im Weltcup, konnte dort zwölf Mal gewinnen
- bei Weltmeisterschaften gewann er bislang 1x Gold, 1x Silber sowie 2x Bronze
- Neureuther ist vor allem im Slalom aktiv und erfolgreich
- voraussichtliche WM-Einsätze: Team-Event, Slalom und Riesenslalom
Felix Neureuther, von welchem berühmten Skirennläufer stammt der Satz: "Am Eingang zum Hotel habe ich gleich zwei super Hasen gesehen"?
Felix Neureuther: (lacht) Das ist einfach. Der war von mir selbst vor ... 14 Jahren. Lange Zeit.
Welche Erinnerungen außer jene an die 'super Hasen' haben Sie an diese Weltmeisterschaften 2003 in St. Moritz?
Nicht mal so viele, muss ich sagen, weil es ja jetzt doch schon eine Zeit lang her ist. 14 Jahre. An den Gesamteindruck kann ich mich schon noch erinnern. Es war alles sehr viel größer. Ich bin ja bis dahin nur FIS- und Europacup-Rennen gefahren. Ich war beeindruckt, dass ich bei der Besichtigung auf einmal neben Bode Miller stand, neben Ivica Kostelic, das waren meine Idole damals, Benni Raich. Ich habe mich nicht getraut, die anzusprechen, sondern nur versucht, niemanden ansatzweise zu stören. War ein schönes Erlebnis.
Es gibt noch eine weitere Aussage von der WM 2003: 'Felix ist noch unfertig, er soll erst mal die Schule fertigmachen, in zwei Jahren kann man sich vielleicht ein Urteil über ihn als Skifahrer bilden.' Wer könnte das gesagt haben?
(lacht) Das war sicher mein Vater. Ich kann mich erinnern, dass wir immer einen Riesenkampf hatten. Nach der zehnten Klasse wollte ich von der Schule runter, aber mein Papa hat gesagt: ohne Abitur kein Skifahren. Ich war damals als Junger immer schon mit den Älteren in der Mannschaft zusammen, von denen war keiner mehr in der Schule, die konnten immer zum Trainieren gehen und hatten nie irgendwelche Probleme schulischer Art. Mein Vater hat aber darauf bestanden, dass ich das Abitur mache. Das war gar nicht so einfach, weil ich ja 60 Schul-Fehltage im Jahr hatte, und ich bin damals auch schon Weltcup-Rennen gefahren. Ich hatte einen Nachhilfelehrer dabei in Amerika, sonst hätte ich niemals das Abitur auch nur ansatzweise geschafft. Und da haben wir viele, viele Kämpfe ausgefochten. Aber mein Papa hat sich am Ende Gott sei Dank durchgesetzt.
Und jetzt fahren Sie schlauer Ski, weil Sie das Abitur geschafft haben?
(grinst) Nein, das nicht, aber für das Leben war es trotzdem wichtig, weil es das erste Mal war, dass ich etwas wirklich durchziehen musste. Ich habe es mit sehr wenig Aufwand betrieben, aber ich habe es letztendlich doch geschafft. Das hat sich vielleicht dann später auch auf meine Skikarriere übertragen, leider durch Verletzungen bedingt, dass ich mit sehr wenig Aufwand doch das ein oder andere geschafft habe.
Haben sich die Träume, die Sie damals hatten, erfüllt?
Träume haben sich definitiv erfüllt. Es war ja damals gar nicht absehbar, was mit mir passiert, ob ich überhaupt Skirennfahrer werde. Es kann ja immer alles passieren. Verletzungen, und und und. Dann die Frage: Mache ich die nötigen Schritte, um vorne zu landen? Ich wusste damals auch gar nicht, was auf mich zukommt.
Was ist denn nicht so gelaufen in diesen Jahren?
