Die deutschen Basketballer sind frustriert. Die EM droht zum Fiasko zu werden. Vor dem Gruppenfinale gegen Spanien zoffen sich Coach und Spielmacher, Nowitzki platzt der Kragen.

Vier Spiele, drei Niederlagen, der Olympia-Traum droht zu platzen: Die Europameisterschaft im eigenen Land läuft für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft so gar nicht nach Plan. Und trotzdem: Mit einem Sieg gegen die eigentlich hoch gewetteten Spanier - bislang erst zwei Siege - heute Abend (17.45 Uhr) würde sich das Team von Coach Chris Fleming noch für das Achtelfinale qualifizieren. Immerhin. Also volle Konzentration auf das letzte entscheidende Gruppenspiel? Nein! Die deutschen Basketballer beginnen sich selbst zu verfleischen. Ausnahmetalent und NBA-Profi Dennis Schröder kritisiert den Trainer für seine Taktik gegen Italien. Der Trainer kritisiert seinen Spielmacher für vergebene Würfe. Das allein reicht schon, um den Blutdruck des Teams auf einem deutlich erhöhten Niveau zu halten. Doch dann legt auch Superstar Dirk Nowitzki im Niederlagenfrust nach und ätzt gegen einen abwesenden Nationalspieler: Daniel Theis.

Der 23-jährige Forward der Brose Baskets Bamberg hat seine Teilnahme an der Europameisterschaft frühzeitig abgesagt. Der Grund: Eine Schulteroperation  am 23. Juni. Die Sorge: Er werde nicht rechtzeitig fit und könne der Mannschaft nicht helfen. So weit, so nachvollziehbar. Doch während sich das deutsche Team in Berlin durch das Turnier müht und neben Nowitzki, Tibor Pleiß und dem jungen Johannes Voigtmann noch einen weiteren "Big Man" sehr gut gebrauchen könnte, durchläuft Theis mit den Bambergern die Vorbereitung auf die anstehende BBL-Saison. Und er selbst ist mit seinem aktuellen Leistungsstand offenbar sehr zufrieden, wie er bei Facebook mitteilte. Als Beleg für seine gute Form fügte er dem gut gelaunten Post ein kurzes Video mit einem krachenden Dunking aus einem Testspiel bei.

"Ein Großer, der dazwischenhaut - klar vermissen wir das"

Dirk Nowitzki hatte nach der unglücklichen Niederlage gegen Italien überhaupt kein Verständnis für derlei Gute-Laune-Nachrichten des Kollegen. Und so motzte der NBA-Star ungewohnt offen: "Theis spielt in Bamberg schon 30 Minuten, das ist natürlich auch ein bisschen eine Frechheit. Aber hier kann er nicht spielen. Daher ist es bitter." Der 37-jährige Profi der Dallas Mavericks kann seinen Frust über die knappen Niederlagen gegen Serbien (66:68), die Türkei (75:80) und nun gegen Italien (82:89) nicht mehr zurückhalten. "Wir wissen, dass wir auf den großen Positionen sehr, sehr dünn besetzt sind", sagte Nowitzki weiter. "Ein Großer, der dazwischenhaut, der da aufräumt, der dagegenhalten kann - klar vermissen wir das." Denn neben dem physisch sehr starken Theis waren vor Turnierbeginn mit dem talentierten Neu-Bayer Maxi Kleber und dem bulligen Center Maik Zirbes (Roter Stern Belgrad) zwei große Spieler verletzungsbedingt ausgefallen. Beide hätten nicht nur für mehr Power am Brett gesorgt, sondern auch Nowitzki entlastet, der bei der EM mehr spielen muss, als ihm lieb ist.

In Bamberg, bei Theis aktuellem Arbeitgeber, kommt die Kritik des deutschen Superstars indes erwartungsgemäß nicht besonders gut an. "Daniel kann in keinster Weise dafür verantwortlich gemacht werden, dass ihm während des Sommers seine Gesundheit und sein Körper wichtig sind. Er hat alles versucht, rechtzeitig fit zu werden, aber es war einfach nicht möglich." Das teilten die Franken in einem offiziellen Statement mit. "Wir verstehen und respektieren die Reaktion unmittelbar nach einer harten Niederlage. Aber gleichwohl halten wir es für höchst unfair, über einen Spieler zu sprechen, der nicht auf dem Court stand. Anfang August, als das Trainingslager der Nationalmannschaft stattfand, hatte Daniel noch nicht einmal mit dem Werfen begonnen." Es sei "ein Unterschied, ob Daniel 25 bis 30 Minuten in einem Vorbereitungsspiel auf dem Parkett steht, um fit zu werden oder ob er in einem EM-Spiel aufläuft."

"Es war Daniels größter Wunsch"

Rückendeckung erhielt der Gescholtene noch am Mittwochabend, unmittelbar nach der Aussage von Nowitzki, von seinem Berater Ademola Okulaja: "Es war Daniels größter Wunsch, mit seinem alten Kumpel Dennis Schröder und Superstar Dirk zu spielen. Er hat alles darangesetzt, es zurückzuschaffen", sagte der ehemalige Nationalspieler bei spox.com: "Aber wir alle wissen, dass man nach zehn Wochen Reha und ohne Basketball eine EM gegen solche hochkarätigen Teams nicht bestreiten kann." Laut Okulaja war Theis von den Bamberger Ärzten ohnehin nicht gesundgeschrieben worden.

Im Internet bekommt Nowitzki für seine Kritik dagegen reichlich Zustimmung. Auf der offfiziellen Facebook-Seite von Theis gibt es viele Attacken gegen 23-Jährigen. Da heißt es zum Beispiel: "Trag bite nie wieder das Trikot der Nationalmannschaft!! Wie man so ein Team, eine Nation mit deren Fans, bei einer Vorrunden-Heim-EM im Stich lassen kann, ist eine absolute Frechheit!!! […] Dirk Nowitzki reist sich mit 37 den Arsch auf, und du stehst da wie ein Verräter!! Man möge dich bei jedem Spiel bis zu deinem Karriereende auspfeifen!" Oder: "Maik Zirbes unterstützt die Mannschaft verletzt auf der Bank und du dunkst fröhlich in der Gegend rum !!!! Schäm dich […]. Solche Weicheier und Verräter brauchen wir nicht!!!".

Nur vereinzelt gibt es dagegen Kritik am Superstar selbst. So schreibt beispielsweise ein User auf Seite schoenen-dunk.de: "Die Aussage von Nowitzki gegenüber Theis ist einfach nur eine Frechheit. Aber kritisiert man Nowitzki ist das wahrscheinliche Gotteslästerung hier in Deutschland ..."

Ganz unabhängig von den wenig zielführenden Diskussionen um Taktik und Theis in aller Öffentlichkeit haben sich die beiden deutschen Superstars am späten Mittwochabend aber schnell wieder auf das nun Wesentliche besonnen. Im Gruppenendspiel gegen Spanien mit dem bei der EM überragend aufspielenden NBA-Star Pau Gasol gelte es "mit dem gleichen Kampfeswillen und der gleichen Intensität wie gegen Italien zu spielen", sagte Nowitzki und ergänzte: "Wenn du Sportler bist und den Wettbewerb liebst, dann willst du so eine Situation: Win or go home". Noch besser brachte es Schröder auf den Punkt: "Wir müssen gewinnen. Das ist das Einzige, was jetzt zählt." Recht hat er, ohne jeden Zweifel.