Einige Dinge, aber ich denke, dass all das, was nicht gut gelaufen ist, auch dazugehört. Es ist sehr wichtig für mich, als Mensch zu reifen, Erfahrungen zu machen. Es kann nicht immer alles nur Friede, Freude, Eierkuchen sein. Die Tiefs, die gehören dazu, die sind sehr viel wichtiger als die Hochs. Aber oft ist es ja so, dass man sich an die Tiefs besser erinnern kann als an die Hochs.
Ihre erste Medaille gewannen Sie erst 2013, zuvor hatten Sie sportliche Tiefs, auch bei Olympia, bei Weltmeisterschaften. Sind solche Erfahrungen auch wichtiger als der Gewinn der ein oder anderen Medaille?
Mmm ... ich glaube, aus dieser ganzen Zeit habe ich gelernt, dass ein Hoch nicht mit einer Medaille zusammenhängt, dass man wesentlich mehr schätzen muss, was man tun darf, und deswegen jeden Tag genießen muss, so lange man es noch machen kann. Früher war das sicher anders. Wenn schlechtes Wetter war, hast du gesagt: Ah, ich geh' nicht raus. Das sind Dinge, die du lernen musst, dass du einen Tag, der nicht so gut läuft, auch genießen musst.
Und heute trainieren Sie deshalb auch zwischen Weihnachten und Neujahr? Früher auch unvorstellbar, oder?
Früher war das Sommertraining anders. Ich war mit meinen Jungs am See oder im Schwimmbad und nicht im Kraftraum. Aber man wird erwachsen. Und ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich nie zu etwas gezwungen haben. Die haben mich mein Ding machen lassen und gesagt, hey, wenn du auf die Schnauze fällst, dann fällst du auf die Schnauze. Aber dann musst du wieder aufstehen und deine Lehren ziehen und weitermachen. Wenn man sieht, wie ein (Marcel) Hirscher oder ein (Henrik) Kristoffersen aufgewachsen sind, die immer den Vater mit dabei haben, der alles steuert, dann weiß ich nicht, ob das mein Ding gewesen wäre. Die (Hirscher und Kristoffersen) sind von klein auf schon wesentlich professioneller als ich. Ich bin halt immer noch das große kleine Kind.
Deswegen mögen viele Leute Sie. Hängt es auch damit zusammen, dass Sie sich das Lausbubenhafte bewahrt haben?
Vielleicht finden es die Leute gut, dass ich auf meine Art gegen Marcel und Henrik kämpfe. Ich weiß es nicht. Ich bin wie ich bin. Mei, wenn es den Leuten so taugt, dann ist das schön, aber es gibt sicher auch viele, die sagen, hey, der Neureuther, der ist ein Vollpfosten, und das kann ich ihnen genauso wenig verübeln. Jeder kann seine Meinung haben, ich kann am Ende nur so sein, wie ich bin.
Wie groß ist die Ungeduld? Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Zeit davonläuft
Ja, das hast du schon. Weil du machst und tust, und dann denkst du, es geht einen Schritt nach vorne, und dann probierst du es, aber dann geht es wieder zwei Schritte nach hinten, dann geht's wieder einen vor, dann geht's zwei vor, dann geht's wieder drei zurück. Und auf einmal macht's klick und funktioniert, und du weißt eigentlich gar nicht, was jetzt groß anders ist. Ich bin ein relativ ungeduldiger Mensch, deshalb kann ich da schon auch ein bisschen ekelhaft werden. Das bekommt mein Servicemann leider ab und zu zu spüren.
Nur der Servicemann?
Ja, die Trainer schon auch. Aber die ticken ja nicht anders, die sind ja genauso ungeduldig und wollen das so schnell wie möglich wieder biegen, da ziehen wir ja alle an einem Strang.
Was lässt Sie glauben, dass Sie Hirscher und Kristoffersen wieder "biegen"?
Das Vertrauen in mich und meine Stärke. Und das Wissen, dass es mir körperlich momentan wirklich so gut geht wie seit langer Zeit nicht mehr. Sicher, jetzt ist das mit dem Knie dazugekommen, aber, mei, das ist ja Pillepalle. Wenn ich denke, was ich mit meinem Rücken schon alles mitgemacht habe. Mir geht es körperlich sehr, sehr gut, wieso soll es nicht noch mal funktionieren, es hat ja schon mal funktioniert.
Wann wäre diese WM eine gute WM für Sie?
Wenn ich wieder das Gefühl habe, dass ich alles unter Kontrolle habe beim Skifahren. Auf der Suche nach diesem Gefühl bin ich schon den ganzen Winter. Wenn du dieses Gefühl hast, stehst du am Start und fährst weg und denkst dir: So, und jetzt schneller, schneller, schneller. Du machst Dinge, da denkst du dir: Hey, das geht eigentlich gar nicht. Aber es geht. Und das passiert mit so einer Leichtigkeit, dass du das Gefühl hast, dass du besser bist und tun und lassen kannst, was du willst und es funktioniert einfach. Und dieses Gefühl suche ich seit zwei Jahren, das hatte ich schon mal.
Ist es falsch zu sagen: St. Moritz ist eine Durchgangsstation auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2018?
Nein, eine Durchgangsstation ist das nicht, dafür ist eine Weltmeisterschaft zu wichtig. Aber ich will mir für die Olympischen Spiele auch nicht einen zu großen Druck aufsetzen, weil das sowieso passieren wird. Da kommt dann: letzte Chance Olympia, bis jetzt ist Olympia immer schief gelaufen - ich kenne ja das ganze Spielchen. Deswegen genieße ich jetzt die Weltmeisterschaften und hoffe, dass ich dann auch die Olympischen Spiele noch mal genießen darf. Es kommt, wie's kommt, und wenn nicht, mei, was magst ändern? Deswegen bleibe ich trotzdem der gleiche Mensch und werde mich nicht in einem Loch verbuddeln.

Fußballer Bastian Schweinsteiger und der Skirennläufer kennen sich seit ihrer Kindheit.
(Foto: imago/Sven Simon)
Gibt's diesmal eine Wette mit Ihrem Freund Bastian Schweinsteiger?
Nein, nein, da machen wir keine Wetten. Mich hat's wahnsinnig für ihn gefreut, dass er neulich wieder 90 Minuten gespielt hat, ein Tor vorbereitet und dann auch noch, die Krönung, mit einem Fallrückzieher das 4:0 geschossen hat. Der Kerle, das ist einer für die besonderen Momente, und deshalb lieben ihn die Menschen auch so sehr, weil er das Herz am richtigen Fleck hat. Ich würde es ihm von Herzen wünschen, wenn es so weitergehen würde, weil er die Chance verdient hat. Und ich mir sicher bin, dass er, wenn er die Chance bekommt, diese auch nutzen würde.
Sie sind befreundet, haben beide Höhen und Tiefen durchgemacht. Ist es gut, einen Freund zu haben, mit dem man sich austauschen kann, wenn's einem nicht so gut geht?
Wir tauschen uns über so etwas eigentlich wenig aus, muss ich sagen. Wenn wir uns sehen, dann freuen wir uns, und dann lassen wir die Dinge weg, die vielleicht ein bisschen unangenehm sind, und reden über die schönen Sachen. Aber man fühlt sich schon verbunden, wenn man sich so lange kennt wie wir und einen ähnlichen Weg gegangen sind. Wir sind beide Profisportler geworden, der Basti sicher in einer ganz anderen, wesentlich größeren Dimension, aber man leidet natürlich mit, und man freut sich auch mit, das tut er bei mir auch. Es ist einfach schön zu wissen, dass man einen Freund hat, den man schon so lange kennt und auf den man sich verlassen kann, definitiv.
Quelle: ntv.de, Marco Mader und Thomas Häberlein, sid